Ausgabe 06/25

Neue Sicht auf sich und die Welt

Sabine Krieg


Sabine Krieg | Was hat dich motiviert zum Freiwilligendienst?

Titus Carbow | Ich hatte ein Jahr vor dem Abi ein Pausenjahr eingeplant und mich deswegen umgeschaut. Ich wollte gerne etwas mit Kindern machen. Dabei bin ich auf die Freunde gestoßen und fand die Idee gut, einen Freiwilligendienst zu leisten.

SK | War die Rudolf Steiner Schule Altona deine Wunscheinrichtung?

TC | Nein, die kannte ich vorher nicht. Ich komme zwar aus Hamburg, aber zu der Schule kam ich durch die Beratung von den Freunden. Es war überhaupt mein erster Kontakt mit anthroposophischen Einrichtungen.

SK | Was hat dir an der Waldorfschule besonders gefallen?

TC | Man merkt, dass da eine coole Stimmung ist. Positiv aufgefallen sind mir die künstlerischen Schwerpunkte, die musikalische Begleitung und die Sprüche durch den Tag.

SK | Wie sah dein Arbeitstag aus?

TC | Als Klassenbegleitung habe ich morgens die Kinder in Empfang genommen, habe ihnen zum Beispiel etwas vorgelesen. Im Unterricht selbst habe ich geholfen, wenn die Kinder mit den Aufgaben nicht weitergekommen sind. Außerdem war ich Pausen- und Essensaufsicht und nachmittags im Hort dabei.

SK | Wie hast du dich selbst gegenüber den Kindern erlebt?

TC | Das war vielschichtig: Ich musste die Balance finden und mal Respektsperson sein – also zum Beispiel als «Aufpasser» auf dem Schulhof. Ein anderes Mal konnte ich Spielgefährte sein. Ich war in der Klasse Ansprechperson und oft auch der Streitschlichter.

SK | Was war für dich ein prägendes Gefühl, wenn du an deinen Freiwilligendienst denkst?

TC | Das Gefühl gebraucht zu werden und Verantwortung zu tragen. Eine sehr wertvolle Erfahrung – finde ich! Das hatte ich vorher so noch nicht erlebt. Denn ich kam frisch aus der Schule, dort war es ja ein ganz anderes Gefühl: Da sitzt man nur immer auf seinem Platz und es würde niemandem groß auffallen, wenn man nicht da wäre.

SK | Welches Erlebnis hat dich besonders berührt?

TC | Da war ein Junge, der schüchtern war und wenig Kontakt zu anderen gesucht hat. Auch zu mir nicht. Im Lauf des Freiwilligendienstes konnte ich ihn aber davon begeistern, mit einem Zauberwürfel zu spielen. Ich habe ihm gezeigt, wie man ihn lösen kann und habe mich immer wieder mit ihm zusammengesetzt. Da hat es plötzlich gefunkt: Er war total interessiert und dann auch dankbar, weil er schließlich den Zauberwürfel allein lösen konnte. Und er wollte sogar, dass ich die Zeit stoppe – er ist so richtig aus sich herausgekommen. Sogar seine Eltern haben sich bei mir bedankt, weil er sich auch zu Hause verändert hat und interessierter geworden ist.

SK | Was für eine tolle Erfahrung! Gab es auch herausfordernde Situationen?

TC | Bei einem Kind ist es mir schwergefallen, ihn zu seiner Aufgabe zu motivieren und ihn zu überzeugen, am Platz zu bleiben. Einerseits war es von der Schule her meine Aufgabe, das zu tun. Andererseits habe ich aber auch gespürt, dass es diesem Kind wirklich schwerfällt, sich auf die Sache zu konzentrieren. Das Problem löste sich für mich, als klar war, dass die Diagnose AHDS hinter dem Verhalten steckt. Denn dann wurden die Regeln gelockert: Ich durfte mit dem Kind auch mal rausgehen und zum Beispiel ein Wettrennen machen. Ich habe es dann natürlich immer gewinnen lassen, damit es sich gut fühlt und motiviert in den Unterricht zurückgeht.

SK | Du hast ein feines Gespür für Menschen und ihre Bedürfnisse. Was nimmst du aus diesem Jahr für dich selbst mit?

TC | Verantwortung zu übernehmen und das Selbstvertrauen zu entwickeln, wenn ich zum Beispiel mit einer Klasse in die Pause rausgehe. Mir selbst das zuzutrauen: Ich bin da, ich kann das regeln, wenn ein Kind Probleme kriegt. Die Erfahrung nehme ich mit. Und natürlich ist es auch ein super Gefühl, dass sich die Lehrer auf mich verlassen und mir vertraut haben.

SK | Wie hast du die Seminare erlebt?

TC | Ich fand sie richtig cool. Allein schon wegen der Seminare würde ich den Freiwilligendienst jedem empfehlen. Tolle Gruppenaktionen haben die vielen Leute näher zusammengebracht. Die Seminare waren ein guter Rahmen für den Erfahrungsaustausch untereinander. Man konnte sich gegenseitig helfen, wenn jemand ein Problem in seiner Einsatzstelle hatte. Und beim Abschlussseminar waren alle ganz feierlich und in dem Bewusstsein: «Wir haben was geschafft!»

SK | Hat der Freiwilligendienst dich in deiner künftigen Berufswahl geprägt?

TC | Ja, klar, wie könnte er mich nicht geprägt haben. Bei mir war es eine positive Erfahrung, und ich behalte sie auf jeden Fall im Hinterkopf. Mit Menschen zu arbeiten – das hat sich bei mir zu hundert Prozent eingeloggt.

SK | Wie gut ist deinen Freund:innen aus der Schule ein FSJ bekannt?

TC | Mein bester Kumpel beginnt gerade seinen Freiwilligendienst in Kairo. Ich glaube allerdings nicht, dass das für viele Schüler:innen ein Begriff ist. Ich selbst bin auch nur durch Zufall darüber gestolpert. Daher lohnt es sich, finde ich, den Freiwilligendienst noch bekannter zu machen.

SK | Was würdest du denen mitgeben, die sich überlegen, ein Freiwilligenjahr zu machen?

TC | Von mir gibt es da eine klare Empfehlung. Ich kann allen ein Freiwilligenjahr als Perspektivenwechsel empfehlen. Und selbst, wenn man eine schlechte Erfahrung macht, ist es trotzdem eine wertvolle Erfahrung für einen selbst.

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