Sachbuch

Lebendigkeit eines Simultankünstlers

Gabriele Hiller

Dann nähert sich beides einander an wie beim «Denker» und verschmilzt schließlich miteinander wie bei «Adam und Eva» oder der «Hand Gottes», was zu einer extrem gesteigerten Wirkung von Lebendigkeit führt. Rodin arbeitete oft jahrelang an einem Werk und an vielen gleichzeitig. Bockemühl bezeichnet ihn deshalb als «Simultankünstler».

Im Einzelnen stellt Bockemühl die Skulptur «Schreitender Mann» vor und zeigt, wie beim Umrunden der Figur das Körperliche zurücktritt zugunsten einer Gestaltung des Schreitens selbst. Ähnliches geschieht bei «Nijinsky»: Tanz als Bewegungsvorgang wird zum Erlebnis.

Bockemühls Seh- und Kunsterfahrung lässt einen diesen konzentrierten und konzeptionell prägnanten Durchgang vertrauensvoll mitgehen, auch wenn manches als Ergebnis hingenommen werden muss, anstatt es mit dem Interpreten frisch zu erleben. Ein großes Lob gebührt dem Grafiker Franz Schubert, der das dafür notwendige Verhältnis von Text und Bild sowie Zitaten meisterhaft gestaltet hat.

Als fulminanten Höhepunkt erlebte ich die Schilderung, wie es Rodin gegen Ende seines Weges gelang, seine Skulpturen mit einem kontrastreichen, je nach Beleuchtung variierenden Hell-Dunkel-Spiel bis hin zur Transparenz des Steins zu beleben. In seinem letzten Werk, dem Denkmal für Balzac, steigert sich die Lichtdramaturgie bis zum Äußersten und lässt den plastischen Raum zu einem «Lebensraum voller Licht und Bewegung» werden. Auf zu Rodin!

Michael Bockemühl: Auguste Rodin. Band 17 der Edition Kunst Sehen. 112 Seiten, Info3-Verlag 2023, 16,80 Euro.

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