Manche Strategien, dem Personalmangel an deutschen Schulen zu begegnen, erscheinen äußerst fragwürdig: So schlägt etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vor, Teilzeitwünsche abzulehnen. Die Waldorfschulen setzen von jeher auch auf Quereinsteiger:innen: Schon immer gab es Menschen, die erst als bereits Berufstätige die pädagogische Berufung für sich entdeckt haben. An einer der Waldorfausbildungsstätten können diese Quereinsteiger:innen dann in Voll- oder Teilzeit einen neuen beruflichen Weg einschlagen.
Das klingt doch gut, könnte man nun meinen. Doch unsere Welt hat sich verändert. Der Bedarf an neuen Lehrkräften wächst kontinuierlich und an den Ausbildungsstätten befinden sich derzeit weniger Menschen in Ausbildung, als sie an den Schulen gebraucht werden. Mittlerweile sind daher 30 bis 50 Prozent der Quereinsteiger:innen ohne eine profunde waldorfpädagogische Ausbildung an unseren Schulen tätig. Die Zahl schwankt je nach Region. Die Not an einigen Schulen ist so groß, dass Menschen ins kalte Wasser geworfen werden, nicht selten sogar ohne jedwede pädagogische Qualifikation. Für eine intensive und umfassende Ausbildung an einem Seminar fehlt schlichtweg die Zeit. Der Unterricht muss besetzt werden – sofort.
Das führt nicht selten dazu, dass Menschen, die hochmotiviert ins Unterrichten einsteigen, nach kurzer Zeit überfordert und überlastet sind. Im schlimmsten Fall kehren sie den Schulen schon bald den Rücken. Zurück bleibt ein Gefühl der Resignation und des Scheiterns, auf beiden Seiten.
Ein weiteres Resultat der fehlenden Qualifizierung ist bei denen, die bleiben, eine Unterrichtsqualität, die den Ansprüchen der Waldorfschulen nicht gerecht wird. Ohne entsprechende Ausbildung und Begleitung haben die meisten Quereinsteiger:innen keine Chance, guten waldorfpädagogischen Unterricht zu bieten. Die Leidtragenden sind vor allem die Schüler:innen, aber auch das Image unserer Schulen leidet.
Neben der akuten Not der Schulen gibt es noch einen weiteren Grund, warum viele Quereinsteiger:innen keine Ausbildungsstätte besuchen: Die individuellen Lebensumstände der Einzelnen, die weder so viel Zeit noch so viel finanzielle Rücklagen haben, eine Vollzeitausbildung zu absolvieren. Es gibt Waldorfschulen, die eine Autostunde und mehr von der nächsten Ausbildungsstätte entfernt liegen. Weder kann man den Lehrkräften zumuten, dass sie wöchentlich neben dem Job solche Wege auf sich nehmen, noch ist ihnen aufgrund familiärer Verpflichtungen ein Fernbleiben von zuhause über mehrere Wochen möglich.
Wie kann es den Waldorfschulen dennoch gelingen, engagierte, professionelle und empathische Lehrkräfte zu finden? Diese Frage bewegt die gesamte Waldorfwelt. Auf allen Ebenen zwischen den 255 Schulen vor Ort und dem Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS) werden Lösungen gesucht und es wird viel diskutiert. Der Ruf nach schnell umsetzbaren Innovationen wird lauter. Aus dieser Suchbewegung heraus entstand das Konzept LehrPfade, welches sich zum Ziel setzt, die Lehrkräfteausbildung bundesweit zu erweitern. Der Fokus richtet sich hier konkret auf die Auszubildenden. Sie stehen im Zentrum und die Ausbildung wird an deren Bedürfnisse und Lebensumstände angepasst. Konkret heißt das, dass Quereinsteiger:innen zu 50 Prozent an der Schule ausgebildet werden und somit in einem geschützten Raum direkt in die Praxis eintauchen. Auch beziehen sie von Anfang an ein Gehalt beziehungsweise Stipendium. Die andere Hälfte der Ausbildung ist theoretischer sowie künstlerischer Natur. Sie erfolgt an bestehenden Waldorfseminaren sowie in unterschiedlichen Online-Formaten. Auf diese Weise wird die Ausbildung zu einem hybriden Modell, bei dem eine ausgewogene Mischung aus Präsenz und Online, Einzelbetreuung und Gruppe sowie seminaristischen, frontalen, konsumierenden, produzierenden und übenden Lernformaten entsteht.
Das Team rund um LehrPfade nennt sich Waldorf Ausbildung dual in Schulen (WALDiS). Es setzt sich aus einer multiprofessionellen Gruppe von Menschen zusammen, die ein gemeinsames Ziel haben: Unseren Schüler:innen genügend engagierte und reflektierte Erziehungskünstler:innen zur Seite zu stellen. Das WALDiS-Team versteht sich als Organisations- und Schnittstelle zwischen Auszubildenden, Waldorfschulen und -seminaren. Durch dieses Team erfolgt die Rekrutierung und Beratung der Quereinsteiger:innen sowie die enge Begleitung der Ausbildungsschulen. Gleichzeitig wird hier die Qualität der LehrPfade-Ausbildung sichergestellt. So ist etwa als Standard festgelegt, dass jedes Ausbildungsteam an der Schule regelmäßig supervidiert wird und fundierte Evaluationen erfolgen.
LehrPfade ist dabei bewusst als agiles Projekt angelegt, das sich mit Hilfe aller Beteiligten kontinuierlich weiterentwickeln darf. Die ersten Schulen in Bonn, Köln, Prien, Oldenburg, Walhausen sind gefunden und wollen im Rahmen einer zweijährigen Pilotphase Oberstufenlehrer:innen ausbilden. Zusammen mit dem WALDiS-Team machen sie sich auf den Weg und sind dabei, die Voraussetzungen an ihren Schulen dafür zu schaffen. Noch können sich weitere Schulen für die Pilotphase bewerben. Im Frühjahr 2025 soll ein Antrag in der Mitgliederversammlung des BdFWS gestellt werden, um diese Pilotphase finanzieren zu können, die dann zeitnah starten soll. Bis dahin gilt es jedoch noch einiges vorzubereiten: Die Fortbildung der Ausbildungsteams und Schulen, die Vorbereitung der Rekrutierung sowie die Bereitstellung von Online-Inhalten.
Mehr Infos: www.lehr-pfade.de
Ausgabe 06/24
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