Völlig entrechtet haben die Sinti und Roma unter entwürdigenden Verhältnissen in dem Barackenlager am Steinfelder Weg gelebt, ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Nach fünf leidvollen Jahren wurden sie 1940 in das Zwangsarbeitslager Belzec im heutigen Polen abtransportiert. Überlebt haben nur wenige.
Entstehung der Gedenkstelle
Eine Gedenktafel in der Flensburger Innenstadt, die auf die Sinti-Familien Laubinger und Weiß und deren Zwangsumsiedlung in die Nähe der heutigen Waldorfschule sowie die spätere Deportation aufmerksam macht, regte Constanze Hafner vor einigen Jahren dazu an, Kontakt aufzunehmen mit dem Historiker Dr. Sebastian Lotto-Kusche von der Europa-Universität Flensburg. Er forschte bereits seit einiger Zeit im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit auch über das Schicksal der Flensburger Sinti und Roma und sagte sofort seine Unterstützung zu. Schnell stand fest: Dem Gedenken und dem Erinnern dieser vergessenen Menschen soll ein Ort geschaffen werden genau dort, wo diese Verbrechen stattgefunden haben. An der Schule gründete sich mit dem Kunstlehrer Achim Langer, dem Geschichtslehrer Sven Roevens und Constanze Hafner ein Projektteam. Alle waren davon überzeugt, dass hier gehandelt werden müsse und sowohl ein pädagogischer wie auch humanitärer Auftrag zu erfüllen sei.
Um das Projekt realisieren zu können, begann das Team, Spendengelder von Stiftungen und Privatleuten zu erbitten. Als Schirmherrin stellte sich die ehemalige Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange dem Projektteam an die Seite.
Inhaltlich thematisierte Sven Roevens Antiziganismus und Rassismus im Unterricht und holte die Wanderausstellung «Der Lange Weg» an die Schule, mit der sich alle Schüler:innen der Oberstufe beschäftigten.
Die Gestaltung
Neben der bewussten, gedanklichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist die Kunst das geeignetste Mittel einer Schmerzverarbeitung, eines Gedenkens, welches bis in das Gefühl und den Willensimpuls, das heißt in zukünftige Tätigkeit, greifen kann. Kunst befähigt zum Umwandeln, ohne zu vergessen; durch sie kann der Mensch Selbstbestimmung und Freiheit, Erinnern und Neugestaltung unmittelbar und gleichzeitig erleben.
So kreierte der Kunstkollege Achim Langer in enger Zusammenarbeit mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats deutscher Sinit und Roma Matthäus Weiß und mit Schüler:innen der Oberstufe einen Raum des Gedenkens auf dem Schulgelände, der umgeben ist von 44 Rosensträuchern – ein Strauch für jedes Opfer. Der Weg führt die Besucher:innen zu drei Holzbänken, die zum Verweilen, zum Innehalten einladen. Dort befindet sich das Zentrum und damit das Herz der Gedenkstätte: Achim Langer entwarf eine Bronze-Skulptur, die aufrichtende Kräfte erlebbar macht, «die es braucht, um dem Rassismus zu widerstehen», so der Künstler. Zugleich wirkt die Plastik wie ein behütender Engel. Platziert ist das Werk auf einer mit narbenhaften Rissen versehenen Erdhalbkugel, die eine Überleitung bildet zu einer Stele, auf der die bislang 44 bekannten Opfer namentlich benannt sind. Deren Schmerz, so ist ersichtlich, ist in die Erde geschrieben. Gegenüber der Skulptur steht eine Schrifttafel, auf der unter anderem ein Zitat des Lyrikers Karol Parno Gierliński zu lesen ist: «Vielleicht findest du in der Asche der verbrannten Träume deinen Funken?»
Ein großes Anliegen der pädagogischen Umsetzung, die Sven Roevens übernommen hat, war es, Vorurteile gegen Sinti und Roma, aber auch gegen andere Minderheiten abzubauen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Demokratie und die Menschenrechte als Basis von Gemeinschaft. Im Kontext der Gedenkstelle hat das Projektteam seit 2022 einen jährlichen Projekttag im Schulprogramm installiert. Angeboten werden Workshops namhafter Expert:innen, die den Schüler:innen Gelegenheit geben, aus unterschiedlichen Blickwinkeln in die Thematik einzutauchen. Sei es, dass die Geschichte der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein interaktiv in einer Wanderausstellung erkundet wird, Fragen der Selbst- und Fremdbezeichnung als Ursprung von Rassismus bearbeitet oder Biografien im Rahmen von historischer Quellenarbeit konkret werden – stets geht es um eine Erkenntnis, die aus dem Verständnis des Vergangenen zu einer Haltung in der Gegenwart führt. Auch am Tag der Einweihung der Gedenkstette fanden etliche Workshops an der Schule statt. Themen waren Versöhnung, Diskriminierung, Geschichtsschreibung, Menschenrechte und Minderheiten.
Kamil Majchrzak, ein Nachkomme eines polnischen KZ-Überlebenden, zeigte seinen Film «Contemporary Past». Darin geht es um eine internationale Jugendgruppe, die sich im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald mit der Geschichte der Sinti und Roma befasst und durch diese gemeinsame Arbeit an der Vergangenheit wertvolle Impulse für ihr Leben in der Gegenwart erhält.
In seiner Ansprache zum nachmittäglichen Festakt erzählte Matthäus Weiß, Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma e.V., Landesverband Schleswig-Holstein, von seiner Mutter, die mehr als fünf Jahre KZ-Haft überlebt hatte. Sie gab ihrem Sohn gleichwohl als Mahnung für sein ganzes Leben eindringlich mit auf den Weg: «Wir dürfen keinen Hass fühlen, egal in welche Richtung». Dieser große und kostbare Satz soll das Herzstück der künftigen Gedenkstellen-Arbeit sein!
Zum Festakt gaben viele Menschen der Schule und unserem Projekt die Ehre: neben der Vorsitzenden der Bundesvereinigung der Sinti und Roma Kelly Laubinger kamen auch der Minderheitenbeauftragte des Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein Johannes Callsen sowie die Schirmherrin Simone Lange. Ministerpräsident Daniel Günther ließ Grüße ausrichten, die Bildungsministerin Schleswig-Holsteins Karin Prien besuchte die Gedenkstätte im Dezember. Der NDR sendete einen Bericht am gleichen Abend, dem 29. September 2023.
Die Rückmeldung der Schüler:innen war durchweg positiv, so die Zehntklässlerin Luisa: «Als im Film gesagt wurde, dass einige Menschen den Holocaust leugnen, war das für mich unfassbar! Insgesamt sollten wir solche Veranstaltungen öfter machen.»
Und Martha und Tive aus der zwölften Klasse resümierten: «Geblieben von den Workshops sind uns eine höhere Sensibilisierung und ein besseres Wissen von Minderheiten in Flensburg und in Deutschland – und deren Erfahrungen mit Rassismus.»
«Nie wieder», so lässt es sich zusammenfassen. Und dieses «Nie wieder» bedeutet «immer wieder» hinschauen, nicht wegsehen, wenn Unrecht geschieht, das Schicksal der Nächsten zum eigenen Schicksal machen. Aus dem Leid, aus der «Asche der Anderen» neues Licht der Liebe entzünden.
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