Klimawandel, Wohnungsnot und Ungleichheit, Inflation oder Finanzkrise – jedes dieser Probleme hat damit zu tun, wie Wirtschaft heute gedacht und gelebt wird. Darüber hinaus ist unser Leben inzwischen bis in die Schule hinein von ökonomischen Imperativen und Handlungsmustern durchsetzt. Gleichzeitig steht dieser Omnipräsenz des Wirtschaftlichen ein vergleichsweises geringes Wissen über die ökonomischen Zusammenhänge gegenüber. Dementsprechend wird in der Bildungslandschaft seit Jahren eine Verstärkung ökonomischer Bildung gefordert und gleichzeitig intensiv über die richtigen Inhalte gestritten. Während sich im Regelschulbereich ökonomische Bildungsgänge längst etabliert haben, nehmen Waldorfschulen in dem unübersichtlichen Gemisch unterschiedlichster Bildungsvorstellungen und fachdidaktischer Konzepte noch immer eine vergleichsweise marginale Rolle ein. Dabei verfolgen sie weder ein einheitliches Konzept für ökonomische Bildung noch scheinen sie Wirtschaft und Politik in der Breite als pädagogisch relevant einzustufen – oder es gibt zeitliche oder personelle Hürden in der Umsetzung.
Und das, obwohl die Gründung der ersten Waldorfschule im Jahre 1919 im Zeichen einer von Rudolf Steiner mitgetragenen Transformationsbewegung stand, deren Ziel eine sozial und ökonomisch nachhaltige Umgestaltung der Gesellschaft war. Schulische Bildung im Sinne eines humanistischen Bildungsverständnisses, wie es der Waldorfpädagogik zugrunde liegt, zielt darauf ab, jedes Individuum darin zu unterstützen, seine Anlagen zu entfalten, um die eigene wie die gesellschaftliche Zukunft zu gestalten. Daher kann es nicht angestrebt werden, wirtschaftliche und sozial-ökologischer Fragestellungen zu übergehen oder eine einseitige Auseinandersetzung mit ökonomischen Denkmodellen zu betreiben. Fahrlässig wäre ein unreflektiertes Sich-mit-dem Strom-treiben-Lassen in einer von Wirtschaft und deren sozialen wie ökologischen Folgen geprägten Welt.
Vor diesem Hintergrund sind aktuell verschiedene Arbeitsgruppen mit der Ausarbeitung von Unterrichtsanregungen, Bildungsmaterialien für Lehrkräfte sowie curricularen Vorschlägen für die Integration wirtschaftlicher Bildung in den Waldorfunterricht beschäftigt – etwa im Rahmen eines seit Anfang 2024 laufenden Projekts der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Waldorfschulen, an dem neben der Autorin rund zwölf Expert:innen aus den Bereichen Waldorfpädagogik, Ökonomie, Ethik sowie Kultur- und Naturwissenschaft mitarbeiten.
Unterdessen wurde aber auch vom Verein der Steinerschulen in der Schweiz eine Handreichung entwickelt, die Lehrpersonen Anregungen geben soll, wie sie das Thema Wirtschaft in ihren Unterricht integrieren können. Inzwischen hat das Institut für soziale Dreigliederung in Berlin diesen Lehrplanentwurf in seinen Verlag aufgenommen, sodass dieser nun auch in Deutschland gedruckt erhältlich ist.
Die Anregungen der Schweizer Kolleg:innen liefern erste konkrete Ideen, wie Wirtschaftspädagogik an Waldorfschulen fächer- und klassenstufenübergreifend in ein bestehendes Curriculum integriert werden kann, während die enthaltenen menschenkundlichen Ausführungen einen Vorschlag für eine Einbettung in die waldorfpädagogischen Grundlagen machen. Abgedeckt vom Schweizer Lehrplan werden bislang vor allem die Klassenstufen 1 bis 9, wobei einzelne tradierte Themengebiete aus dem Klassenlehrer:innenbereich herausgestellt und dem Bereich ökonomischer Bildung zugeordnet wurden, beispielsweise die Ackerbau- und Handwerkerepochen oder die Grundrechenarten.
Darüber hinaus werden von den Autor:innen zusätzliche Inhalte vorgeschlagen, wie etwa die Einführung der doppelten Buchführung in Klasse 8, die in höheren Klassenstufen dann zu einem besseren Verständnis von Geld und dem heutigen auf Buchgeld und bankenbasierter Geldschöpfung basierenden Finanzsystem führen soll. Der Bereich der Oberstufe bleibt im Schweizer Lehrplanvorschlag aber mit Ausnahme von einigen Schlagworten und das Aufführen der Praktika weitestgehend ein offenes Arbeitsfeld. Gerade hier besteht mit Blick auf die deutsche Waldorfschullandschaft und deren überwiegende Schulzeit von zwölf Jahren und Vorbereitung auf das Abitur im 13. Jahr jedoch der größte Handlungsbedarf.
Dabei stellt sich die Frage, welches Ziel in der Vermittlung ökonomischer Bildung im schulischen Zusammenhang, insbesondere in der Oberstufe, angestrebt werden soll. Pädagogik, die vom Menschen her denkt, der sich zur Autonomie hin entwickelt, muss das Ziel der Mündigkeit verfolgen.
Mündig im ökonomischen Sinne ist, wer in einer arbeitsteiligen und globalisierten Welt einerseits selbstbestimmt seine materiellen, seelischen und geistigen Bedürfnisse befriedigen kann, andererseits aber auch in der Lage ist, sich in den sozialen Prozess der kollektiven Wertschöpfung sinnvoll einzubringen und die sozialen und ökologischen Konsequenzen eigener Handlungen zu überblicken sowie seinen Entscheidungen ethische Gesichtspunkte zugrunde zu legen.
Darüber hinaus weist ein holistisch aufgefasster Mündigkeitsbegriff auch auf den Freiheitsaspekt der Gesellschaft hin. Damit ist verbunden, dass mündige Bürger:innen in einer offenen Gesellschaft in der Lage sind, sich weit über die eigene ökonomische Beteiligung hinaus über das Gesamtgeschehen und komplexe Zusammenhänge zu informieren, sich Urteile dazu zu bilden und am übergeordneten Gestaltungs- und Regelprozess zu partizipieren – sei es in Form von Wahlen oder durch selbststätige Mitgestaltung gesamtwirtschaftlicher Prozesse und Strukturen.
In der Mittel- und Oberstufe kann das Urteilsvermögen der Heranwachsenden durch eine plurale Darstellung ökonomischer Grundkonzepte, deren Analyse und Diskussion geschult und ein fundiertes Wissen über Aufbau und Prozesse im derzeitigen Wirtschaftssystem sowie dessen Geschichte vermittelt werden. Wenn Schüler:innen darüber hinaus die Möglichkeit bekommen, eigene Erfahrungen zu machen, etwa im Rahmen von Praktika oder einer in den Unterricht integrierten Schülerfirma, und dabei auch Fähigkeiten wie Kooperation, Problemlösung und vieles mehr zu lernen und so ihre Kompetenzen auch im Bereich Future Literacy zu schulen, kann ein breites Fundament für wirtschaftliche und politische Mündigkeit in der Schule gelegt werden.
Der Schweizer Curriculumsvorschlag sollte dementsprechend nicht stehenbleiben bei der Bilanzierung von Einzelwirtschaften und einer Reduzierung auf betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, sondern muss um die gesamtgesellschaftliche Komponente im Sinne einer Buchhaltung auf volks- und weltwirtschaftlicher Ebene ergänzt werden. Die Schweizer machen dazu erste Vorschläge; dies muss aber noch erweitert werden.
Ausgabe 03/25
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