Historisch

Jörgen Smit: Mit schnörkelloser Herzensgüte

Nana Göbel
Jörgen Smit. Foto: © Michiel Wijnbergh

Smit hatte Klassische Philologie in Oslo und Basel studiert und stand schon als junger Mensch voll im Einsatz für die Anthroposophische Gesellschaft. Dem 26-Jährigen war die spirituelle Menschenerkenntnis genauso wichtig, wie das lösungsorientierte Handeln. Smit war ein Freund des Wesentlichen, Geschwätz konnte er nicht ertragen. Sein Lebensmotto lautete: Übe! 

Smit unterrichtete 24 Jahre an der Waldorfschule in Bergen und führte dreimal eine Klasse von der ersten bis zur siebten Klasse. Ein Freijahr nutzte er 1955/56 für eine Griechenlandreise und den Besuch vieler europäischer Waldorfschulen. 

Neben seiner Lehrertätigkeit übernahm Smit ein starkes öffentliches Vortragsengagement in Skandinavien. 1966 übersiedelte er nach Järna in Schweden und baute dort mit Arne und Gertrud Klingborg sowie Rut Nilsson das Rudolf Steiner Seminariet auf, wo in Folge im Sommer regelmäßig die nordischen Lehrertagungen stattfanden. 

Jörgen Smit beteiligte sich intensiv am Aufbau einer Zusammenarbeit der Waldorfschulen in Europa, u.a. an der Bildung eines Beraterkreises innerhalb der Pädagogischen Sektion am Goetheanum. Unterschiedliche Positionen stellten für ihn kein Hindernis in der Zusammenarbeit dar. In seiner nüchternen Gedankenklarheit nahm er Sachverhalte gründlich auseinander und löste dadurch so manche Verwirrung auf. Er hatte auch den Mut, ungeliebte Positionen zu vertreten, wenn es ihm sachlich angemessen schien.

Von 1968 bis 1975 leitete Smit die skandinavische Waldorflehrerausbildung. 1975 wurde er in den Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft berufen und übernahm die Leitung der Jugendsektion am Goetheanum in Dornach. Er engagierte sich zusammen mit Heinz Zimmermann in der Schweizer Lehrerbildung, und leitete schließlich von 1981-1989 die Pädagogische Sektion am Goetheanum. Smit prägte die Weltschulbewegung maßgeblich. Die europäischen und außereuropäischen Schulen luden ihn als geistigen Impulsgeber oft und gerne ein. Mit ihm zog eine integrierende und geistige Autorität und Kraft in die gemeinsame Arbeit ein. 

Smit ergriff die Initiative für eine Weltlehrertagung: 1983 fand die erste zum Thema »Wie entsteht erzieherisches Wirken aus meditativ erübter Menschenerkenntnis?« in Dornach statt, zu der 1.500 Kollegen aus allen Erdteilen kamen. Der große Saal des Goetheanum platzte aus den Nähten, sogar die Bühne musste bestuhlt werden. Er leitete die Tagung mit folgenden Worten ein: »Diese Tagung findet statt in einer Zeit, in der es nicht übertrieben ist zu sagen, dass die ganze Menschheit ... wie durch einen Engpass hindurchschreitet, in dem es um die ganze Zukunftsexistenz der Menschheit geht. Die ernstesten Erwägungen sind am Platze. … Es geht darum, dass wir mit allen Kräften den sich inkarnierenden Menschenseelen einen menschenwürdigen Weg bereiten durch die erste Kindheit hinauf zur Jugend bis zum Erwachsensein.« Etwa 65 Jahre nach der Gründung der ersten Waldorfschule und dem Aufbau einiger weniger Pionierschulen begann sich jetzt die Phase der großen, weltweiten Ausbreitung anzukündigen. Mit dieser Tagung wurde die Waldorfbewegung erstmals als Weltschulbewegung erlebbar.

Smit baute die Arbeit der Pädagogischen Sektion aus, wobei es ihm immer wichtig war, die Welt nicht nach theoretischen Modellen einzurichten, sondern zu beobachten, welcher Mensch für welche Aufgabe geeignet ist. Diese Gabe bezeichnete sein Nachfolger Heinz Zimmermann als »sach­liche Herzensgüte«. 

Smit einte die Waldorfbewegung durch seine geistige Stringenz, seine Tiefe, seine Wahrhaftigkeit. Schnörkelei war ihm zuwider. Wenn es nichts Gescheites zu besprechen gab, schwieg er. Konventionen lehnte er ab. Um diesen freiheitsliebenden Menschen mit seiner tief verankerten geistigen Unabhängigkeit vereinigten sich die Menschen. Er wurde von Menschen jeglicher Couleur und Alters akzeptiert und geliebt. Jörgen Smit starb am 10. Mai 1991.

Literatur: J. Smit (Hrsg.): Erziehung und Meditation. Wie entsteht erzieherisches Wirken aus meditativ erübter Menschenerkenntnis? Dornach 1983 | N. Göbel: Die Waldorfschule und ihre Menschen. Weltweit. Geschichte und Geschichten. 1919 bis 2019 (3 Bände), Stuttgart 2019