Ausgabe 12/24

Schüler:innen bauen Kleinroboter für Schulgarten

Jürgen Beckmerhagen

Sören Leonhardt, 33 Jahre alt, begann im Herbst 2022 als Quereinsteiger an der Waldorfschule Frankfurt/Oder mit Unterricht in Informatik für die Oberstufe. Im Februar 2024 erhielt er nach einer erfolgreichen Lehrprobe die unbefristete Unterrichtserlaubnis. Er unterrichtet 15- bis 18-Jährige an der Waldorfschule 45 Minuten pro Woche nach Lehrplan. Viele Schüler:innen meinen, sie hätten bereits alles, was man lernen müsse: ein Smartphone und die Fähigkeit, Informationen aus dem Netz zu fischen. Doch ihre berufliche Zukunft scheint ungewiss. «Einmal sagte mir ein Schüler: ‹Meine Mutter meint, ich soll dankbar sein, weil es mir an nichts fehlt. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich den Lebensstandard meiner Eltern nie erreichen werde.›» Alltag in deutschen Schulen, möchte man meinen.

Michel Garand, Gartenbaulehrer an der Schule, erzählte Leonhardt von einem sogenannten Farmbot: einem Roboter für die Präzisionslandwirtschaft im Kleinen, ideal für Beete, Schrebergärten oder den Schulgarten. Der Farmbot fährt auf Schienen über das Beet, misst, sät, jätet und wässert – und fotografiert dabei die Pflanzen. Er übernimmt Routinearbeiten – und kann Beete versorgen, wenn Menschen im Urlaub sind.

Leonhardt ist begeistert. Gemeinsam mit Garand entwickelt er die Vision einer Präzisionslandwirtschaft, die weit über die Optimierung von Anbauprozessen hinausgeht. Die Idee: Jeder Schritt der Lebensmittelproduktion soll in einer Blockchain, also einer kontinuierlich erweiterbaren Liste von Datensätzen in einzelnen Blöcken, transparent und unveränderbar dokumentiert werden. So könnten Verbraucher:innen nachvollziehen, wie viele Kilometer ein Lebensmittel zurückgelegt hat, wie viel Wasser es benötigte, wann es gesät und geerntet wurde und unter welchen Umweltbedingungen, etwa Bodenfeuchtigkeit oder pH-Wert, es gewachsen ist. Diese Transparenz könnte das Vertrauen in die Nahrungsmittelproduktion stärken und den Verbraucher:innen ein tieferes Verständnis für ihre Lebensmittel vermitteln.

«Lasst uns ein Start-up gründen», schlägt ein Schüler vor. «Start-up? Wisst ihr, was das bedeutet? Ein Unternehmen ohne Kapital zu starten, klingt erstmal spannend. Aber das ist nur der Anfang.» Leonhardt denkt an seine eigenen Erfahrungen: Disziplin, Fleiß und die oft monotone Arbeit, die dazugehören. Es reicht nicht, nur die Idee zu haben – der Schlüssel liegt in der ständigen Arbeit an der Umsetzung.

Drei Monate später, im November 2023, veranstalten die Ausbildungsmesse und die Sparkasse in Eisenhüttenstadt einen Innovationswettbewerb. Preisgeld: 1.000 Euro. «Das wäre doch perfektes Startkapital», sagt Leonhardt. «Aber dafür müssen wir unsere Idee so überzeugend wie möglich präsentieren.» Die Schüler:innen sind begeistert. Doch wie präsentiert man eine Idee, deren Zukunft ungewiss ist? Hoffnung und positives Denken sind die Schlüssel.

Die Schüler:innen der vier Klassen recherchieren, wie andere vor ihnen Geschäftspläne präsentierten und Investor:innen für ihre Ideen gewannen. Sie durchforsten Medien, hinterfragen Quellen, sortieren und analysieren die Informationen. Schritt für Schritt entsteht ihr eigener Plan – bunt, kreativ und vielversprechend. Jetzt fehlen nur noch ein, zwei Freiwillige, die auf die Bühne treten und ihre Idee präsentieren. Auch diese finden sich. Im November 2023 fahren die Schüler:innen der elften und zwölften Klasse zur Ausbildungsmesse. Zwei von ihnen stehen mit feuchten Händen vor einem fremden Publikum – und siegen! Der Innovationspreis, 1.000 Euro, geht an die Informatikschüler:innen der Waldorfschule Frankfurt/Oder. Als nächstes wird ein Gruppenfoto mit der Filialleiterin der Sparkasse gemacht, die sich einen Farmbot-Prototypen für das Foyer wünscht.

1.000 Euro sind ein guter Anfang, doch ein Farmbot mit allen Erweiterungen kostet mehr. Leonhardt, Garand und die Schüler:innen haben große Pläne. Leonhardt geht die Liste der Plastikteile durch: Kabelträger-Abstandshalter für 2,85 Euro, Saatgutbehälter für 6,65 Euro, Universalwerkzeughalter für 28,50 Euro. Die Liste ist lang. «Alles nur harter Kunststoff, und es gibt kostenlose 3D-CAD-Modelle mit den Originalmaßen», denkt er sich. «Warum sollten wir 10 Dollar für ein Gefäß ausgeben, wenn wir es selbst drucken können?» Er schlägt vor, einige Bauteile mit dem 3D-Drucker herzustellen. Die Schüler:innen legen los: Sie zeichnen, vermessen und erstellen 3D-Modelle am Computer. Dabei stellen sie fest: der Farmbot funktioniert mit seinen Schrittmotoren ähnlich wie eine CNC-Fräse oder ein 3D-Drucker.

Ein Schüler fragt sich, wie der Farmbot verhindern kann, bei Regen zu gießen. Sein Vorschlag: Statt eines festen Bewässerungsintervalls soll der Roboter die Wettervorhersage eines zuverlässigen Wetterdienstes nutzen. Der Linux-Rechner des Farmbots bietet eine passende Schnittstelle. Doch wie schreibt man ein Skript, das die Wetterdaten abruft und an die Steuerung übergibt? Selbst Leonhardt hat so etwas noch nie gemacht. Eine Gruppe von Schüler:innen nimmt die Herausforderung an und bittet ChatGPT um Hilfe. Sie lassen sich ein Skript zur Verarbeitung der Wettervorhersage generieren, analysieren es, passen es an und experimentieren weiter. Schon ist das Problem gelöst – der Farmbot wird künftig nur noch gießen, wenn es nötig ist.

In diesem Schuljahr wandelt Leonhardt Lastenregale in mobile Werkbänke um. Darauf werden die Schüler:innen in Gruppen kleine Farmbot-Prototypen bauen. Sein Ziel: Noch vor ihrem Abschluss sollen auch die Zwölftklässler:innen einen funktionierenden Prototypen erleben. «Der Weg ist noch lang und herausfordernd», sagt Leonhardt. Doch er bleibt optimistisch – für ihn ist der Weg dorthin ohnehin das Wichtigste.

Leonhardt betont einen weiteren wichtigen Aspekt seines Unterrichts: das Netzwerken mit lokalen Unternehmen. Ohne die Unterstützung von NetSys24 und ComService GmbH, beides junge Digitalunternehmen aus Frankfurt/Oder, wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Diese Firmen stellen der Schule ausgemusterte Hardware zur Verfügung, die Leonhardt und seine Schüler:innen gemeinsam wieder instandsetzen. Sie installieren freie Software wie Ubuntu. Die Schüler:innen lernen dabei, dass auch ältere Geräte für den Alltag bestens taugen. Nun hofft Leonhardt auf eine größere Spende, um in einen leistungsfähigeren 3D-Drucker zu investieren, mit dem sich robustere Bauteile herstellen lassen.

Am Ende profitieren die Schüler:innen mit ihren ganz unterschiedlichen Fähigkeiten von dem Projekt. Leonhardt erklärt: «Wer gerne präsentiert, blüht auf. Diejenigen, die gerne in Gruppen arbeiten, finden es spannend. Und die, die lieber logische Probleme lösen, werden gefordert. Jeder findet etwas, das ihm liegt.»

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