Sachbuch

Zumutung Anthroposophie

Christian Boettger

Da kann es helfen dieses Buch aus dem Info3 Verlag von Wolfgang Müller zu nehmen und sich von ihm mitnehmen zu lassen auf eine Entdeckungsreise zu den Punkten, die in ernstzunehmenden Kritiken immer wieder angesprochen werden. Wolfgang Müller war Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk in den Ressorts Wissenschaft und Zeitgeschichte und hat in der Frankfurter Allgemeinen, der Zeit und der taz veröffentlicht.

Sein Fazit nehme ich vorweg: »Das Phänomen Steiner bleibt erstaunlich und leicht angreifbar. Nur diejenigen werden es für relevant halten, die wenigstens in Teilbereichen den klaren Eindruck gewinnenʼ, dass hier große Durchblicke gelungen sind, die unserer Zeit bitter fehlen; und die bereit sind anzuerkennen, dass Bedeutendes nicht immer auf die Weise in die Welt tritt, wie man das nach den gewohnten Kategorien erwarten würde.«

Auf den 180 Seiten dieses Buches finden die Leser:innen, wie es Müller selber bescheiden beschreibt, kleine Exkursionen in die zentralen Themen, die immer wieder in Kritiken aufgegriffen werden. Auch wenn die Waldorfpädagogik selbst nicht vorkommt erachte ich dieses Buch für Waldorflehrer:innen und vor allem auch interessierte Eltern als sehr hilfreich, denn Müller schafft es auf seinen Exkursionen sehr zielgerichtet Einstiege in unwegsame Gelände zu finden und dann prägnant formulierend auf die eigentlich entscheidenden Aspekte hinzuweisen. Aphoristische Gedanken bilden den Ein- und Ausstieg in und aus diesem Buch. Genial habe ich danach den Zugang in die faszinierende Darstellung Rudolf Steiners Lebensgeschichte empfunden. Müller schafft das indem er zunächst die Leser:innen in einen Vortrag Steines zu den polaren Lebensgeschichten von Leo Tolstoj und Andrew Carnegie mitnimmt und daran zeigt, wie Lebensgeschichten als Seelengeschichte tiefer lesbar werden. So kann er dann Steiners Lebensgang auf die ganz prägnanten und ihm wichtigen Aspekte beschränken und dabei gleichzeitig diesem bedeutenden Menschen gerecht zu werden. Sein Resümee ausdieser Darstellung: Es könnte »intelligent sein, sich das, was er zu sagen hat, anzuhören und mit den eigenen Wahrnehmungen in Beziehung zu setzen, …«. Danach geht er dann in der gleichen
Prägnanz der ersten zwei Kapitel durch die folgenden Themen: Anthroposophie und Wissenschaft, Philosophische Gesichtspunkte, Rassismus- und Antisemitismusdebatte, Anthroposophie und Religion, Medizin und zum Abschluss die Dreigliederung.

Wie schon geschrieben, fehlt die Pädagogik, die ja auch in der öffentlichen Debatte oft missverstanden wird. Und weiterhin geht Müller auch nicht auf die Herausforderung ein, die biologisch-dynamische Landwirtschaft als eine wegweisende Möglichkeit zu sehen, mit Pflanzen, Tieren und der Erde so zu leben und arbeiten, dass zumindest ein qualitativ hochwertiger und ökologisch vertretbarer Umgang gewährleistet ist. Müller arbeitet an den Themen, zu denen er kompetent schreiben kann und persönlich Zugänge hat und genau das zeichnet ihn und dieses Buch aus. Er schafft es durch seinen journalistischen Blick von außen, sowohl Insidern als auch Menschen, die bis jetzt wenig Berührung mit der Anthroposophie hatten, eine intelligente Blicklenkung auf die wesentlichen Gesichtspunkte und Fragen zu geben und zu zeigen, dass nur eine oberflächliche Urteilsbildung und Bequemlichkeit an den hilfreichen und wegweisenden Gesichtspunkten vorbeigehen kann.

Lange habe ich mich gefragt, ob der Titel Zumutung Anthroposophie für dieses Buch richtig gewählt wurde, denn zunächst dachte ich: mal wieder eine der üblichen kritischen Bücher, aber beim weiteren Nachdenken und nachdem das Buch gelesen ist, merkt man den mehrfachen Sinn in dem Worte »Zumutung«. Denn es ist ja richtig: sich Vertiefen in zunächst nicht leicht zugänglich Dinge ist eine Zumutung. Andererseits spricht Müller seinen Leser:innen Mut zu, sich in die Anregungen der Anthro­posophie zu vertiefen und sie dann auch mutig zu vertreten für eine freie und bewusste Gestaltung einer menschlicheren Welt.

Wolfgang Müller: Zumutung Anthroposophie. Rudolf Steiners Bedeutung für die Gegenwart. 178 Seiten, 14,90 Euro, Info 3 Verlag, Frankfurt a.M. 2021.

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