Die Schule wurde 1993 gegründet und die Ganztagsbetreuung war von Anbeginn dabei. «Das gehörte zum Angebot der Waldorfschulen im Osten von Anfang an dazu», so Walter. 350 Schüler:innen, 35 Lehrer:innen, 7 Kolleg:innen in der Betreuung, davon drei mit waldorfpädagogischer Ausbildung. Es gibt drei Räume á 33 Kinder und je zwei Erzieher:innen, in einer Gruppe sind es drei. Es gibt eine Frühbetreuung von 7 bis 8 Uhr, nachmittags bis 17 Uhr und eine Ferienbetreuung. Das Angebot ist über die Jahrzehnte gleichbleibend gefragt.
Im Osten Tradition
Anders als in vielen westdeutschen Bundesländern war und ist die Ganztagsbetreuung im Osten Deutschlands Normalität, weil die DDR darauf angewiesen war, dass auch Frauen und Mütter ganztags arbeiteten. Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist die Ganztagsbetreuung in Schulen für Familien in kostenlos. Die Finanzierung erfolgt über Mittel des Landes, der Landkreise und der Wohnsitzgemeinden der Kinder.
Bewusst gestalteter Lebensbereich
In Greifswald ist das Ganztagskonzept seit der Schulgründung 1993 fest verankert. «Wir haben von Anfang den Ganztag mitgedacht», erklärt Geschäftsführer und Lehrer René Walter. Es ist kein eigenständiges Projekt, sondern implementiert.
99 Kinder der 110 Grundschüler:innen nutzen das Ganztagsangebot der Schule – und das mit Begeisterung. «Es ist nicht nur eine Betreuung, sondern ein eigener Lebensbereich, den wir bewusst gestalten», sagt Kathleen Ehrke. Der Hort ist kein vernachlässigtes Anhängsel des Schulalltags, sondern eine eigene Welt: mit liebevoll eingerichteten Räumen, einem großen Garten und einem festen Rhythmus. Die immer wiederkehrenden Tätigkeiten sollen den Kindern Halt geben. In den Klassen 5 und 6 besteht die Ganztagsschule (GTS) am Nachmittag aus regulärem Unterricht, Instrumentalunterricht und Arbeitsgemeinschaften wie Zirkus, Fotografie, Ballsport, Kochen und Plastizieren. «All das gehört in das Ganztagesprogramm», so Walter. Ab Klasse 7 findet nachmittags regulärer Unterricht statt. Besonders für die jüngeren Kinder der Klassen 1 bis 4 ist es wichtig, nach einem Schulvormittag in eine andere Atmosphäre einzutauchen. Sie kochen gemeinsam, spielen Gesellschaftsspiele, malen oder toben im Garten. Jede Woche wird mit selbst gemahlenem Getreide frisches Brot gebacken und täglich vegetarisches Mittagessen mit den Schüler:innen zubereitet. Auch Marmelade und Aufstriche werden je nach Saison in einer Gemeinschaftsaktion gemacht. «Das gemeinsame Essen ist ein wichtiger Moment des Tages», betont Katharina Reins.
Alltägliche Herausforderungen
Die Betreuung erfolgt bewusst in altersgemischten Gruppen, sodass ältere Kinder den Jüngeren als Vorbilder dienen können. Jeder der drei Gruppenräume verfügt über einen eigenen Ruheraum, eine Küche und Sanitäreinrichtungen. Ein Garten nur für den Hort ermöglicht täglich und bei jedem Wetter viel Bewegung an der frischen Luft. Reins berichtet: «Unser wunderschöner Garten ist so angelegt, dass er den Bedürfnissen der Kinder entspricht. Die Obstbäume tragen Früchte, die auch im Hort verarbeitet werden, in der großen Kräuterspirale und den Hochbeeten werden Kräuter und kleines Naschgemüse angebaut.» Gerne laufen die Kinder in die Spirale hinein und hinaus. Es gibt Rückzugsorte im Sandkasten und in den Ziegelhäuschen, die ruhige, schattige Plätze bieten. Im Kletterwald können die Kinder auf viele Bäumen klettern. Aus den Blumenrabatten dürfen auch mal Tischblumen gepflückt werden. Einige der gebauten Objekte sind Projekte aus den Hausbauepochen und Achtklassarbeiten der Schüler:innen, dazu gehören Sitzbänke, das Ziegelhäuschen, ein Teil des Weges im Stil einer römischen Straße. Auch gibt es eine Feuerschale.
So selbstverständlich der Ganztag in Greifswald ist, so herausfordernd ist er manchmal auch. «Es gibt Kinder, die von 8 bis 17 Uhr hier sind – das ist ein langer Tag», gibt Reins zu bedenken. «Wir achten darauf, dass sie zur Ruhe kommen, sich nicht überfordert fühlen.» Dazu gehört auch, dass es im Tagesablauf bewusst ruhige Phasen gibt: Vorlesezeiten, freies Spielen oder einfach einen Moment, um sich zurückzuziehen. Die Erzieherinnen versuche ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Abwechslung und Ruhe – zwischen Einatmen und Ausatmen zu gestalten.
Reins ist es bewusst, dass die Gruppengröße und die damit verbundene Lautstärke anstrengend für die Kinder ist. Dies ist bedingt durch den Betreuungsschlüssel, der in ganz Mecklenburg-Vorpommern gilt, nämlich 1:22, also ein:e Erzieher:in auf 22 Kinder. «So kann man die Gruppen auch mal trennen und mit kleineren Gruppen einzelne Aktivitäten durchführen.»
Organisatorisch ist der Schulalltag eine Herausforderung: Die Schule zieht Kinder aus einem großen Umkreis an, manche pendeln bis zu zwei Stunden. Denn das Einzugsgebiet reicht von der Nordspitze der Insel Rügen bis nach Altentreptow, das etwa 50 Kilometer südlich von Greifswald liegt. Das ergibt insgesamt einen Umkreis von rund 80 Kilometern. «Wir müssen immer im Kopf haben, wann welches Kind welchen Bus oder welche Bahn erwischen muss», sagt Ehrke. Besonders im Winter, wenn Verkehrsmittel ausfallen, muss spontan umgeplant werden. Flexibilität und ein gutes Team sind hier entscheidend.
Enge Zusammenarbeit, möglichst viel Freiheit
Was den Ganztag an der Waldorfschule Greifswald ausmacht? «Es ist diese besondere Atmosphäre, die Mischung aus Struktur und Freiheit», sagt Reins. Die Kinder erleben den Nachmittag nicht als reine Betreuungszeit, sondern als wertvollen Teil ihres Tages. «Unser Ziel ist, dass sie am Abend nach Hause gehen und sagen: Es war ein schöner Tag.»
Schule und Ganztagsbetreuung sind eng miteinander verzahnt. Pädagog:innen arbeiten eng zusammen, tauschen sich regelmäßig aus und gestalten den Tagesablauf gemeinsam. «Das schafft eine ganz andere Beziehungsebene zwischen den Kindern und den Erwachsenen», erklärt Walter. Bei den Eltern sind die Mitarbeiter:innen der Ganztagsbetreuung genauso anerkannt wie die Lehrkräfte und auch das Arbeitsverhältnis zwischen Betreuenden und Lehrkräften sei kollegial und auf Augenhöhe, berichtet Ehrke. Ein zentraler Vorteil der Ganztagsbetreuung an der Freien Waldorfschule Greifswald ist die soziale Dimension: Da viele Kinder weit entfernt voneinander wohnen, bietet die GTS eine wichtige Gelegenheit, Freundschaften zu pflegen. Die Kinder lernen zudem, ihren Nachmittag sinnvoll zu gestalten und haben feste Bezugspersonen, die sie unterstützen.
Das Beste draus machen
Dennoch sehen die Pädagog:innen auch Herausforderungen. Lange Betreuungszeiten können für Grundschulkinder belastend sein. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, um eine Balance zwischen Anregung und Ruhe zu schaffen. Ob Ganztagesbetreuung im Sinne Rudolf Steiners sei? Reins antwortet pragmatisch: «Ich komme aus dem Osten und man jammert hier nicht so viel, sondern nimmt es hin.» Bedingungen anzunehmen und das Beste daraus zu machen – darum gehe es. «Wir haben viel Freiheit hier und schauen uns fast wöchentlich an, was wir besser machen können.» Kinder benötigen eine pädagogische Betreuung, die Impulse und Inspiration gebe, die im besten Sinne etwas fürs Leben mitgebe. Katharina Reins findet, dass es nicht darum gehe, Idealvorstellungen dogmatisch umzusetzen, sondern ganz im Sinne Rudolf Steiners die Bedingungen anzunehmen und daraus etwas zu gestalten, was für die Kinder wertvoll sei. Dies aus den Kenntnissen der Waldorfpädagogik zu erschaffen, sei unser aller Aufgabe in der heutigen Zeit.
Die Ganztagsbetreuung an der Waldorfschule Greifswald ist ein etabliertes und durchdachtes Konzept, das den Bedürfnissen der Familien im ländlichen Raum gerecht wird. Trotz der Herausforderungen gelingt es dem engagierten Team, eine Umgebung zu schaffen, in der sich die Kinder wohl und geborgen fühlen. So können sie am Ende des Tages nach Hause gehen und sagen: «Es war eine schöne Zeit.»
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