Ausgabe 10/24

Grenzerfahrung Alpenüberquerung

Antje Dennewitz

Aus dem Reisetagebuch der begleitenden Lehrerin Eva Wulsten: Seit vier Tagen sind wir mit der Klasse unterwegs in den Alpen. Die Berge hinaufkeuchen, Rhythmus finden und innere Widerstände überwinden am ersten und zweiten Tag. Respekt vor den Bergen und Wegen bekommen, den eigenen Körper spüren und stolz auf die Kräfte werden, die in einem schlummern. Ab dem dritten Tag sicherer werden, ausdauernder und kräftiger. Die Klasse findet ihren Rhythmus, die Abstände zwischen Schnelleren und Langsameren werden geringer. Zwischenmenschliche Konflikte werden verhandelt und teilweise gelöst. Aushalten lernen von Nähe, Enge und dem Fehlen von Rückzugsräumen. Spiele neu entdecken, mit anderen Menschen in Kontakt treten, immer wieder eine neue Schlafstätte einrichten und den Schlaf suchen. Und um uns thront der ewige Fels, der seit Millionen von Jahren das Leben begrüßt und verabschiedet, der sich umspielen lässt von den Gezeiten, unerschütterlich und dennoch immer in Bewegung.

Zielbestimmung und Vorbereitung


An unserer Schule ist es Tradition, dass in der achten Klasse eine Klassenfahrt unter dem Motto Grenzerfahrung gemacht wird. Unsere Klasse hat sich im Klassenrat mit der Frage beschäftigt, wo die Reise hingehen soll und ob sie mit dem Fahrrad, im Paddelboot oder zu Fuß bewältigt werden soll. Nach einer fast einstimmigen Abstimmung entschieden wir uns für Wandern und schnell war auch das Ziel klar: Wir wollen in die Alpen. Ein Teil unserer Klasse plante gemeinsam mit einigen Eltern eine mögliche und trotzdem herausfordernde Route über das höchste Gebirge in Mittel- und Südeuropa. In dem halben Jahr vor dem Beginn sammelten wir Geld und suchten nach verschiedenen Fördermöglichkeiten. Wir löteten, arbeiteten auf dem Feld, verkauften Kuchen und starteten eine Crowdfunding-Kampagne, um Geld zu sammeln. Mit Erfolg, denn es kam eine erhebliche Summe zusammen, die uns viel half. Nach einem halben Jahr war dann endlich alles geplant und wir waren bereit für die Wanderung.

Von Dresden nach Oberstdorf


Die Alpenwanderung begann an einem Tag Mitte Juni an der Anzeigetafel in der Haupthalle des Dresdner Hauptbahnhofs. Nach dem Abschied von den Eltern machten wir uns mit dem Zug auf den Weg in Richtung Oberstdorf. Während der Zugfahrt zogen die Berge an uns vorbei, während wir uns auf die bevorstehende Wanderung freuten. Unser Ziel für den ersten Tag war das Naturfreundehaus Freibergsee, wo wir eine Nacht verbrachten und uns auf den kommenden Tag vorbereiteten.

Am nächsten Morgen brachen wir früh auf und machten uns auf den Weg zur Fiderepasshütte. Die Wanderung war herausfordernd wegen starken Anstiegen, Schneefeldern und Wetterwechseln. Einige Schüler:innen trugen zwei Rucksäcke, da es anderen anfangs nicht gut ging – wir nahmen eine Erkältungswelle mit auf die Wanderung – und so schafften es alle nach ihren Möglichkeiten, oben anzukommen. Aber die atemberaubende Aussicht und die frische Bergluft waren jede Anstrengung wert.

Schwindelnde Höhen


Am dritten Tag war unser Ziel die Mindelheimer Hütte. Die Wanderung führte uns über Schneefelder, samt Seilversicherung über die Fiderescharte und am Ende über eine Bergkette, leicht hoch und runter. Nach einer lohnenden Wanderung erreichten wir die Hütte. Am Nachmittag stieg eine kleine Gruppe von uns nochmal 200 Meter höher auf einen Gipfel. Am Abend spielten einige von uns noch zusammen Spiele und ließen den Tag zusammen ausklingen.

Unser nächstes Ziel war das Berggasthaus Hermine in Madau. Doch die Route konnte nicht wie geplant stattfinden, denn unser geplanter Weg stellte sich als unmöglich für eine Schulklasse heraus. Wir nahmen einen Umweg, der uns ein paar Kilometer mehr kostete. Dafür war es nicht gefährlich und wir landeten auf dem südlichsten Punkt Deutschlands. Die nächsten acht Kilometer ging es weiter mit dem Bus. Nach weiteren sieben Kilometern zu Fuß auf Asphalt genossen wir noch einen angenehmen Tag im Berggasthaus Hermine, in welchem eine andere Waldorfschulklasse aus Chemnitz einquartiert war.

Der kommende Tag brachte uns wieder viele Höhenmeter hinauf auf die Memminger Hütte. Der steile Aufstieg führte uns vorbei an Wasserfällen, einer Kuhherde und zutraulichen Pferden, welche sich geduldig von uns streicheln ließen. Der Ausblick von der Hütte war spektakulär und am Abend erfrischte uns ein Bad im eiskalten Bergsee. In dieser Hütte blieben wir zwei Nächte, sodass wir einen freien Tag hatten, um auszuruhen, zu zeichnen, zu spielen oder die umliegende Gegend zu erkunden. Hier konnten wir auch die niedlichen Murmeltiere ganz nah beobachten und wir hatten das große Glück, eine Herde von Steinböcken aus wenigen Metern Entfernung erleben zu dürfen!

Kreativer Ausklang


Nach dem Aufenthalt in der Memminger Hütte ging es für uns weiter. Die Wanderung führte uns durch eine beeindruckende Berglandschaft bergab nach Bach, von dort aus fuhren wir schließlich nach Innsbruck. Wir verbrachten die nächsten Nächte in der Jugendherberge in Innsbruck und hatten die Gelegenheit, die Sehenswürdigkeiten und kulturellen Höhepunkte der Stadt zu erkunden, die Abende am See zu verbringen und uns langsam von den Alpen zu verabschieden.

Als wir mit dem Zug nach Dresden zurückfuhren, freuten sich alle auf ihre eigenen Betten und die Privatsphäre, die in den großen Mehrbettzimmern zu kurz gekommen war. Allerdings mischte sich auch Wehmut darüber mit hinein, dass wir nun keine Berge mehr sahen.
Nach einem Tag Pause trafen wir uns im Künstleratelier von Thomas Baumhekel und Stefan Schröder, um das Erlebte aufzuarbeiten. Auf der Grundlage unserer unterwegs entstandenen Zeichnungen malten wir gemeinsam zwei große Alpenbilder. Das war eine wunderschöne Gelegenheit, um die Eindrücke der Reise nochmal lebendig werden und in eine künstlerische Arbeit einfließen zu lassen. Die Bilder hängen inzwischen längst in unserem Klassenraum und nehmen unsere Gedanken gelegentlich mit auf eine Wanderung in die Bergwelt der Alpen.

 

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