Peripherie

Keine Zeit für Fortbildung?

Martyn Rawson
Ulrike Sievers

Weltlehrer:innentagung Dornach

In der Woche nach Ostern trafen sich etwa tausend Waldorfpädagog:innen aus 62 Ländern am Goetheanum in Dornach in der Schweiz. Jeder Morgen begann mit dem Morgenspruch in zwei verschiedenen Sprachen, gemeinsamem Singen und zwei kurzen Vorträgen. Die Redner:innen waren so vielfältig wie nie zuvor: Kindergarten-, Klassen- und Oberstufenlehrer:innen, Kolleg:innen aus Asien, eine Afroamerikanerin und mit dem Neurologen Professor Thomas Fuchs ein nicht-anthroposophischer Wissenschaftler. Anschließend trafen sich die Teilnehmenden in Gruppen, um die Vorträge nachzubesprechen – sehr lohnenswerte 90 Minuten!

Foren zu einer breiten Palette von Themen stießen auf großes Interesse. Am Forum über Vielfalt und Interkulturalität in der Waldorfpädagogik nahmen über 200 Personen teil, Beiträge wurden spontan ins Spanische, Englische und Deutsche übersetzt. In Martyns Workshop am Nachmittag ging es um die Frage, wie neue Lehrkräfte möglichst schnell lernen können, was sie zum Unterrichten brauchen – eine wichtige Frage vor allem für die vielen Länder, in denen es keine Vollzeit-Lehrer:innenausbildung gibt.

Für viele Lehrkräfte ist so eine Tagung eine einmalige Chance, die Internationalität der Waldorfbewegung zu erleben. Etwa 150 Lehrkräfte waren aus den USA und Kanada angereist, die Stichtse Vreije School, eine große Waldorfschule in Zeist, Niederlande, hatte 36 (!) ihrer Lehrkräfte nach Dornach geschickt. Viele Länder entsandten Teams aus Schulleitungen und erfahrenen Kolleg:innen, einige von ihnen kamen direkt von der Osterwoche in Kassel.

Deutschland macht mit 253 Schulen, über 9.000 Lehrkräften und 90.000 Schüler:innen einen beträchtlichen Teil der weltweiten Waldorfpopulation aus. Doch obwohl viele der deutschen Schulen nur ein paar Autostunden vom Goetheanum entfernt sind, war die Gruppe der Kolleg:innen aus der Bundesrepublik erstaunlich klein. In gewisser Hinsicht war das gut, denn es bedeutete mehr Plätze für Lehrkräfte aus anderen Ländern. Gleichzeitig wirft es Fragen auf.

Wir hatten beide das Glück, schon früh in unserem Dasein als Waldorflehrkräfte die Motivationskraft von Weltlehrer:innentagungen und anderen internationalen Tagungen erfahren zu dürfen. Wir konnten erleben, dass es sich um eine globale und vielfältige Bewegung handelt, die überall in der Welt mit Engagement und Idealismus weitergetragen wird. Woran mag es liegen, dass nicht mehr Lehrkräfte alle vier Jahre die kurze Reise von Deutschland in die Schweiz antreten?

Gehen Menschen einfach nicht mehr gerne zu Konferenzen, sondern hören sich statt Vorträgen lieber Podcasts an? Wird das Goetheanum von manchen als Symbol einer Anthroposophie angesehen, die sie in Frage stellen, und deshalb gemieden?

Sind deutsche Lehrkräfte etwa erschöpfter als ihre Kolleg:innen aus den Niederlanden, Finnland, Dänemark, Norwegen und deshalb zu müde zum Reisen? Es gibt doch wohl bei allen Fragen nach Erneuerung, Aufbruchstimmung, Interesse an einem Austausch mit Menschen aus aller Welt! Oder müssten die Schulen ihre Lehrkräfte finanziell und zeitlich mehr dabei unterstützen, zu Fortbildungen zu fahren?

Internationale Oberstufenfortbildung Kassel

In der seit vielen Jahren vor Ostern stattfindenden Oberstufentagung steht jedes Jahr eine andere Klassenstufe im Fokus. Kolleg:innen aus aller Welt setzen sich mit zentralen Oberstufenthemen sowie neuen Forschungsergebnissen auseinander. Die Vorträge aus verschiedenen Fachbereichen machen deutlich, wie in der Waldorfpädagogik die Schüler:innen mit ihren Entwicklungsmotiven im Zentrum stehen und die verschiedenen Fächer den Jugendlichen jeweils andere Möglichkeiten bieten, sich mit relevanten Fragen auseinanderzusetzen und daran zu wachsen – insgesamt eine inspirierende Mischung aus Arbeitsgruppen, Vorträgen, künstlerischem Tun, anregenden Gesprächen und guter Laune! Auch hier wären noch viel mehr Oberstufenlehrkräfte auch aus Deutschland willkommen!

Haben sowohl große Waldorftagungen mit übergreifenden Themen als auch Weiterbildungsveranstaltungen in Präsenz oder im Online-Format im Laufe der letzten Jahre tatsächlich an Anziehungskraft verloren? Einen Bedarf müsste es angesichts der vielen gesellschaftlichen Veränderungen eigentlich geben!

Wir fragen uns: Was ist das richtige Format, um Lehrer:innen, aber auch Eltern zu motivieren, sich mit anderen zusammen über Pädagogik auszutauschen? Gibt es das eine richtige Format oder leben die heutigen Angebote für lebenslanges Lernen vor allem von Vielfalt? Führen vielfältige Angebote dazu, dass dann alle weniger Teilnehmende haben oder locken sie eher mehr Menschen hinter dem Ofen hervor? Braucht es mehr Präsenz? Mehr Online? Mehr Kinderbetreuung? Mehr finanzielle und zeitliche Unterstützung durch Schule? Wie finden wir heraus, was Pädagog:innen und Eltern brauchen?

Gerne würden wir Ihre und Eure Erfahrungen dazu hören: Was bewegt Euch dazu, Euch auf den Weg zu machen – oder was hält Euch davon ab? Wie könnte es gelingen, noch mehr Lehrkräfte – auch über die Zeit der Ausbildung hinaus – zum kollegialen Austausch und zum Miteinander-Weiterlernen zu motivieren? Wie könnten alternative Angebote für diejenigen Kolleg:innen aussehen, bei denen es gar nicht an der Motivation, sondern an der zeitlichen und organisatorischen Machbarkeit liegt, dass sie bisher nicht an Weiterbildungen teilnehmen? Und die vielleicht wichtigste Frage: Wie können wir die Erfahrung verbreiten, dass gemeinsames Arbeiten, künstlerisches Tun, kollegialer Austausch und der Blick über den Tellerrand begeistern können und damit inspirierend und kräftigend wirken – damit all das weniger Arbeit als vielmehr ein Auftanken ist.

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.