«Es ging mir wie wahrscheinlich jeder Person, die den Campus zum ersten Mal betritt: Alle sind erstaunt über diese kleine Oase in der Stadt!» Mit diesen Worten beschreibt Luise Mack ihren ersten Eindruck vom Studienzentrum der Alanus Hochschule in Mannheim. Das nordöstlich der Stadtmitte gelegene Gelände ist mittlerweile Standort zahlreicher Ausbildungsangebote: Neben dem Institut für Waldorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität und der Akademie für Waldorfpädagogik gibt es auch eine Fachschule für Erzieher:innen und das Waldorferzieher:innenseminar. Für angehende Waldorflehrkräfte führen hier viele Wege zum Ziel: Ob Hochschulstudium mit Bachelor- beziehungsweise Masterabschluss oder Fort- und Weiterbildung an der Akademie, ob Vollzeit, Teilzeit oder berufsbegleitend – für nahezu jede Lebenssituation gibt es ein passendes Angebot. Gleiches gilt für die Heilpädagogik, deren inklusives Berufsfeld heute eine große Bandbreite hat.
Während ihrer Tischler:innenlehre hatte Mack Einblicke in den Werkunterricht der benachbarten Waldorfschule erhalten und war fasziniert von der besonderen Stellung, die künstlerisch-handwerkliche Fächer dort haben. So reifte ihr Entschluss, Waldorfpädagogik zu studieren. Aktuell steht sie im dritten Jahr des Bachelorstudiums Waldorfpädagogik kurz vor dem Abschluss. Ihre Kommilitonin Karolin Kapferer war nach einem abgebrochenen Jura-Studium auf der Suche nach neuen Perspektiven. «Ich hatte anfangs einige Vorbehalte, aber dann hat einfach alles gepasst», erinnert sie sich. Beim persönlichen Erstgespräch habe sie sich sofort verstanden und ermutigt gefühlt. So traf sie die Entscheidung, Waldorfklassenlehrerin und Fachlehrerin mit dem Wahlfach Handarbeit zu werden. «Heute fühle ich mich absolut am richtigen Platz. Das ist genau das, was ich machen will», sagt Kapferer, die im Herbst noch das Masterstudium anschließen wird.
Wertschätzung und Vertrauen
Hannah Zink wartete noch auf mögliche Zusagen verschiedener Hochschulen für einen Studienplatz, als sie von der Möglichkeit erfuhr, den Heilpädagogik-Bachelor in Mannheim zu machen. «Über Anthroposophie wusste ich nicht viel, ich hatte vor allem Klischees im Kopf», erzählt sie rückblickend. «Aber ich dachte, komm, guck es dir mal an!» Luise Mack beschreibt das gute Klima und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Dozierenden: «Alle sind sehr nahbar, das macht es für mich aus. Man fühlt sich gesehen, kann jeden direkt ansprechen.» Kapferer erlebt es ähnlich: «Diesen persönlichen Austausch kannte ich so von meinem anderen Studium nicht. Und trotzdem ist alles sehr professionell, das ist keine Kuschelpädagogik.»
Wahlfächer wie Handarbeit, Werken oder Musik belegen die Studierenden
ab dem Master-Studium mit den Teilnehmenden der Akademie. In zahlreichen AGs – etwa beim Theaterspielen, im offenen Atelier, im Hörraum®, beim Volkstanz oder im Chor und Orchester – begegnen sich Menschen der unterschiedlichen Bildungsgänge und kommen über ihre gemeinsame Leidenschaft zusammen. Auch im regulären Studium spielen künstlerisch-kreative Inhalte eine große Rolle. «Das hilft uns, Persönlichkeit und Resilienz zu entwickeln», ist Luise Mack überzeugt. «Dabei können wir alles, was wir in der Pädagogik brauchen, praktisch an uns selbst erfahren. Das ist wie ein Moment des Ausatmens, und gleichzeitig verinnerlicht man dabei genau das, worum es eigentlich geht.» Die Abschlüsse der verschiedenen, vier- bis fünfwöchigen, künstlerischen Module finden auf der Bühne statt. Vor den anderen auftreten, Applaus erhalten – auch das ist für viele eine neue Erfahrung. «Da bin ich dann plötzlich in einem Eurythmie-Kittel auf der Bühne herumgerannt», erinnert sich Zink und lacht. «Das hätte ich mir früher nicht vorstellen können, aber es war toll!»
Neue Impulse
Institut und Akademie haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt, wie im Gespräch mit den Dozierenden deutlich wird. Professor Thomas Maschke, der viele Jahre lang als Gastdozent tätig war, bevor er die Institutsleitung übernahm, bringt es auf den Punkt: «Die ursprünglich eher waldorfintern orientierte Ausbildungsstätte hat sich stark professionalisiert, die wissenschaftliche Arbeit intensiviert und den akademischen Austausch vorangebracht.» Dass so viele Kolleg:innen teilweise von weit her nach Mannheim anreisen, um hier Seminare zu halten oder an Forschungsprojekten mitzuwirken, hänge mit den großen Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort zusammen: «Sie kommen, weil sie hier innovative Ideen verwirklichen können. Unsere Hochschule ist ein Ermöglichungsraum für fachlich fundierte, sinnhafte Initiativen.»
«Freiheit in der Bildung braucht Infrastruktur und auch eine gewisse finanzielle Ausstattung, damit wir Dinge ausprobieren und entwickeln können», ergänzt Iru Mun, der als Professor für Musikpädagogik ein entsprechendes Masterstudium etablieren konnte. «Das ist hier möglich, weil es eine kluge Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Lehrkörper gibt.» Geschäftsführer Michael Schröder kam 2010 selbst als Student nach Mannheim und übernahm zwei Jahre später die Geschäftsführung. «Mit der Entwicklung zum Hochschulstandort im Jahr 2014 gingen zahlreiche Veränderungen einher: mehr Möglichkeiten in Lehre und Forschung, neue Gebäude auf dem Campus», so Schröder. Gerade ist ein Studierendenwohnheim mit 130 Einzimmerappartements fertig geworden.
Neben der Finanzierung durch den Bund der Freien Waldorfschulen ergänzen Drittmittel den Etat – Geld, das auch experimentelle und ungewöhnliche Vorhaben ermögliche, die für echte Innovationen unentbehrlich seien, ist Schröder überzeugt. Seine größte Motivation, so sagt er, seien die Begegnungen mit den Studierenden, etwa bei den Aufnahmegesprächen. «Dabei erlebe ich regelmäßig Momente, in denen ich tief beeindruckt bin und denke: Was für ein Geschenk, dass dieser junge Mensch zu uns kommt und später an eine waldorf- oder heilpädagogische Einrichtung gehen wird.»
Rückenwind für den Berufseinstieg
Damit dieser Wechsel möglichst reibungslos verläuft, unterstützt seit 2019 ein einjähriger Zertifikatskurs zur Praxisbegleitung den Berufseinstieg an den Schulen, wie Ina Grothe berichtet. Als Dozentin der Akademie und wissenschaftliche Mitarbeiterin für Didaktik und Methodik der Waldorfpädagogik am Institut kennt sie die Herausforderungen, mit denen die Nachwuchslehrkräfte im Berufsalltag konfrontiert sind. Schon während der Praxisphasen im Studium finden bundesweit Hospitationen und Lehrproben statt. Diese persönliche Betreuung wird im ersten Berufsjahr fortgesetzt.
Aufgrund der hohen Nachfrage an den Schulen sind die Absolvent:innen in einer komfortablen Situation, so Schröder: «Die Schulen bewerben sich regelrecht bei ihnen, und das teilweise sehr hartnäckig.» Im Berufsalltag prallen allerdings manchmal verschiedene Welten aufeinander, weiß Iru Mun: «Während des Studiums sind die Mitgestaltungsmöglichkeiten sehr groß. Die Studierenden schauen genau, wo sie sich nicht nur beruflich, sondern auch menschlich weiterentwickeln können.» Dem kann Ina Grothe nur zustimmen: «Die Studierenden tragen jede Menge Gestaltungswillen in die Schulen – dafür muss dann natürlich auch Raum sein, schließlich sind das wertvolle Impulse für die Zukunft der Schulen.» Neue Formate, wie eine Lernwerkstatt, sollen diese Dynamik im Studium zusätzlich befördern und der Praxis an den Schulen zugutekommen. Geplant ist ein offenes Labor mit freien Arbeitszeiten, in dem die Studierenden neue didaktische Methoden entwickeln können.
Brücke in die Praxis
Im heilpädagogischen Bereich ist die Nachfrage nach Fachkräften ebenfalls enorm, wie Professorin Ulrike Barth und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Fanny Stein berichten. Stein hat selbst in Mannheim studiert und den Master Waldorfpädagogik mit Schwerpunkt Inklusive Pädagogik belegt. Angesichts der personellen Engpässe in vielen Einrichtungen sei es eine Herausforderung, die Idee der Inklusion angemessen umzusetzen: «Während des Studiums behandeln wir die theoretischen Hintergründe und können damit aufzeigen, dass Menschen nicht nur aufgrund ihrer physischen und psychischen Gesundheit beeinträchtigt sind, sondern auch von ihren Mitmenschen an der gleichberechtigten Teilnahme gehindert werden. Behinderung als soziokulturelles Konstrukt zu verstehen, bietet den Studierenden die Möglichkeit, eigene Konzepte zu hinterfragen und stattdessen pädagogische Chancen, statt Limitationen zu sehen.»
Barth begleitete als Lehrerin eine Berliner Waldorfschule auf dem Weg zur Inklusion und promovierte über inklusive Waldorfpädagogik. «Es hat mich immer gereizt, eine Brücke zur allgemeinen Wissenschaft zu bauen», sagt sie. «Dieser Wunsch wird an der Hochschule sehr geschätzt und unterstützt.» In Sachen Inklusion sei die Gesellschaft in einem grundlegenden Transitionsprozess, so die Expertin: «die jungen Leute wollen die Gesellschaft verändern», meint Barth. «Dazu kann ich ihnen etwas an die Hand geben. Und wir empowern sie, Waldorfpädagogik und anthroposophische Heilpädagogik ins 21. Jahrhundert zu transferieren.»
Raum für Innovation
Mit den Bereichen Inklusion und Interkulturalität deckt Mannheim zwei wichtige Themen der heutigen Gesellschaft ab. Seitdem hier vor zehn Jahren ein Konzept für inklusive Pädagogik erarbeitet wurde, hat sich das Institut zu dem Ort für Inklusion in der Waldorfpädagogik entwickelt. Gleiches gilt für das Thema Interkulturalität, für das aktuell eine Stiftungsprofessur in Planung ist, die das wichtige Thema weiter fokussieren wird.
Wie es sich für eine Ideenschmiede wie Mannheim gehört, gibt es auch darüber hinaus jede Menge Zukunftspläne – zum Beispiel, einen zusätzlichen Studienort auf dem Land zu etablieren: 2020 hat die Hochschule in der Nähe von Kaiserslautern einen großen Bauernhof gekauft, auf dem sie einen kleinen biodynamischen Betrieb eröffnen möchte. Um den Betrieb dieses Projekts langfristig sicherzustellen, ist auf einem Teil der Fläche eine Photovoltaik-Anlage geplant. Eine weitere Vision ist die Eröffnung einer Laborschule. «Das wäre ein Traum, so etwas hier vor Ort zu haben», so Thomas Maschke «Wir wünschen uns eine Stadtteilschule, in der wir die Pädagogik in der Praxis weiterentwickeln können – das würde auch der Waldorfschulbewegung in der Breite sehr guttun.»
Vom Freien Pädagogischen Zentrum zum staatlich anerkannten Hochschulstandort
Der erste Kurs für angehende Waldorflehrer:innen fand 1978 in einer Villa in der Mannheimer Oststadt statt, 1983 wurde aus der Initiative die Freie Hochschule für anthroposophische Pädagogik mit ersten Gebäuden am heutigen Standort. 2008/2010 erfolgte die Akkreditierung der Studiengänge Bachelor und Master Waldorfpädagogik sowie Bachelor Heilpädagogik, 2011 die Gründung des Instituts für Waldorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität, das seit 2014 ein Studienzentrum der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft ist. Im Jahr 2021 wurde der Master Beratung und Leitung im heilpädagogischen und inklusiven Feld akkreditiert. Der neue Masterstudiengang Musikpädagogik befindet sich aktuell in den letzten Schritten des Akkreditierungsprozesses.
Heute belegen rund 350 Studierende die verschiedenen Bachelor- und Masterstudiengänge des Instituts, in den Weiterbildungen der Akademie für Waldorfpädagogik qualifizieren sich derzeit rund 230 Personen für eine Tätigkeit als Waldorflehrer:in. An den Fortbildungen und Tagungen von Akademie und Institut nehmen jährlich mehrere Hundert tätige Waldorflehrkräfte und Pädagog:innen teil.
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