Schmetterlinge im Klassenzimmer

Simona Grünhage

Sich mit etwas vertraut machen, Vielfalt im Bekannten entdecken, Vertrautes immer wieder bestaunen und genießen, sowie Zusammenhänge aufspüren: Das sind einige der Motive, die mich neben dem tiefen seelischen Bild der Metamorphose dazu bewogen haben, beginnend mit meiner ersten Klasse durch die Klassenlehrerzeit hindurch die Welt der Raupen und Schmetterlinge zu entdecken. Der Umgang mit den Raupen im Klassenzimmer gestaltet sich nach ganz einfachen Kriterien: Die Kinder und ich nehmen nur Raupen auf ihrer Futterpflanze mit, oder solche Raupen, die ich mittlerweile kenne. Als Verantwortliche muss ich entscheiden, was ich gut begleiten und selbst erforschen kann. Weil im Schulalltag die Wochenenden und im Mai die Feiertage kommen, muss ich abschätzen, wie viel an zusätzlicher Arbeit ich abgeben oder zur Not alleine bewältigen kann, damit die Raupen auch in dieser Zeit versorgt sind.

Wie kommt man nun zu Raupen? Am schönsten ist es, man findet sie. Viele bekannte und schöne Schmetterlinge kommen vielerorts an Brennnesseln vor, so beispielsweise der Kleine Fuchs, das Tagpfauenauge, das Landkärtchen, der C-Falter oder der Admiral. Nun muss man den Blick für ihre Spuren entwickeln, Jahreszeit und Landschaft kennen­lernen. Den Kindern gelingt das oft sehr schnell. Auf Wanderungen nehme ich zum Sammeln gerne Sprossengläser mit, die einen Deckel mit Metallgitter haben.

Als »Stall« benutzte ich zunächst große Einmachgläser, die mit Gaze verschlossen wurden. Mittlerweile haben wir an unserer Schule für viele Klassen komfortable Zuchtkästen von Ento-Meier angeschafft. Das Internet bietet zudem Anregungen zum unkomplizierten und günstigen Bauen von Kästen. In einer kleinen Enghalsvase oder einem Schraubglas mit Löchern im Deckel steht das Futter, damit keine Raupe ins Wasser fällt und ertrinkt. Der Raupenstall muss sauber gehalten werden und seine Bewohner brauchen immer frisches Futter. Haben die Raupen sich verpuppt, kann das Futter entfernt und der Stall gereinigt werden. In manchen Jahren habe ich die Puppen auch aus dem Glas genommen und offen im Klassenzimmer aufgehängt.

Das Verpuppen und Schlüpfen ist so schön und beeindruckend, dass ich nichts darüber schreiben möchte. Viel schöner wäre es, wenn der eine oder die andere sich selbst den Schmetterlingen gewissenhaft zuwendete, um das kleine Wunder selbst zu erleben.

In meinen Klassen schlüpften bisher Tagpfauenaugen, Nachtpfauenaugen, Kleine Füchse, Eulen, Glucken, Schönbären, Admiräle, Zünsler, Landkärtchen, Distelfalter, C-Falter und Schwalbenschwänze. Manchmal haben wir Puppen in der Schule und auch zu Hause überwintern lassen. Das sind alles Falter, die noch nicht ernsthaft gefährdet sind. Diese Tiere aus der Natur heraus in menschliche Obhut zu nehmen, kann für Kinder ein Grundstein für ein verantwortungsvolles Umweltverständnis sein und es ist gegenwärtig tatsächlich zum Schutz der Falter angezeigt. Natürlich ersetzt es nicht den Schutz der Natur und die Bereitstellung von Futter- und Nektarpflanzen in den eigenen Gärten.

Zu den Erlebnissen im Klassenzimmer gehört es auch immer wieder, dass Raupen oder Puppen parasitiert sind. In der Unterstufe kann man diese Erlebnisse mit sinnigen Geschichten oder Gesprächen gut begleiten. Sich selbst sollte man vor Augen halten, dass in einem ökologischen Gleichgewicht in der Natur von 100 Eiern lediglich etwa zwei die Verwandlung bis zum Falter vollenden. In einer intakten Lebensgemeinschaft dient dies der Erhaltung der eigenen Art und im Rahmen des ökologischen Gleichgewichts der Erhaltung anderer Arten.

Im Klassenzimmer sind die Raupen und deren Verwandlung ein großes, leises Abenteuer: das Suchen und Finden, das tägliche Versorgen – und man sollte hier nicht unterschätzen, wie sehr bereits das Fressen, Ruhen, Wachsen und Häuten der Raupen die Kinder und Jugendlichen Tag für Tag fasziniert und beeindruckt –, die Gespräche, das Warten, das Beobachten jeder kleinen Veränderung und jedes Anzeichens des Schlüpfens und die Schönheit der jungen Falter, die die Kinder, wenn es so weit ist, vorsichtig ins Licht halten und fliegen lassen.

Im Klassenzimmer schlüpfen nach und nach die überwinterten Landkärtchen, Aurorafalter und – eines Morgens – auch ein Schwalbenschwanz. Jedes Schlüpfen wird von den Kindern als ein neues Wunder erlebt und ist ein Anlass, am Ende des Schulvormittags hinauszugehen: Wir bringen die Falter vorsichtig in die nahe Natur, wo sie Nektarpflanzen und Raupenfutterpflanzen finden. Den Schwalbenschwanz lassen wir im Schulgarten fliegen, wo wir ihn vorigen Sommer gefunden hatten. Wie der schöne große Falter in der Sonne seine Flügel ausbreitet und schließlich davonfliegt, wird uns allen lange in Erinnerung bleiben!

Zur Autorin: Simona Grünhage ist Klassenlehrerin an der Freien Waldorfschule Kassel und  in der Lehrerbildung am Kasseler Lehrerseminar tätig.

Literatur: G. Sturm: Das Wunder der Metamorphose, »Erziehungskunst« Heft 7–8/1994

H. Bellmann: Der neue Kosmos Schmetterlingsführer, Schmetterlinge, Raupen und Futterpflanzen, Stuttgart 2016

P. Lange: Lasst Schmetterlinge fliegen, Stuttgart vergriffen, übers Internet gebraucht erhältlich, Stuttgart 1991

www.schmetterling-raupe.de (u.a. CD-Bezug, Zucht-Tipps)

Das kleine Nachtpfauenauge und andere Schmetterlinge, Arbeitshilfe Nr. 15.24, Schulbiologiezentrum Hannover

www.naturschutzbuero-zollernalb.de/schmetterlinge/infos_diverse/Schmetterlingszucht.pdf

www.naturama.ch/uploads/files/website/Wiese_Schmetterlinge_Leitfaden_Haltung-und-Zucht.pdf