«Papa, warum ist das Holz schwarz, wenn es im Feuer war?» Christoph Glöckler ist nicht der Vater des vierjährigen Fragestellers. Aber er sitzt um dasselbe Lagerfeuer herum, wie der Kleine und sein Papa. Glöckler macht Urlaub auf einem Naturcampingplatz in der Nähe von Berlin – zusammen mit seiner Schwester und deren Kindern. Inmitten von Jurten und Schäferwägen haben sie sich nach dem Abendessen an der großen Feuerstelle niedergelassen. Oben funkeln Sterne, unten züngeln Flammen. Ohne es zu wollen, bekommt auch Glöckler die Frage des Jungen mit. Ebenso die Antwort des Vaters. «Er hat dem Kleinen erklärt, was Kohlenstoffverbindungen sind und ihm die chemischen Prozesse des Verbrennens geschildert», erzählt Glöckler. Liebevoll, aber ziemlich nüchtern habe das geklungen. Und von der magischen Stimmung, die eigentlich jedes Lagerfeuer versprühe, sei nichts zu spüren gewesen... So bedauernswert Glöckler die Situation fand, verdankt er ihr doch auch eine weitere Inspiration. Denn dieser Abend am Lagerfeuer war der Ausgangspunkt für die zehnte Folge von Shaking up Waldorf, einem Podcast über Anthroposophie und Waldorfpädagogik.
Komplexe Inhalte, einfache Worte
Glöckler hat ihn vor wenigen Monaten ins Leben gerufen. In zeitgemäßer Sprache und mit zeitgemäßen Bildern vermittelt der gelernte Waldorferzieher seinen Hörer:innen die Grundlagen der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie. Schon während der Ausbildung hätten ihm seine Mitschüler:innen oft gesagt, dass er die komplexen Inhalte gut in Worte fassen und vermitteln kann. Folge zehn seines Podcasts trägt den Titel Das magische Bewusstsein – oder: lasst die Kinder Kinder sein. Es sind häufig alltägliche Situationen, die ihn zu einer neuen Folge inspirieren. Erreichen möchte er mit seinem Podcast ganz unterschiedliche Gruppen. Das sind zum einen die Kritiker:innen. «Mir tut es einfach weh, wenn zum Beispiel Jan Böhmermann die Waldorfpädagogik und die Anthroposophie in seiner Sendung zerreißt. Deshalb möchte ich Grundlegendes so erklären und darstellen, dass jede:r es ohne Vorkenntnisse verstehen kann», sagt Glöckler. Wenn er sicher gehen will, ob eine vorbereitete Folge in ihrer bestehenden Form online gehen kann, um von allen Hörer:innen nachempfunden zu werden, stellt er sich seine Schwester vor. Seine Schwester und er hätten ein inniges Verhältnis, seien aber sehr verschieden. «Meine Schwester ist so unterwegs wie der Großteil unserer Gesellschaft – ziemlich kopflastig. Auf die Frage nach dem schwarzen Holz hätte sie genauso gut mit Kohlenstoffverbindungen antworten können wie der Vater am Lagerfeuer. « Bevor ich eine neue Folge hochlade, frage ich mich immer: ,Könnte meine Schwester mit dem mitgehen, was ich da sage?‘», erzählt Glöckler.
Neuorientierung nach Krise
Es ist gar nicht allzu lange her, da hat er noch «genauso getickt» wie die kopflastigen Menschen, die er mit Shaking up Waldorf erreichen möchte. Glöckler ist erst um das 30. Lebensjahr herum der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie begegnet – nachdem er mit Ende 20 in eine Lebenskrise geraten war. Er hatte zunächst Elektrotechnik studiert, war im Bereich der erneuerbaren Energien tätig gewesen und wollte damit Gutes tun. «Schlussendlich habe ich aber gemerkt, dass das Produkt zwar ein moralisch Sinnvolles und Gutes ist, es im Verborgenen aber auch nur um Gewinn und Wachstum geht. Außerdem habe ich den ganzen Tag nur am Computer gesessen. Das hat mich müde gemacht. Ich war ausgebrannt», berichtet Glöckler, der daraufhin seine Zelte in Kassel abbrach und nach Berlin zog. Während er dort eine Ausbildung zum Körpertherapeuten absolvierte, kamen nach und nach immer mehr Menschen mit einem Bezug zur Waldorfpädagogik in sein Leben. Und eines Abends stand dann der Entschluss fest: Glöckler würde im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes ein Jahr im Hort einer Berliner Waldorfschule verbringen.
Anthroposophie – ein Schatz
«Ich konnte bei allem dabei sein, ohne irgendeine Verantwortung zu tragen. In dieser Zeit der Um- und Neuorientierung war das wichtig für mich», blickt Glöckler zurück. Nach Ablauf des Jahres meldete er sich für die berufsbegleitende Ausbildung zum Erzieher am Seminar für Waldorfpädagogik Berlin an und blieb dem Hort die ganze Ausbildungszeit und damit insgesamt viereinhalb Jahre über erhalten. Die Anthroposophie habe er dabei als einen Schatz kennen gelernt, so der 37-Jährige. Eine vergleichbare Tiefe hätte er zuvor zwar gesucht, aber nicht gefunden. Und dennoch möchte er mit seinem Podcast auch die eigene Bubble in Frage stellen. Denn auch in seinem neuen Lebensabschnitt als Waldorferzieher hätte er schon viel Frustration erlebt. Bei seiner ersten Stelle nach der Ausbildung blieb Glöckler nur ein halbes Jahr. Für ihn hat die Beziehungsgestaltung zu Kindern und Eltern seitens der Pädagog:innen nicht gestimmt. «Den Kindern gegenüber waren mir einige Pädagon:innen zu autoritär. Für mich wurde der von Steiner geprägte Begriff geliebte Autorität falsch ausgelegt. Meinem Verständnis nach muss ich nicht autoritär sein, um «geliebt» zu werden. Ich muss eine herzliche Beziehung zu dem Kind aufbauen, um überhaupt als Autorität angenommen zu werden», erläutert Glöckler. Auch den Eltern gegenüber habe er in der Einrichtung eine abwertende Haltung wahrgenommen, mit der er nicht übereinkam. «Die Eltern haben es in der Regel ,falsch‘ gemacht und die geschulten Waldorfpädagog:innen mussten das wieder geraderücken. Eine Erziehungspartnerschaft auf Augenhöhe war da nicht gegeben», resümiert Glöckler, der deshalb durchaus auch Verständnis für Kritiker:innen hat. Mit solch überheblichem Verhalten würde man ihnen wunderbare Vorlagen liefern, meint er.
Vom Schneebesen zur Idee
Die dritte Zielgruppe seines Podcasts sieht er in Menschen, die als Quereinsteiger:innen in Waldorfeinrichtungen zu arbeiten anfangen. Grundlagen – fundiert, zeitgemäß, häppchenweise und durch das Podcast-Format auch to go. Eine Folge dauert rund 20 Minuten. Oft entstehen die Episoden auf Spaziergängen, die Glöckler durch den Wald macht. Er lebt inzwischen in Chorin – nordöstlich von Berlin. Dort entwickelte er zum Beispiel Folgen zu den Grundbegriffen Körper, Seele und Geist, zur Verbindung zwischen Waldorfpädagogik und Wissenschaft und zur Verbindung zwischen Waldorfpädagogik und Christentum. Folge 5 zum Thema: Wahrnehmung und Denken ist in der heimischen Küche am Spülbecken entstanden, als Glöcklers einjährige Tochter sich mit einem Schneebesen beschäftigt hat. In den Mund stecken, auf den Boden klopfen, werfen… Die Freundin, die zu Besuch war, sagte: «Das ist ein Schneebesen.» Glöckler fragte sich mit nassen Händen an schmutzigem Geschirr, was denn jetzt bedeutender ist für seine Tochter – das eigene Erkunden, also die Wahrnehmung, oder der Begriff. Denn er weiß: « Unser Bildungsverständnis und viele Erwachsene legen einen großen Wert auf die Begrifflichkeit. Kinder erfahren die Welt aber über die sinnliche Wahrnehmung.» So schrieb er beim Abwasch in Gedanken die Folge Wahrnehmung und Denken. Darin zitiert er Rudolf Steiner, der beschreibt, dass der Mensch die Wirklichkeit über zwei Seiten erfährt – über die Sinneswahrnehmung und das Denken. Den Unterschied, die Beziehung der beiden zueinander sowie die Tatsache, wie sich der Begriff in dieses Gefüge eingliedert, erklärt Glöckler anhand einer Walnuss. Nehmen wir eine Walnuss mit unseren Sinnen wahr, erfahren wir etwas über Größe, Gewicht, Farbe, Form, Struktur der Walnuss. Denken wir an die Walnuss, ersteht vor unserem inneren Auge aber womöglich auch ein Bild des Baumes, an dem sie wächst, von der Umgebung, in der er steht, von den Gesetzmäßigkeiten, unter denen er gedeiht. Der Begriff, der Name Walnuss, fügt beides zusammen, ist die Synthese aus Wahrnehmung und Denken. Noch schreibt er die Folgen, die ihm in den Kopf kommen – ob im Wald, am Lagerfeuer oder am Spülbecken – wörtlich auf. In Zukunft möchte er das ein wenig ändern. «Ich selbst mag keine Laber-Podcasts, bei denen die Leute nicht auf den Punkt kommen. Deshalb waren mir die 1:1-Notizen anfangs wichtig. Ein bisschen freier möchte ich im Sprechen aber dennoch werden.» Bisher haben seine Folgen zwischen fünfzig und hundert Zuhörer:innen. Das macht Glöckler froh und auch ein bisschen stolz.
Christoph Glöcklers Podcast Shaking up Waldorf gibt es kostenlos unter waldorf.libsyn.com und überall da, wo es Podcasts gibt. Mehr Infos: christoph-gloeckler.de
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