Ausgabe 06/24

«So ʼne Mischung aus allem»

Anne Brockmann

Daniela Pitsch hat gerade erst auf dem Drehstuhl in ihrer Werkstatt Platz genommen und ein paar Sätze gewechselt, da klingelt das Telefon. Sie lauscht, nickt und überlegt. Dann sagt sie: «Vorher hätte ich gern den einen Messwert noch. Warte einen Moment, ich komme selbst, bin gleich da.» Sie entschuldigt sich für ein paar Minuten, dann ist sie weg. In der Schule hatte es kürzlich einen Wasserschaden gegeben. Räume mussten gesperrt, Klassen komprimiert und Ausweichmöglichkeiten gefunden werden. Ein Chaos war das. Jetzt soll alles wieder in Ordnung gebracht werden. Pitsch möchte sich selbst vergewissern. Sie liebt ihren Job als Hausmeisterin und sie weiß, die Kinder an der Schule lieben ihre Hausmeisterin.

Die Ausbildung zur Gas-Wasser-Installateurin hat sie im Betrieb ihres Vaters absolviert. «Ich bin Meistertochter. Da lag das nahe», sagt Pitsch, «auch wenn der Beruf auch heute noch eine absolute Männerdomäne ist». Nur 1,5 Prozent aller Beschäftigten im Sanitär- und Heizungsbau waren 2020 weiblich. Für Pitsch war es aber mehr als die Familientradition, die ausschlaggebend war für ihre Berufswahl. «Ich sag’s mal so: In der Schule bin ich nicht durch besonders viel Glanz aufgefallen. In der Werkstatt bei uns zu Hause schon eher. Ich habe immer gern geschraubt und gebastelt, Fahrrädern neue Lenker und neue Sattel verpasst oder Blech bearbeitet und Formen ausgeschnitten», erzählt sie schelmisch. Als Jugendliche hat sie während der Ferien im Betrieb ihres Vaters gejobbt. «Da gab’s dann auch Kohle. Das war natürlich ein super Anreiz. Spaß gemacht hat es aber auch», sagt Pitsch unverstellt.

Ihre ersten Berufsjahre hat sie als junge Gas-Wasser-Installateurin in Berlin verbracht. Dort hat sie ihr Handwerk mit einem sozialen Impuls verbunden und im Rahmen eines Projektes Mädchen ausgebildet, die über die Jugendhilfe unterstützt wurden. Sechs Jahre lang hat Pitsch sich dieser Aufgabe gewidmet, dann schaute sie sich nach etwas anderem um. «Die Mädchen hatten schwierige Biografien und eigentlich keinen Kopf für eine Berufsausbildung. Immerzu mit Widerständen umzugehen, kostete mich viel Kraft. Irgendwann wollte ich lieber mit Menschen arbeiten, die wirklich Lust haben auf das, was sie tun, die motiviert sind», blickt sie zurück. Pitsch hatte sich in Berlin gerade neu orientiert, da starb in der Heimat ihr Vater. Die Meistertochter entschied daraufhin, der Hauptstadt den Rücken zu kehren und zurück nach Hause zu gehen, um den kleinen Familienbetrieb zu übernehmen. Sich als Selbstständige in einer Männerdomäne zu behaupten, war eine Herausforderung, die Pitsch gern angenommen hat. Sie hätte früh gelernt, gut zu kontern, meint sie. «Du kannst ja nicht mal ein Waschbecken tragen» – solche Sprüche hätte sie während ihrer Ausbildung oft gehört. «Aber mich hat keiner so schnell gefressen», versichert Pitsch mit einem Lächeln. Dann klingelt wieder ihr Telefon. Dieses Mal geht es um die Technik im Eurythmiesaal. Pitschs Meinung ist gefragt. Das würde aber auch später noch reichen. Pitsch verspricht, sich so schnell wie möglich zu melden.

Zur Hausmeisterinnentätigkeit in der Waldorfschule sei sie durch ihre Kinder gekommen. Pitsch ist Mutter einer Tochter und eines Sohnes, die die elfte beziehungsweise die neunte Klasse besuchen. Dass die beiden auf eine Waldorfschule gehen, verdanken sie ihrer zweiten Mutter, der Ehefrau von Daniela Pitsch. «Das Wort ,Anthroposophie‘ bereitet mir beim Aussprechen manchmal auch nach so vielen Jahren noch Schwierigkeiten, aber ansonsten bin ich glücklich mit unserer Entscheidung für die Schule», erzählt Pitsch. Und mit ihrem eigenen Wechsel an die Schule ist sie es auch. Sie sagt von sich selbst, sie sei «so ‘ne Mischung aus allem», weil Kinder ihr lägen, sie auch gut mit dem Computer könne, gern recherchiere, Struktur und Ordnung mögen würde. Und ihre Arbeit in der Schule, die sei das auch «so ‘ne Mischung aus allem». «Deshalb passt es so gut», freut sich Pitsch. Wenn sie morgens kommt, beginnt sie den Arbeitstag mit einem Rundgang übers Gelände. Pitsch schaut nach herumliegenden Flaschen und neuen Graffitis, aber auch nach den Pflanzen auf dem Gelände. Sobald Leben im Schulhaus ist, kommen die Kinder mit Anliegen zu ihrer Hausmeisterin in die Werkstatt oder sprechen sie auf dem Flur an. «Uns ist ein Stuhl kaputt gegangen, wir brauchen etwas Spezielles für unser Klassenspiel – solche Sachen», erzählt Pitsch.

Festes Mitglied ist sie im Bauausschuss der Schule. Oft ist sie diejenige, die für größere Vorhaben Firmen auswählt, Angebote einholt und deren Arbeiten am Ende auch abnimmt. Für die Kinder ist sie diejenige, die eine kleine Abenteuerinsel im gewöhnlichen Schulalltag bietet. «Manche kommen regelmäßig während der Mittagsbetreuung und möchten einfach dabei sein und mitkriegen, was ich mache. Wenn sie auch mal den Akkuschrauber halten dürfen oder sogar mit dem Rasentraktor mitfahren dürfen, bin ich ihre Heldin. Für sowas lieben die Kinder dich einfach», erzählt Pitsch. Älteren Schüler:innen, die sich zum Beispiel mit den Fremdsprachen schwertun, schustert sie schon mal einen Job zu, bei dem sie erleben können, dass sie andere Stärken haben. In der gemeinsamen Zeit gehe es aber nicht ums Ergebnis, sondern ums Miteinander. Das spüren und schätzen die Kinder, ist sich Pitsch sicher. Ungefähr bis zur vierten Klasse hält das Bewundern und Anhimmeln an, hat Pitsch beobachtet. Dann nabeln die Kinder sich allmählich ab. Später ist oft wenig übrig von der Begeisterung für den Beruf.

Was genau zwischendrin passiert, kann sie nicht so richtig sagen. Sie vermutet, dass die Kinder mehr und mehr mitbekämen, dass Handwerker:innen im Allgemeinen schlecht bezahlt werden, harte Arbeitsbedingungen haben und wenig Achtung erfahren. «Dabei sollten wir unsere Handwerker:innen immer besser pflegen», mahnt Pitsch. Denn es gäbe schon jetzt viel zu wenige und das würde noch schlimmer werden. Sie selbst würde sich immer wieder für ihren Beruf und ihre Tätigkeit in der Schule entscheiden. Besonders wichtig ist ihr das Thema Nachhaltigkeit. Pitsch verwendet Baustoffe wenn möglich gern wieder. So hat sie aus einer alten Holzdecke, die herausgerissen wurde, schon mal Regale gebaut. Nach ihren ganz eigenen Vorstellungen hat sie ein Mischpult mit Holz verkleidet und einen Kasten zur Aufbewahrung von Decken gebaut. Insgesamt habe sie eher einen Hang zu gröberen Arbeiten. «Detailverliebtheit gehört nicht gerade zu meinen Superkräften», sagt Pitsch schmunzelnd. Wenn die Schule aus ist, werkelt sie oft zu Hause weiter. Die Sommerhütte ausbessern, die Grillecke umgestalten, den Terrassenboden erneuern – Pitsch findet immer etwas. Bei all dem klingelt immer mal wieder ihr Telefon. Ganz zu Hause lassen kann sie das Handwerken, wenn sie aufs Motorrad steigt, durch die Landschaft fährt und nach einem netten Café Ausschau hält. Und essen gehen mit ihrer Familie, das mache sie auch sehr gern.

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