Ausgabe 05/25

Management mit dem Kompass

Gerhard Herz

Rudolf Steiner weist in den Kernpunkten (Rudolf Steiner Gesamtausgabe (23) darauf hin, dass es keine Universalarznei zur Ordnung der sozialen Verhältnisse gebe und dass immer das lebendige Zusammenwirken in Gemeinschaften die Richtung zum Sozialen schaffe. Unabhängig davon, ob man mit dem Begriff Selbstverwaltung nur den Anspruch bezeichnet, die Dinge in eigener Souveränität zu regeln und sie nicht zum Beispiel einer staatlichen Verwaltung zu überlassen, oder ob man damit eine bestimmte, selbst gewählte Form verbindet, die irgendwo zwischen basisdemokratischer und einer hierarchischen Struktur liegt, der Anspruch auf Selbstverwaltung bleibt eines der zentralen Lebensmerkmale einer Waldorfschule.

Weil es eben keine Universalarznei gibt, sondern vielfältige Formen und Vorschläge, muss diese Debatte immer wieder geführt werden. Sie kann auch vom Wandel der Generationen bestimmt sein, wie Ingo Krampen in der Erziehungskunst 1/2024 reflektierte, sicher scheint zu sein, dass alles, was schon ausprobiert wurde, vom hierarchischen Unternehmensmodell bis zur Selbstorganisation nach Frederic Laloux nie von Dauer ist, weil das lebendige Zusammenwirken immer wieder erstarrt oder einschläft.

Alle gleich, alle unterschiedlich


Die Waldorfschulen sind glücklicherweise sehr individuell in ihren Konzepten und in ihrer Entwicklungsdynamik und insofern ist es für jeden dieser sozialen Organismen sinnvoll, immer wieder an seinen Strukturen, also dem organisatorischen Knochengerüst und an seinen Prozessen, also dem Lebendigen darin, manchmal auch an seiner Vision und vor allem am Zusammenspiel aller Faktoren zu arbeiten. Eine Schule ist ein komplexes Wirkungsgefüge aus Pädagogik, Menschen, Zeitplänen, Räumen, Administrationsnotwendigkeiten und darauf bezogenen Aushandlungs-, Verantwortungs- und Entscheidungsprozessen, die jeweils unterschiedliche Perspektiven erfordern. Für einen kreativen Umgang mit dieser Kombination von Such- und Diagnoseprozessen und den anwendbaren Mitteln schlage ich den zwölfteiligen Kompass vor. Er orientiert sich an der 12er-Struktur von Wege zur Qualität, einer Methode zur partizipativen Sozialentwicklung. Da es sich um eine Heuristik, also eine Suchhilfe handelt, besteht auch nicht die Gefahr, dem Leben der Schule ein Modell überzustül-
pen. Ein Kompass gibt eben keine Route vor, sondern hilft, Wege zu finden, wenn ich weiß, welches Ziel ich habe.

Der Balanceakt


Selbstverwaltung ist der nicht zu beendende Versuch, akzeptable Strukturen und Ordnungen für die vielfältigen pädagogischen, organisatorischen, kommunikativen und finanziellen Aufgaben zu entwickeln, den Stoff- und den Formpol auf spielerisch-künstlerische Weise in Balance zu halten. Der vorgeschlagene Kompass sieht zunächst einmal sehr formlastig aus. Realisiert man aber, dass er nicht nur zwischen innen (Schulgemeinschaft) und außen (Schulsystem und Gesellschaft) vermitteln, sondern auch viele weitere Bälle in der Luft halten soll, muss er überschaubar und gleichzeitig komplex genug sein. Er muss unter anderem zwischen freiheitsbedürftigen Individuen und gemeinsam vereinbarten Aufgaben vermitteln, guten Unterricht gewährleisten, die waldorfpädagogischen und anthroposophischen Spezifika lebendig und entwicklungsfähig halten, Macht-, Führungs- und Verbindlichkeitsfragen zwischen allen Beteiligten lösen, allen das Gefühl und die Sicherheit geben, beteiligt und über die laufenden Prozesse immer aktuell informiert zu sein. Da wird schnell klar, dass ein ganz simples Verfahren weder der Stoffseite noch der Formseite gerecht werden kann. Drei Mandate – Geistes-, Rechts-, Wirtschaftsleben – zu bestellen, wie das vor vielen Jahren üblich war, stellt zwar ein anthroposophisches Ordnungsprinzip dar, reicht aber für ein effektives Management der heutigen Schulwirklichkeit nicht aus.

Gegenseitige Bezugnahme


Es könnte der Eindruck entstehen, dass dieser Kompass komplizierte Strukturen schafft. Dem wäre so, wenn es sich bei einer Schule um einen einfachen Zusammenhang handelte. Es ist aber nicht so, dass für jede zu bearbeitende Frage, sei es im Kollegium, im Vorstand oder in einer Delegation, jeder der zwölf Aspekte laufend bearbeitet werden müsste. Wenn es um strategische Fragen geht, konzentriere ich mich auf das Feld Gegenwartsgemäßes Handeln, wenn es um die Qualifikation und die Fortbildung des Personals geht, werde ich aus der Perspektive des Feldes Können arbeiten und wenn es um Konfliktfragen geht, nutze ich das Angebot des Feldes Vertrauen und das nachfolgende Feld Schutz oder wenn es um Leitung und Führung geht, kann mir Individuum und Gemeinschaft helfen. Weil die Aufgaben eben aus dem Leben kommen, ist es oft hilfreich, die Perspektiven der vorangehenden und nachfolgenden oder der jeweils gegenüber liegenden Felder mit einzubeziehen. Denn die Arbeitsfelder sind nicht beliebig, sondern aufeinander bezogen angeordnet. Das ist der Grund, warum dieses Verfahren sowohl ganz exoterisch in jedem Bildungs- und Sozialunternehmen als Management- und Qualitätsentwicklungsverfahren eingesetzt werden kann, als auch bewusst und undogmatisch den spirituellen Gestaltungsbedarf einer Waldorfschule zur Erschließung und Entwicklung der geistigen Dimension von Struktur- und Prozessfragen im Auge behält. Es ist der Anspruch dieses Kompasses, der seit zwanzig Jahren zur Orientierung und Gestaltung der Selbstverwaltung in Kindergärten, Schulen, sozialtherapeutischen Gemeinschaften, Klinken und Hochschulen eingesetzt wird, Selbstverwaltung ohne konzeptuelle oder dogmatische Fixierungen managen zu helfen, ein Hilfsmittel also, um immer wieder die passende Arznei zu mixen.

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