«Wer möchte Paprika? Wer möchte Chilis?», «Chilis!» lautet der fast einstimmige Jubelruf der Sechstklässler:innen, die heute ihre eigenen Beete mit selbst gezogenen Pflänzchen bestücken dürfen. Mit so viel Enthusiasmus hat Praktikant Fabian, der an diesem Tag die Klasse betreut, nicht gerechnet. Gartenbaulehrer Thomas Soppa raunt ihm zu: «Die Chilis sind aber scharf. Nach der Ernte der Früchte sollten die Schüler sich nicht die Augen reiben.»
Zwei Kinder rollen aus Erde Kugeln und bewerfen sich kichernd damit. Ein Blick von Soppa – und die Erde bleibt wieder am Boden. «Respekt muss schon sein». Und er meint damit nicht nur den Respekt, den die Kinder ihm, sondern auch dem Boden entgegenbringen. Bei den Kindern ist das in beiden Fällen Respekt im besten Sinne. Denn sie werkeln direkt weiter fröhlich in der Erde herum.
Verantwortung im Beet
Die Sechstklässer:innen haben mit ihren Beeten Glück: «In den ersten Jahren meiner Tätigkeit haben wir alle gemeinsam an allen Flächen gearbeitet», beschreibt Soppa sein Konzept. «Die Erträge gingen zum Großteil an die Mensa. Eine Mutter hat dann gefragt, warum die Kinder nicht mehr mit nach Hause nehmen dürfen. Zuerst war ich dagegen. Es geht ja um den Gedanken, etwas für alle zu tun. Doch dann habe ich mir diese Ausnahme für die sechste Klasse überlegt.»
Ihre Beete bepflanzen die Schüler:innen seitdem nach fachlich genauer Anleitung. Sie pflegen sie im Lauf des Gartenjahres und dürfen die Ernte mit nach Hause nehmen. «Doch vorher frage ich die Klasse: «Nehmen wir an, ihr seid 36 Schüler. Wir haben hier sechs große Beete, die jeweils 9,3 Meter lang sind. Wie viele von euch können dann an einem Beet arbeiten? Und wie lange sind die Beete, die jeder bekommt?» Da sieht man sofort, wer Freude am Entwickeln hat. Manche greifen zu, viele machen aber auch zu. Schon das gedankliche Zugreifen fällt ihnen schwer.»
Diesen ersten Schritt haben die Schüler:innen heute hinter sich. Begeistert rennen sie mit ihren Pflanzen zwischen den Beeten hin und her. Ursache und Wirkung folgen dabei mitunter erschreckend schnell. «Oh je!» Betreten steht eine Schülerin vor dem Praktikanten. In der einen Hand hält sie eine Pflanze, in der anderen die dazu gehörenden Wurzeln.
Soppa geht auf die Szene ein: «In der sechsten Klasse ist der kausale Zusammenhang sehr wichtig, das haben wir gerade gesehen. Pflege ich mein Beet, habe ich Erfolg, das gibt Bestätigung. Gieße ich nicht, vertrocknet alles.» Er lächelt verschmitzt: «Diese Erfahrungen sind sehr wichtig. Trotzdem bringe ich es nicht immer fertig, nicht zu gießen.»
Lebendige Verbindung nach außen
Bis zur Ernte ist es für diese Klasse noch ein weiter Weg. «Hier geht es gerade drunter und drüber. Wir legen ja nicht nur die Schülerbeete an.» Er weist auf die sattgrüne Pracht, die sich rings um ihn herum erstreckt: Tomatenpflanzen, die begehrten Chilipflanzen, Lobelien, Sonnenblumen, Kräuter.
«Der Verkauf von selbst gezogenen Pflanzen ist unsere lebendige Verbindung nach außen», erklärt der Gartenbaulehrer. Bei der Pflanzenaufzucht geht es ihm allerdings nicht nur um die biologisch-dynamische Konstellation: «Am Anfang habe ich mich stark an der Theorie orientiert – da kam das Fachpraktische zu kurz. Es wurde zu ehrfurchtsvoll», beschreibt Soppa seine Neuausrichtung. «Am Ende war ich gestresst von meinem Anspruch an mich selbst. Für mich stand schnell fest: Die Kinder müssen vor allem etwas mit den Händen tun. Das ist das Wichtigste. Das Biologisch-Dynamische sollte mehr als Ergänzung gelernt werden.»
Die Sechstklässer:innen packen ebenfalls mit an: Einer von ihnen stapft mit Gummistiefeln in einen Brennnesselbusch, packt mit Gärtnerhandschuhen ein paar Pflanzen, schneidet sie ab und trägt sie zurück zu seinen Mitschüler:innen. Soppa erklärt: «Die Brennnessel kommt ins Pflanzloch der Tomate und dient der Vitalisierung.» Doch vorerst schauen noch alle skeptisch auf die grünen Vitaminlieferanten, während der Gartenbaulehrer ergänzt: «Wir machen daraus auch Tee und Mischungen mit anderen Kräutern, zum Beispiel Erkältungstee». Diese werden zusammen mit Adventskränzen, Kräutersalz und vielem mehr auf dem Adventsbazar verkauft.
An Gewohnheiten rütteln
Das alles hat Tradition und ist längst Gewohnheit. Die stellt Soppa jedoch gerne in Frage: «Nach 40 Jahren im Gartenbau ist es mir immer noch wichtig, Dinge zu hinterfragen. Wir lernen ein Leben lang. Es geht dabei nicht ums Recht-Haben oder um Fehler, die machen wir alle. Geben wir sie doch einfach zu und fangen immer wieder von vorne an. Finden wir neue, spannende Lösungen!»
Von denen hält die Schülerin, die gerade schlecht gelaunt mit einer Gießkanne an Soppa vorbeistapft, im Moment wenig. «Ich war schon fertig, jetzt soll ich anderen helfen», schimpft sie. Soppa nickt lächelnd vor sich hin. «Ja, so ist das hier. Gartenbau ist ein praktisches Fach, in dem wir vor allem etwas für alle machen – nicht nur für uns. In den Fächern Handarbeit, Malen, Plastizieren, Werken, da nehmen wir in der Regel mit nach Hause, was wir angefertigt haben. Im Gartenbau arbeiten wir – außer in der sechsten Klasse – für alle.»
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Schüler:innen bis zur neunten Klasse nichts aus dem Gartenbau mitnehmen. Für sie stellt Soppa die Frage: «Wie mache ich was geschickt?» Wo stellen sich Rechtshänder:innen hin, wenn sie Pflanzen umtopfen und Abläufe wiederholen? Stehen die Pflanzen links, die Töpfe rechts? Wie halten sie Schraubendreher, wenn sie einen Schuppen bauen? Wie schlagen sie einen Nagel in die Wand? All diese Fertigkeiten brauchen die Schüler:innen, wenn sie mit Soppa einen Schuppen bauen oder einen Weg pflastern.
Achtung vor dem Handwerk
Zu tun gibt es in Ludwigsburg für alle gerade genug: Das Gartenbaugebäude weicht dem Kindergarten, der bislang hinter der Schule untergebracht war: «Einigen geht da die Romantik verloren», meint er und weist auf das mit Wein bewachsene Gebäude. «Aber im neuen Gebäude ist mehr Licht und Luft. Alles ist an einem Ort – inklusive Schuppen. Man kann das Gebäude sauber halten und alle haben mehr Platz.»
Für die neue Wirkungsstätte haben Soppa und seine Schüler:innen bereits tatkräftig zugepackt. Sie haben mit Elternmitarbeit die alten Pflastersteinwege entfernt, mit dem Hausmeister Gräben gezogen und Rohre verlegt. Insbesondere die Neuntklässler:innen, die in ihrer intensiven sechswöchigen Epoche im Landschaftsbau tätig sind, haben Dolen gesetzt und große Flächen gepflastert. «Haben die Schüler so etwas geschafft, stehen sie einfach anders im Leben. Handwerk ist wichtig, händisches Können», meint Soppa. «Der Umgang mit dem Handwerk ist ein großes Problem unserer Gesellschaft: Es gibt viel zu wenig Achtung davor. Alle reden nur noch von der KI. Doch die baut kein Haus, sie erleichtert Berechnungen und Abstimmung, aber sie baut nichts. Deshalb ist an einer Waldorfschule der Gartenbau noch viel wichtiger als vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten.»
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