Haben wir Menschen ein Monster geschaffen? Bringen wir eigens mit bahnbrechenden Errungenschaften wie der Künstlichen Intelligenz unser Boot zum Sinken? Einige Gedanken dazu von Jürgen Beckmerhagen.
Die Bootsparabel
Wir haben den Sturm entfacht, mit unserer beständigen Suche nach technologischem Fortschritt. Doch nun, da der Sturm droht uns zu überwältigen, erscheint uns die Lösung so einfach wie banal: Verbieten wir doch einfach diese KI, die wir selbst geschaffen haben. Wie naiv ist das?
Der Sturm trägt den Namen ChatGPT, eine scheinbar harmlose Sprach-KI. Doch in Wahrheit ist sie zu einem mächtigen Ungeheuer herangewachsen, das uns nun bedroht. Das Schiff, das in Seenot treibt, ist die Menschheit selbst, die von ihrer eigenen Schöpfung zu ertrinken droht.
Es ist nicht mehr entscheidend, wie viel Wissen wir angesammelt haben, sondern vielmehr, wie wir dieses Wissen nutzen. Die bloße Größe unseres Schiffes, gemessen an der Anzahl der Planken, ist nicht ausschlaggebend für unser Schicksal. Es kommt darauf an, wie wir diese Planken anordnen, wie wir unser Wissen anwenden, um die Stürme zu überstehen.
Das Orakel von Delphi grüßt uns mit einer beunruhigenden Bootsparabel. Denn die Gespräche drehen sich immer mehr um die Bedrohung, die von künstlicher Intelligenz ausgeht. Selbst in meinem engsten Freund:innen- und Verwandtenkreis überwiegt die Angst vor dieser technologischen Entwicklung. Doch ich weigere mich, dieser Meinung blindlings zu folgen, trotz meines eingeschränkten Wissens.
Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenz irgendwann die Menschheit beherrschen könnte, löst bei vielen Menschen tiefgründige Ängste aus. Die Kontrolle und Macht, die von Dritten ausgeübt werden könnten, sind beängstigend real. Besonders die Beherrschung der menschlichen Sprache durch diese KI offenbart, wie sehr Worte uns beeinflussen können. Denn Sprache war und ist das mächtigste Mittel zur Verbreitung von Botschaften, sei es von Politikerinnen, Philosophen, Wissenschaftlerinnen oder einfach nur zwischen zwei Menschen. Doch trotzdem liegen die Handlungsoptionen stets beim Rezipienten - also bei Ihnen und mir. Es liegt an uns, den Sturm zu zähmen und die richtige Anordnung unserer Planken zu finden, um unser Schiff sicher durch die tosenden Wellen zu steuern. Denn das Verbot allein wird nicht ausreichen, um uns vor den Herausforderungen der künstlichen Intelligenz zu schützen. Es bedarf eines klugen Umgangs mit unserem Wissen und unserer Technologie, um eine Zukunft zu gestalten, in der Mensch und Maschine harmonisch miteinander existieren können. In dieser neuen Ära müssen wir die Macht über unsere eigene Schöpfung behalten und nicht erlauben, dass sie uns beherrscht. Es ist an der Zeit, den Sturm zu beherrschen und nicht vor ihm zu fliehen. Denn letztendlich liegt es in unserer Verantwortung, unsere eigene Zukunft zu gestalten - eine Zukunft, in der Menschlichkeit und Fortschritt Hand in Hand gehen. So sei es.
Veränderte Maßstäbe
Die Existenz von ChatGPT und ähnlichen Beispielen künstlicher Intelligenz ist das Ergebnis beträchtlichen technologischen Fortschritts, ermöglicht einerseits durch veränderte Größenordnung, in der Computer, Speicher und Computernetze heute gebaut werden. Andererseits liegt der künstlichen Intelligenz ein konzeptioneller Wandel zugrunde, wie Informationen gespeichert und verarbeitet werden.
Seit meinen ersten Gehversuchen in der Informatik Anfang der Siebzigerjahre hat die Datenverarbeitung erstaunliche Fortschritte gemacht. Die Veränderungen sind tiefgreifend:
- Monströse Großrechner wurden durch leistungsfähigere Geräte abgelöst, die sich in nahezu jeder Tasche befinden - Smartphones mit einem Leistungspotenzial, das die Technologie der Siebzigerjahre in den Schatten stellt.
- Teure Datenspeicher sind heute für relativ wenig Geld in SSDs und Festplatten mit mehreren Terabytes verfügbar.
- Auf einfache numerische Berechnungen und Tabellenkalkulationen beschränke Datenverarbeitungsmethoden haben sich enorm weiterentwickelt. Algorithmen wie neuronale Netze ermöglichen heute die Mustererkennung in Daten und das Treffen komplexer Vorhersagen.
- Fast jeder Rechner kann jederzeit und an jedem Ort der Welt mit jedem anderen Rechner blitzschnell Informationen austauschen.
All diese Entwicklungen haben die Datenverarbeitung schneller, leistungsfähiger und vielseitiger gemacht als je zuvor.
Konzeptionswechsel
Die Datenmodelle der künstlichen Intelligenz sind ein Spiegelbild unseres Verständnisses des menschlichen Gehirns. Sie bestehen aus einem Netzwerk von Neuronen, die wie eine menschliche Großhirnrinde funktionieren und Informationen verarbeiten können. Doch anders als bei der natürlichen Intelligenz, sind es hier keine Zellen aus Fleisch und Blut, sondern aus Bits und Bytes, die miteinander verschaltet sind.
Ein neuronales Netzwerk besteht aus einer Schicht von Neuronen, die als Eingangsschicht fungiert, einer oder mehreren Schichten von versteckten Neuronen und einer Schicht von Ausgangsneuronen. Die Neuronen nehmen Eingaben entgegen und geben Ausgaben aus, indem sie Signale über Synapsen an andere Neuronen weiterleiten. Das Netzwerk ist so trainiert, dass es die Synapsen zwischen den Neuronen optimiert, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen.
In gewisser Weise ist ein neuronales Netzwerk eine Art Künstliche Intelligenz, die wie ein Baby geboren wird und dann durch Beispiele und Erfahrungen lernt, wie man eine bestimmte Aufgabe ausführt. Durch das Trainieren mit verschiedenen Beispielen und Feedback passt das Netzwerk seine Verbindungen an und verbessert seine Leistung. Es ist in der Lage, Muster in Daten zu erkennen und Vorhersagen zu treffen, ohne dass es eine explizite Anweisung benötigt.
Herausforderung durch die Aufmerksamkeitsökonomie
Mit ansteigender Informationsflut wurden wir Zeug:innen einer neuen Art von Wirtschaftsordnung, die die menschliche Aufmerksamkeit als Währung betrachtet. Die Aufmerksamkeitsökonomie hat den Medienmarkt tiefgreifend verändert und der Wettbewerb um das Augenmerk der Nutzer hat dazu geführt, dass viele Inhalte im Internet auf Sensation und Unterhaltung ausgerichtet sind. Die Jagd nach Klicks und Likes kann dazu führen, dass wichtige Themen und vielschichtige Informationen vereinfacht oder sogar verzerrt werden, um schneller und leichter konsumierbar zu sein. Auf diese Weise kann die Qualität der verfügbaren Informationen leiden, was zu einer Erosion des Vertrauens und einer Fragmentierung der öffentlichen Debatte führte.
Dennoch hat die Aufmerksamkeitsökonomie auch positive Effekte, indem sie neue Möglichkeiten der Kommunikation und Partizipation eröffnet. Social Media und Online-Plattformen können ein Forum für den Austausch von Ideen und Perspektiven bieten und helfen, Menschen miteinander zu vernetzen.
Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der Gewinnung des Interesses der Nutzer und dem Angebot qualitativ hochwertiger und informativer Inhalte. Indem wir uns bewusst für fundierte und ausgewogene Berichterstattung entscheiden und gleichzeitig unsere kritischen Fähigkeiten schärfen, können wir dazu beitragen, das Potenzial der Aufmerksamkeitsökonomie zu nutzen, um einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben.
Herausforderung für die KIs
Trotz der vielen Fortschritte der Künstlichen Intelligenz ist die Qualität der Trainingsdaten von Chatbot-Systemen wie ChatGPT immer noch eine Herausforderung. Die Auswahl und Vorverarbeitung der Daten sind entscheidend für den Erfolg der KI. Wenn die Trainingsdaten aus unzureichenden Quellen stammen, können sie zu Verzerrungen im Modell führen, wodurch bestimmte Themen oder Fragen besser verstanden werden als andere.
Herausforderung für uns
Zurück zur Bootsparabel des Orakels von Delphi. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns auf den Kern dessen konzentrieren, was uns zu Menschen macht: unsere Fähigkeit zu kritischem Denken. Wir müssen uns bewusst machen, dass unsere eigenen Ideen und Technologien uns beeinflussen und uns in eine bestimmte Richtung lenken können, die nicht immer im Einklang mit unseren Werten und Überzeugungen steht.
Es ist daher von größter Wichtigkeit, dass wir uns selbst hinterfragen und unsere Verantwortung als Individuen erkennen, um sicherzustellen, dass wir nicht in die gleichen Fehler zurückfallen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Wir müssen uns fragen, ob unsere Handlungen und Entscheidungen auf Vorurteilen oder Ignoranz basieren und ob sie unsere Gesellschaft in eine positive oder negative Richtung führen.
Nur indem wir uns selbst herausfordern und unsere eigenen Annahmen in Frage stellen, können wir sicherstellen, dass wir eine bessere Zukunft schaffen, in der wir frei von Vorurteilen und Ignoranz leben können. Dies erfordert Mut und Engagement, aber es ist ein notwendiger Schritt, um sicherzustellen, dass wir als Individuen und als Gesellschaft vorankommen und eine Welt gestalten, die auf Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit basiert.
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