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"Klassenlehrerin werden? Die Idee gibt mir Auftrieb!" Marelle Tann aus Estland

Sven Saar

Marelle arbeitet in einer nullten Klasse. Dieses Phänomen findet man immer häufiger an Waldorfschulen: ein Übergangsjahr zwischen Kindergarten und Schule, in dem Räumlichkeiten, Curriculum und Personal Brücken für die Kinder bauen. Der traditionelle Prozess, Schulreife festzustellen, scheint in diesem Kontext altmodisch: Dieser proaktive Ansatz konzentriert sich darauf, Kindern einen möglichst reibungslosen und organischen Übergang zu ermöglichen.

Marelle hat sich erst vor Kurzem zur Kindergärtnerin ausbilden lassen: Sie kam 2016 zu ihrer Schule, der Aruküla Vaba Waldorfkool in der estnischen Provinz, nachdem sie 13 Jahre lang eine Tankstelle geleitet hatte. Dann «forderte mein Sohn seine Kindergartenrealität heraus» (was für ein kindgerechter und vielsagender Satz!) und sie begann, nach Alternativen zu suchen. Beim ersten Besuch in einer nahegelegenen Waldorfschule fand sie vieles unordentlich, aber etwas zog sie zurück für einen näheren Blick, und allmählich «verliebte ich mich in sie!»

Anthroposophie war für sie schlicht sinnvoll und öffnete ihren Geist für viele neue Fragen. Sie ließ sich in einem in Stuttgart und Tartu entwickelten Programm zur Waldorferzieherin ausbilden und bekam bald eine eigene Kindergartengruppe in Aruküla. Jetzt leitet sie die Nullgruppe und mag die zusätzlichen Herausforderungen, die die Nähe der Schule mit sich bringt. Kann es bei den Sechsjährigen nicht zu Bindungsproblemen führen, wenn sie gerade zu dieser Zeit eine Lehrerin nur für ein Jahr bekommen, wo sie doch nach sicheren Beziehungen zu einer geliebten Autoritätsperson suchen? Marelle lächelt sanft: «Nun ... eigentlich würde ich sie auch ganz gern behalten ...»

Natürlich hat Marelle eine enge Bindung zu den ihr anvertrauten Kindern aufgebaut, doch eine Weiterführung der Gruppe als Schulklasse würde anspruchsvolle Prozesse erfordern: eine zusätzliche Ausbildung zum Beispiel und längerfristige Verpflichtungen. Sie würde auch die harmonischen Arbeitsbeziehungen vermissen, die sie mit ihren sieben Kindergartenkolleginnen aufgebaut hat. Aber sie fühlt sich bereit für größere Aufgaben: «Ich möchte mich wirklich weiterentwickeln, beruflich und persönlich. Ich bitte meine Kolleginnen und Kollegen immer wieder, in meinem Unterricht zu hospitieren und mir Rückmeldung zu geben, und ich bin auch an der Mitarbeit im Schulleitungsteam interessiert. Bislang habe ich immer jedes Jahr für sich genommen - jetzt sehe ich Perspektiven. Unsere Schule liegt in einer wunderschönen, natürlichen Umgebung, und wir könnten viel tun, zum Beispiel einen praktischen Zweig für die älteren Schüler entwickeln. Die Gesellschaft braucht dringend Impulse für Veränderungen, und wir sind gut aufgestellt, diese zu geben. Bin ich bereit, Klassenlehrerin zu werden? Ich bin mir da nicht sicher ... aber ich habe mir das schon lange immer wieder ausgemalt, und der Gedanke gibt mir Auftrieb!»


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