Ausgabe 03/25

Sicherheit und Transparenz

Anne Brockmann


In kaum einer Branche hängt der Ertrag so stark von der Witterung ab wie in der Landwirtschaft. Eine längere Vegetationsperiode und höhere Temperaturen können die Erträge steigern, aber extreme Wetter können Erträge auch vernichten. In Deutschland gibt es inzwischen regelmäßig Dürre, Stürme, Starkregen, Hagel oder Überschwemmungen, was die Einnahmen für Landwirt:innen bedroht. Die SoLawi ist ein Konzept, bei dem Kund:innen Risiken mittragen, den Landwirt:innen damit eine finanzielle Sicherheit geben und andererseits die Möglichkeit bekommen, Landwirtschaft mitzugestalten und mehr über ihre Lebensmittel zu erfahren.
 
Wenn sich der Winter allmählich zurückzieht, die Temperaturen steigen und der Boden nicht mehr gefroren ist, dann beginnen sie auf dem Patersberghof in Bayern, Jungpflanzen für die neue Saison zu ziehen. Blattsalate zum Beispiel, Kräuter und Tomaten. Die wachsen in dem Demeterbetrieb im Obermainischen Hügelland in zwei Gewächshäusern – 25 Meter lang und sieben Meter breit. Folientunnel sind das, um genau zu sein. In dieser Größe kostet ein Exemplar 5.000 Euro und mehr. In diesem Jahr müssen die Folien der Gewächshäuser erneuert werden. Eine große Investition wird das werden. «So etwas kann einen Hof schnell in eine finanzielle Schieflage bringen. Hier konnte das mit dem Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi) gestemmt werden», erzählt Alexander Kaiser. Der promovierte Biologe hat einst auf dem Hof mitgearbeitet. Als Helfender mit vielen Talenten hat er Kühe gemolken, Hecken gepflegt und im Rahmen des Bayerischen Schulfruchtprogramms Bio-Kisten an Kindergärten und Schulen ausgeliefert. Mehr als zehn Jahre ist das jetzt her. «Lebensmittel sind etwas, mit denen alle Menschen auf der ganzen Welt jeden Tag umgehen. Deshalb wollte ich wissen, wie sie entstehen und was biologisch-dynamischer Landbau bedeutet», erläutert er seine Motivation. Inzwischen ist er Waldorflehrer geworden und unterrichtet in der Oberstufe Biologie. Aber mit dem Patersberghof ist er noch immer verbunden. Kaiser ist Anteilseigner in der Gemeinschaft der Solidarischen Landwirtschaft. Das bedeutet, er zahlt monatlich einen fest vereinbarten Betrag an die Patersberg Hofgärtnerei und erhält dafür wöchentlich einen entsprechenden Ernteanteil. «Die SoLawi ist eine Form, gemeinschaftlich Landwirtschaft zu finanzieren und diese Gemeinschaft dann mit den Lebensmitteln des Hofes zu versorgen», erklärt Kaiser das Konzept. Die Regelsätze vereinbaren Erzeuger:innen und Verbraucher:innen jedes Jahr neu. Sie berücksichtigen nötige, zu erwartende Investitionen wie zum Beispiel die neuen Folientunnel und puffern ein Stück weit auch böse Überraschungen wie Ernteausfälle ab. Kaiser sieht in der SoLawi die «perfekte Verbindung aus Sicherheit für die Erzeuger:innen und Trans­parenz für die Verbraucher:innen». Der Hof kalkuliert seine Jahreskosten, legt sie offen und teilt diese durch die Anzahl seiner Anteile.

So entsteht ein Richtwert, zu dem die Landwirtschaft und die Gärtnerei ihre Produkte des kommenden Jahres voraussichtlich erzeugen können. Mit diesem Orientierungswert gehen die Anteilsnehmer:innen für das kommende Jahr jeden November zur Bieter:innenrunde. Hier haben alle die Möglichkeit, anonym ein Gebot für einen Anteil abzugeben. So können auch knapp bemittelte Menschen einen Anteil unter dem Orientierungswert erwerben, wenn im Gegenzug andere mehr bieten. Ist das Budget im Gesamten gedeckt, kann die Runde abgeschlossen werden. Denn auch die Solidarität unter den Verbraucher:innen ist ein wichtiger Bestandteil der SoLawi am Patersberg.

Die Landwirtschaft Patersberghof ermöglicht eine individuell gestaltbare Zusammenstellung von Anteilen an Milch, Milchprodukten, Getreideprodukten und Kartoffeln. Denn jedes Mitglied der SoLawi-Gemeinschaft soll sich nach seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen beteiligen können – finanziell, aber auch in Form von Ernteeinsätzen und Hofführungen. Aktuell beträgt der Regelsatz für einen großen Landwirtschaftsanteil 96 Euro im Monat. Dafür bekommen die Eigner:innen pro Woche vier Liter Milch in Reinform, als Quark, Joghurt und Käse, ein Kilo Brot und Kartoffeln je nach Ernte. Einen Gemüseanteil der Patersberg Hofgärtnerei gibt es für 78 Euro im Monat. Dafür erhalten die SoLawi-Mitglieder Gemüse für zirka zweieinhalb Personen – je nach Saison eine Auswahl aus über 40 Kulturen.

Letztes Jahr stand die Gemeinschaft des Patersberghofes vor einer schwierigen Entscheidung. Von heute auf morgen wollte ein Verpächter 16 Hektar Ackerland, Weiden und Wiesen verkaufen. Die Existenz des Hofes war bedroht. Woher sollte man das Geld nehmen? «Zum Glück kam die Rettung mit der Kulturland Genossenschaft in der Person von Stefan Illi», berichtet Kaiser und erläutert: «Die Kulturland Genossenschaft kauft Äcker, Weiden und Wiesen, damit diese ökologisch bewirtschaftet und nicht zum Spekulationsobjekt von Konzernen und Investoren werden.» Viele Mitglieder der SoLawi, aber auch etliche Menschen, die mit dem Patersberghof zuvor nicht direkt zu tun hatten, zeichneten Genossenschaftsanteile, damit die Flächen für Landwirtschaft und Gärtnerei gesichert werden konnten. In kürzester Zeit wurden bis zum heutigen Zeitpunkt mehr als 75 Prozent des benötigten Betrags durch Genossenschaftsanteile eingesammelt. Landwirtschaft und Gärtnerei sind gerettet.

Die Idee der SoLawi kam 2018 mit Teresa und Christian Jundt auf den Hof. Die jungen Eheleute haben den Hof vom Vorbetreiber übernommen, der im entscheidenden Moment den Kontakt zur Kulturland Genossenschaft herstellte. Die Jundts leben mit ihren vier Kindern in Bauwagen neben dem Stall. Beide Elternteile haben zunächst die Ausbildung zur Landwirtin und zum Landwirt absolviert und anschließend den Bachelor-Studiengang der ökologischen Agrarwissenschaften abgeschlossen. Sie führen den Hof zusammen mit Bettina und Wolfgang Wänke, die für die Gärtnerei am Patersberg verantwortlich sind. Familie Wänke lebt länger als die Jundts in Veitlahm und hat die Gärtnerei aufgebaut. Auch Bettina studierte Agrarwissenschaften, ihr Mann ist Elektroniker und Gärtner. Insgesamt können Patersberghof und Patersberg Hofgärtnerei 300 Anteile vergeben. Das bedeutet, dass etwa 1000 Personen versorgt werden können. «Die Anteilseigner:innen kommen aus allen Bevölkerungsgruppen», weiß Kaiser. Viele holen nicht nur wöchentlich ihre Lebensmittel ab, sondern arbeiten auch aktiv auf dem Hof mit. Etliche sind in verschiedenen Arbeitsgruppen organisiert. Da gibt es zum Beispiel die Orga-Gruppe, die als Bindeglied fungiert zwischen Hofbetreiber:innen und Verbraucher:innen. Dann gibt es Menschen, die die Internetpräsenz des Hofes pflegen und Öffentlichkeitsarbeit betreiben und wieder andere, die sich um die Streuobstwiesen des Hofes kümmern, indem sie mähen, Bäume schneiden oder Obst ernten. Einmal sei Wasser in den Stall eingedrungen, weil eine Wand undicht geworden war, erzählt Kaiser. Auch diese Reparatur haben Anteilseigner:innen erbracht. Manche Menschen nehmen bis zu 30 Kilometer Anfahrt in Kauf, um den Patersberghof zu erreichen. Sie kommen aus den umliegenden Orten Lichtenfels oder Kronach. Viele bringen ihre Kinder mit.

Lehrer Kaiser freut das besonders, denn er findet, Landwirt:innen haben auch einen pädagogischen Auftrag. «Die Bindung zu dem, was Lebensmittel wirklich sind, geht mehr und mehr verloren.  Auf einem offenen Hof können wir zeigen, welche Arbeit dahintersteckt und wie Mensch, Natur und Tier zusammenspielen», sagt er.
Infos unter: patersberghof.de

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