Mit dem Ansatz der Kultusministerkonferenz, Lehrkräfte zu mehr Unterricht zu drängen, werden wir nicht weiterkommen. Wir müssen ein Arbeitsumfeld schaffen, das kooperativ, selbstorganisiert und anregend ist, das Aufgaben nach Kompetenzen verteilt und von einer handlungsfähigen Schulführung gehalten wird. Dies deckt sich mit unserem Ansatz zur Selbstorganisation, den wir hier unter dem Titel Waldorf beleben: Ein Ansatz zur Selbstorganisation im Oktober 2022 beschrieben haben.
Wenig überraschend, ist guter Unterricht entscheidend für die Qualität und die Attraktivität der Schule bei Eltern und Schüler:innen und damit letztlich für ihr Fortbestehen. Aber auch für das Wohlbefinden der Lehrkräfte und damit die Strahlkraft der Schule als Arbeitgeber. Fühlen sich Lehrer:innen selbstwirksam in ihrer Arbeit mit ausreichend Kraft, um den Unterricht nach ihren Ansprüchen zu gestalten, so gehen sie trotz aller Anstrengung gestärkt durch das Schuljahr. Die Zusammenarbeit in pädagogischen Teams mit Fokus auf den Bedürfnissen der Schüler:innen ist dafür sehr zuträglich.
Leider kommen wir damit aber schnell an Grenzen. Seit August 2022 haben wir an unserer Schule Klassenteams von der ersten bis zur 13. Klasse, die sich im Normalfall wöchentlich treffen. Doch auch wenn diese Treffen in der Konferenzzeit einen festen Platz haben, finden Treffen häufig nicht statt. Gründe sind Krankheit, andere Abwesenheiten, beispielsweise aufgrund von Betreuungsproblemen oder sonstige drängende Themen. Aus meiner Erfahrung findet Arbeit in Teams nur statt, wenn diese als hilfreich oder stärkend empfunden wird. Denn dann priorisiere ich anders. Ein weiteres Problem ist auch die Größe der Teams. Sind wir nur zu zweit, braucht nicht viel passieren, und ich stehe allein da. So wertvoll die pädagogische Arbeit zu zweit auch sein mag.
Ein zweiter Bereich, den wir angehen, ist die Führungsstruktur. Bisher gab es bei uns die operativ tätigen Funktionen Schulleitung, Personalkreis und Geschäftsführung, die kaum eigenen Entscheidungsspielraum hatten und formale Verantwortung trugen. Ein ehrenamtlicher Vorstand musste auf Basis der vorgelegten Informationen entscheiden, obgleich er nachvollziehbarerweise einen gewissen Abstand zum Alltagsgeschäft der Schulführung hatte. Schnelles und entschlossenes Handeln wurde dadurch erschwert, manch strategisch sinnvolle Initiative nicht umgesetzt. Ich möchte das nicht falsch verstanden haben, Entscheidungen mit großen Auswirkungen auf das empfindliche System Schule brauchen Reibung und müssen gut durchdacht werden. Wenn wir als Waldorfschule bestehen wollen, braucht es aber auch mutiges Handeln.
Im Sommer 2023 haben wir in der Mitgliederversammlung eine neue Satzung beschlossen, die Anfang 2024 in Kraft trat. Damit wird ein
geschäftsführender Vorstand eingesetzt, begleitet durch einen ehrenamtlichen Aufsichtsrat. Da wir bereits angelehnt an die neue Struktur arbeiten, wurde schnell klar, dass ein Schule-gestaltender und dieser dienender Vorstand einiges an Ressourcen benötigt. Eine Stellenausstattung, die für eine konsequente Umsetzung nötig wäre, könnten sich nur die wohlhabendsten Schulen leisten. Wo ist die Entwicklungsabteilung der Waldorfschulen, die diese Ansätze erforscht oder sie zumindest finanziell unterstützt?
Das größte Umdenken erleben wir im Bereich Personal, der ja wie bereits oben erwähnt auch das größte Gewicht hat. Wir müssen hier strategisch, langfristig handeln und unabhängig von wechselnden Belastungen im Schuljahresverlauf den Überblick behalten und schnell reagieren können. Für einen Personalkreis aus Lehrkräften ist das kaum leistbar. Ein Vorstand Personal muss nun aber dafür Sorge tragen, dass dessen Entscheidungen vom Kollegium getragen werden. Ohne Einbezug der Fachschaften und Kenner:innen der Stundenplan- und Deputatslogik ist das kaum möglich. Dass ein autarker Vorstand Personal nicht möglich ist, war uns von vornherein klar, nur mit dem zusätzlichen Umfang an zeitlichem Aufwand durch unterstützende Lehrkräfte hatten wir nicht gerechnet.
Was haben wir aus dem bisherigen Verlauf gelernt? Veränderung braucht Zeit und Mut weiterzugehen, wenn es nicht sofort klappt. Veränderung an Waldorfschulen braucht Ressourcen, da die heutige Selbstverwaltung viele Kräfte bindet und jüngere Generationen mit anderen Bedürfnissen kommen. Veränderung braucht intensiven Austausch zur Rollenklarheit. Veränderung braucht gute Kommunikation, damit alle mitgenommen werden und auch die sehr bereichernd wirkenden Teams wahrgenommen werden. Veränderung braucht Menschen, die diese aus dem Organismus heraus immer wieder anschieben und behutsam lenken.
Mit diesem kurzen Zwischenstand unseres Entwicklungsprozesses möchte ich Mut machen. Die Waldorfschulen sind weiter in Bewegung und kämpfen dafür, dass wir Orte bleiben, an denen Kinder und Jugendliche gut aufgehoben sind. An diesen Orten wollen Menschen tätig sein und vielleicht wird manche so Lehrer:in, die es andernorts nie geworden wäre.
Ausgabe 06/24
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