Ausgabe 01-02/25

Metamorphose am Wochenende

Heidi Käfer
Heidi Käfer


Was machen wir jetzt für die Zukunft? Wie gestalten wir diese und wie fangen wir damit an? Darüber kann man nachdenken und diskutieren, Flipcharts vollkritzeln und verschieden farbige Kärtchen beschriften. Man kann aber auch neue Wege wagen, einen, vielleicht zwei Schritte weitergehen, indem man ein paar Abzweigungen nimmt: Impro-Theater spielen, plastizieren, gemeinsam Rhythmus und Gehör finden oder sich als ein Organismus tanzend durch den Raum bewegen, sich verbinden mit dem eigenen Körper, mit seinen Kräften und mit dem Menschen gegenüber. Man kann im ständigen Schaffen Transformation finden. Vergehen und Erneuerung.

«Also, was ich nicht möchte, ist: 2034 wird die Waldorfschule so und so sein. Nein, Regnose bedeutet, wir sind schon da. Wir springen also geistig ins Morgen und fragen uns rückwärtsgewandt, wie wir dort hingekommen sind – und was sich ändern musste und konnte auf dem Weg dorthin.» Mit diesem Hinweis verabschiedet der Mitorganisator des «Metamorphose»-Workshops Nicolas Michél Müller die Teilnehmer:innen in Vierergruppen für eine kurze Brainstormingphase. Nur fünfzehn Minuten haben die Gruppen Zeit, sich zu überlegen, wie Schule und Waldorfpädagogik von morgen aussieht, um die gesponnene Vision vor den anderen Teilnehmer:innen als Theaterstück zu präsentieren. Ohne Skript und ohne an Schwung zu verlieren, performen die Gruppen dann ihre Regnosestücke, die die Zuschauer:innen auf eine Reise in neugierige Sinnesutopien und Erfahrungshäfen schicken sollen. Noch nervös, sich mit so wenig Zeit zu viert auf eine Vision zu einigen und womöglich noch etwas dramaturgisch Interessantes darzubieten, wurde ich im nächsten Moment überrascht von der Kraft des Augenblicks und verstand, wie wichtig der Faktor des Unbekannten doch ist. Das bestätigte auch Müller: «Wir brauchen nicht mehr als 15 Minuten Vorbereitung dafür. Es kommt vor allem darauf an, was in der Improvisation entsteht. Im echten Leben geschieht ja auch ständig Unvorhersehbares.»

Was ist Zukunft.Machen?


Zukunft.Machen ist eine der vier Qualitätsinitiativen des Bundes der Freien Waldorfschulen. Das Hauptanliegen des Projekts ist es, zusammen aktiv an der Gestaltung der Zukunft zu arbeiten. Dies geschieht im Rahmen ihrer zweimal im Jahr stattfindenden dreitägigen Workshops. Hier entstehen neue Ideen, Ansätze werden geprüft und interdisziplinär diskutiert. Das Projekt begleitet Menschen bei der Umsetzung ihrer Projekte an Schulen – sowohl beratend als auch finanziell. Angelehnt an die Grundprinzipien der Waldorfpädagogik – die Förderung von Kopf, Herz und Hand – will das Projekt Schüler:innen zu aktiven Gestalter:innen der Gesellschaft machen. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: Wie können wir heute so handeln, dass wir eine lebenswerte Zukunft ermöglichen? Bildung wird dabei als kreativer, ganzheitlicher Prozess begriffen. Zukunft.Machen kombiniert praktische Handlungskompetenzen mit ethischen Überlegungen und visionären Perspektiven. Es geht nicht nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern auch Mut und Eigenverantwortung zu fördern. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Förderung von Kreativität und unternehmerischem Denken. Gleichzeitig werden ethische Fragestellungen diskutiert: Welche Verantwortung tragen wir gegenüber der Umwelt, anderen Menschen und künftigen Generationen?

Töpfern, Trällern, Tanzmeditieren


«Die Zukunft.Machen-Leute sind schon ein bisschen durchgeknallt», lacht mir Ramón Louro entgegen, während er die letzten Tonskulpturen zurück in ihre 10-Kilo-Säcke stopft. «Das mag ich irgendwie», denke ich schmunzelnd. Was davor eine Stunde lang in Partner:innenarbeit aus grauer, feinkörniger Tonmasse geschaffen wurde, wird danach nicht gebrannt oder aufbewahrt, sondern war lediglich Gegenstand eines sozialen Aushandlungsprozesses. «Soziales Plastizieren» hieß die Einheit, durch die Louro uns am Samstagmorgen führte. Zwei Personen sitzen sich an einem Tisch gegenüber, dazwischen ein Barren Ton. Mit geschlossenen Augen und ohne Absprache sollen beide Personen nun eine Mauer hochziehen. Nach einer Weile dürfen die Konstrukteure ihr Werk begutachten, schließen die Augen wieder und bekommen dann die Aufgabe, einen Weg von der einen zur anderen Seite zu schaffen. Und am Ende wieder Augen auf, anschauen. Es vergehen keine zwei Sekunden und der Raum füllt sich mit sprudelndem Austausch über das, was da gerade geschehen ist. «Jedes mal, wenn ich deine Hand gespürt habe, ist meine sofort woanders hingewandert, ich hätte das sonst so invasiv gefunden», rekapituliert mein Partner Nick. Ich berichte unterdessen, wie ich aus einem von Nick geformten Turm immer wieder einen Tunnel bog, weil ich dachte, das sei die bessere Idee. Irgendwann fragte ich mich: Bleibe ich bei meiner Agenda oder gibt es Raum für andere Visionen? An welcher Stelle darf ich mich verwirklichen und wie entsteht Kooperation? Auf den sechs Arbeitstischen entstanden organische Kunstwerke, ästhetische Wogen, Flickenteppiche, die sich zu einem Gemäuer zusammensetzten. Das eigentliche Produkt war jedoch, soziale Dynamiken und sich selbst im Miteinander ein bisschen besser zu verstehen – einer der vielen Stränge an diesem Wochenende in der Vorbereitung auf die konkrete Projektarbeit. «Ich bin hier ganz alleine» ist ein Satz, den sich so manche:r schon einmal innerlich vorgesagt hat, vielleicht leise, bei einem Ziel vor Augen, beim Träumen. Diejenigen, die mit jenem inneren Zweifler vertraut sind, wissen, wie sich dieser Gedanke im Körper anfühlen kann. Vielleicht hängt er dumpf in der Brust, schwer an den Gliedmaßen, vielleicht fühlt man sich fragil wie ein rohes Ei. Und wie fühlt sich nun eine Erfahrung im Körper an, die uns das Gegenteilige vermittelt? Wie fühlt es sich an, sich aufeinander einzustimmen, zu harmonieren? Und wie fühlt sich die Erfahrung an, dass das Gemeinsame entstehen kann, eben weil ich meine Einzigartigkeit als Teil des Ganzen ausdrücke und etwas von mir preisgebe? Marzella Steinmetz, Musiklehrerin an der Freien Waldorfschule Berlin Mitte, führte uns mit einer kraftvollen Präsenz durch diesen Prozess, bevor wir mit der Tänzerin Verena Sepp in eine somatisch-tänzerische Einheit übergingen. Freies Tanzen mit und vor anderen war für manche purer Genuss, für andere ein großer Schritt aus der Komfortzone. Aber es bot die Möglichkeit neuer Begegnungen mit sich selbst, dem Raum und anderen tanzenden Körpern.

Der Nachhall


Es ist Mittwoch, 19.30 Uhr. An einem nasskalten Novemberabend treffen sich fünf der Workshopteilnehmer:innen über Zoom, um sich darüber zu unterhalten, was aus deren jeweiligen Projekten geworden ist. Martin Konrad, Lehrer an der Freien Waldorfschule Bonn und Mitorganisator bei Zukunft.Machen, stellt gleich zu Beginn fest: «Einerseits lassen wir bei Zukunft:Machen Projekte entstehen und begleiten die Umsetzung, das zweite ist aber der Moment, der Workshop an sich, der innerlich etwas in Gang setzt und etwas in den Alltag mitgibt.» Die anderen stimmen zu, Jona fügt hinzu: «Ich habe das Gefühl, man kommt an so einem Wochenende gerade erst rein und nimmt Fahrt auf, und dann ist es schon wieder vorbei. Hätten wir noch zwei Tage mehr, um uns noch dezidierter um die Planung und Umsetzung zu kümmern …» Am Alltag und dessen Herausforderungen kann das dann doch schnell scheitern, wie zwei Projektteilnehmerinnen sich bei diesem Treffen eingestehen. Sich auf das Fachabitur konzentrieren, irgendwie das neue Studium finanzieren, sich nicht verzetteln. Luise erzählt leidenschaftlich von ihrem Vorhaben, Schule zu transformieren. Und nicht nur irgendwie – «Ich will transformative Prinzipien des Burning Man in die Waldorfpädagogik einweben. Schule ist ein komplex adaptives System und die Burning Man Kultur ist eine sehr progressiv-kreative Art Gemeinschaft zu organisieren.» Wie will Luise das angehen? Sie hat Lust auf eine Promotion. Wer könnte da eine gute Ansprechperson sein? Das Team denkt mit und macht Vorschläge. Zukunft zu machen, bedeutet nämlich auch: Die Gewissheit, es gibt eine Gemeinschaft, in der man gesehen und unterstützt wird, und gemeinsam an wichtigen Visionen bastelt. Wir brauchen alle mehr davon.

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