Eine Mutter kommt mit ihrem Sohn zu Ghandi.
Sie klagt: «Meister, mein Sohn isst so viel Zucker, dass ich mir Sorgen um seine Gesundheit mache. Aber alle Worte helfen nichts, er hört nicht auf damit! Er verehrt dich sehr und dein Wort hätte für ihn bestimmt eine Bedeutung. Kannst du ihm nicht sagen, er soll das Zucker-Essen lassen?»
Mahatma Gandhi hört ihr aufmerksam zu, dann antwortet er: «Komm bitte in drei Wochen wieder.» Die Frau verabschiedet sich irritiert; sie hat eine lange beschwerliche Reise hinter sich und erhält nun keine Hilfe.
Drei Wochen später kommen die beiden wieder. Der Meister legt dem Sohn liebevoll die Hand auf die Schulter und sagt: «Junge, iss nicht so viel Zucker.» Verwundert schaut die Frau Ghandi an und meint: «Aber das hättest du ihm doch schon vor drei Wochen sagen können!» «Nein», antwortet Gandhi. «Ich musste mir erst selbst das Zucker-Essen abgewöhnen.»
Nur eine kleine nette Geschichte? Mir scheint, dass sie mehr wert ist als ein kurzes, freudiges Schmunzeln. Eine Vielzahl von Konflikten im Schulleben und bei Erziehungsfragen würde eine andere, viel konstruktivere Richtung nehmen, wenn wir den Sinn dieser kleinen Erzählung wirklich beherzigen und beginnen, ihn umzusetzen. Nicht selten erlebt man heute, wie durch wortreiche Erklärungen und durch stetiges Abfragen der Befindlichkeiten versucht wird, Kinder zu erziehen. Oft ohne den gewünschten Erfolg.
Können wir noch unterscheiden, ob wir so die Individualität des Kindes fördern oder lediglich seinen Egoismus nähren? Wir vergessen «das Unsichtbare», von dem Rudolf Steiner so oft sprach: dass wir wie durch «unsichtbare Drähte» mit den Kindern verbunden sind. Denn wir wirken ebenso stark durch das, was wir sind – auch, wenn das Kind nicht dabei ist – wie durch unsere Worte und Handlungen. Ich kann einem Kind viel von Empathie oder Respekt erzählen. Wenn ich diese Eigenschaften nicht selbst in mir herangebildet habe und sie nicht anderen Menschen gegenüber lebe, wird das auf Dauer wenig bewirken. Und wie ehrlich sind wir als Erwachsene uns selbst gegenüber?
Auch in Konflikten spielt das eine wesentliche Rolle. Wenn ich beispielsweise mein Kind über das Verhalten einer Lehrerin oder eines Lehrers befrage, wird die Antwort anders ausfallen – je nachdem, ob ich den Menschen selbst mag und ihm vertraue oder eben nicht. Im letzteren Fall wird auch das Kind kein Vertrauen haben können, wird sich zunehmend beschweren oder zurückziehen, sodass es schwer sein wird, irgendwelche Lernerfolge zu erzielen. Dann geht oft das Schwarzer-Peter-Spiel los und am Ende leiden die Kinder. Natürlich werden auch Fehler gemacht und darüber sollte man sprechen können.
Klare und transparente Beschwerdewege sind in einer Schule eine unverzichtbare Grundvoraussetzung. Aber das genügt nicht, wenn ich eine Verbesserung erreichen will, denn zu dieser äußeren Struktur gehört ebenfalls eine innere Voraussetzung. Bin ich selbst so kritikfähig, offen, aufrichtig und sachlich, wie ich es mir von meinem Gegenüber wünsche?
Die Frage, wie man als Lehrer:in, Kollegin oder Elternteil in ein Konfliktgespräch geht und ob man zunächst das eigene Haus gereinigt und ausgefegt hat, bleibt von entscheidender Bedeutung für einen Erfolg im Sinne der Kinder. In der Oberstufe können sich die Schüler:innen oft für Mahatma Ghandi begeistern. Dann treffen Worte von ihm auf offene Seelen: «Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt zu sehen wünschst!»
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