Ackerbauepoche
Zum Ende der dritten Klasse kam eine meiner Töchter stolzerfüllt nach Hause, im Beutel ein paar Möhren. Mit den Worten «Mama, diese Möhren essen wir mit der Erde. Die dürfen nicht gewaschen werden, die kommen von unserem Feld», durfte ich den Beutel entgegennehmen. Noch heute erinnere ich mich an den Glanz in den Augen, wurden mir doch gerade die wertvollsten und schmackhaftesten Möhren, die es je gegeben hat, gereicht.
Unmittelbar ist die Möhre in dieser Geste Ausdruck des Bodens, der Erdung und der Lebenskräfte. Die Kinder hatten den Boden ein paar Monate zuvor mit einem Holzpflug gemeinschaftlich vorbereitet. Sie haben gezogen, gemacht und geschwitzt. Echtes Teamwork! Die Möhre ist Ausdruck des Staunens, wenn endlich, etwa vier Wochen nach der Aussaat, die ersten zarten Blätter zu sehen sind. Sie ist Ausdruck der Geduld und der Freude, wenn im Herbst schließlich ein ganzer Streifen Möhren geerntet ist. Ein klein wenig wird man dabei selbst zur Möhre, kräftig, orange-grün, lila oder gelb. Im Ideal begleitet die Ackerbauepoche die Schüler:innen durch ein ganzes Schuljahr. Normalerweise ernten wir die Möhren, bevor sie zur Blüte kommen. Doch wenn ein paar Möhren stehen bleiben, erneut durch den Winter gehen und dann im Folgejahr in die Blütenbildung gehen, so trägt die Ackerbauepoche ihre unmittelbaren Früchte, während dieser frühen kindlichen Erfahrungen mit dem Boden.
Gartenbau
Beim Abendessen mit meinen inzwischen erwachsenen Töchtern kam das Gespräch, angeregt durch diesen Artikel, auf den Gartenbau. «Mama, was willst du denn da schreiben, im Gartenbau haben wir Beeren gepflückt, Pudding gekocht, Brot gebacken und Schubkarrenrennen gemacht.» Genau das, genau das möchte ich schreiben. Ich bin selbst Gärtnerin, habe dies einst sogar studiert. Gartenbau hat eine gewisse Sorgsamkeit und die Zusammenarbeit mit den Insekten, Bienen, Wespen und Hummeln ist offensichtlich. Gartenbau ist eher kleinteilig im Vergleich zur Landwirtschaft. Landwirtschaft geht in die Landschaft und in die Fläche. Der Garten jedoch – und so kenne ich etliche Schulgärten – ist umgrenzt, vermittelt Geborgenheit, ist eher eine Oase oder ein Quell.
Der Gartenbauunterricht grenzt in etwa an die Stelle, wo die Kinder zu Jugendlichen werden. In die Welt meiner Töchter ist in dieser Zeit Fridays for Future eingetreten, es ist das Interesse an der Herkunft von Baumwolle eingetreten, es sind Fragen zu den Arbeitsbedingungen von Menschen in anderen Kontinenten aufgetaucht, Fragen zur Sklaverei und zur Kinderarbeit. Es ist der Boden, es ist der Reichtum der Bodenschätze und die Fülle der Natur, die all diese Themen in der Menschheitsgeschichte verbinden.
Landwirtschaftspraktikum
Landwirtschaftspraktikum heißt – sofern es nicht als Klassenpraktikum gemacht wird – alleine oder zu zweit – für drei Wochen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mitzuarbeiten und zu wohnen. Schon die Anreise entpuppt sich mitunter als Erlebnis. Zug fahren, umsteigen, sich darauf verlassen, dass am Ende der Reise ein Bus kommt oder jemand zum Abholen am Bahnhof steht. Ankunft bei noch unbekannten Menschen, zuvor lediglich ein Telefonat oder eine E-Mail. Die Ungewissheit, was nun kommen wird, vermag auch ein umfassender Handytarif nicht nehmen. Für die Eltern und Höfe ist dies eigentlich nicht anders. Das Landwirtschaftspraktikum ist die Erfahrung von Müdigkeit, Blasen an den Händen und kleinen Splittern, es ist die Erfahrung von umgekippten Schubkarren und irgendetwas, was gründlich schief gegangen ist. Es ist die Erfahrung von Kohldampf und frühem Aufstehen. Und es ist die Erfahrung von purem Glück, wenn man bei der Geburt eines Kälbchens dabei sein konnte, wenn das Melken klappt, wenn die Bohnen geerntet im Laden liegen, wenn man ein Stück Käse aus der Käserei mitnehmen darf oder wenn mal ein ganzer Tag in der Hofbäckerei oder in der Maschinenwerkstatt verbracht werden konnte. Dass die Höfe sich für drei Wochen auf Schülerpraktikant:innen einlassen, Unterkunft, Begleitung und Verpflegung stemmen, sich Gedanken machen, was angeleitet werden kann und wie die Schüler:innen aufgenommen werden können, ist eine soziale und kulturelle Leistung.
Begegnungsmoment – Landschaft
Im Feldmesspraktikum begegnen die Schüler:innen Landschaft und betrachten und vermessen diese mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihrer Weite und mit ihren Landschaftselementen. Neben den äußeren Landkarten, Beschreibungen und Messergebnissen, entstehen die inneren Landkarten der Farben dieser Landschaft, der Gruppendynamik des Feldmessteams, der Konzentration, der Tatkraft oder der Genauigkeit. Es entsteht das Bewusstsein für Feld, Wald, Wiesen, Hecken, Einzelbäume, Straßen und Strommasten. Es entsteht ein Bewusstsein für das Licht, den Sonnenstand und die Schwerkraft. Es entsteht das Bewusstsein, einander zu brauchen und einzeln etwas zum Gelingen des Gruppenergebnisses beizutragen.
Was schenkt uns die Erde?
Mit der Frage danach, wie wir leben möchten, wie wichtig uns Freiheit und Selbstverantwortung, Miteinander und Frieden sind, berühren wir Fragen der Lebensmittelqualität, des Bodens und der Landschaft, wir berühren die Fragen von Klimawandel und Erdentwicklung. Ich erlebe die biologisch-dynamische Landwirtschaft in ihrem Potenzial, die Erde zu beleben. Das geschieht nicht im Ganzen und es geschieht auch hundert Jahre nach dem impulsgebenden landwirtschaftlichen Kurs von Rudolf Steiner eher noch anfänglich. Doch wenn ich Böden wahrnehme, die erst kurze Zeit biologisch-dynamisch bewirtschaftet werden, so erlebe ich bei diesen Böden ein Aufatmen. Wenn ich die Arbeit mit den biologisch-dynamischen Präparaten annehme, beim Rühren von Hornmist und Hornkiesel, beim Sammeln der Pflanzen für die Kompostpräparate, beim Ein- und Ausgraben und schließlich beim Ausbringen, so gibt es dabei immer wieder das Empfinden, von Glück durchströmt zu sein. Die Erde sehnt sich nach Achtung und sie sehnt sich nach Zuwendung. Ein Landwirt, der dem Ganzen mit großer Skepsis begegnete, fragte mich während des Ausbringens der Präparate sehr vorsichtig und tastend, ob es sein könne, dass wir gerade die Erde segnen, so käme es ihm vor. Der Landwirt war erstaunt über sich selbst und er war erstaunt über seine Empfindung bei der Tätigkeit. Wir haben uns angeschaut und unmittelbar haben wir miteinander gelacht. So einfach kann es sein, mit festen Schuhen, mit Arbeitshose und mit einem Eimer und mit einem kleinen Besen in der Hand beim Ausbringen der Präparate. Auch dies ist eine der Erfahrungen, die Hoffnung machen in der Arbeit mit Menschen und mit der Erde. Ein kleiner Moment im erlebenden Bewusstsein, dass es da Dinge gibt, die der Verstand nicht erklären kann, das innere Erleben jedoch als ein Geschenk wahrnimmt.
Kommentare
Es sind noch keine Kommentare vorhanden.
Kommentar hinzufügen
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.