Ausgabe 07-08/24

Geisteswissenschaft? Spiritueller Meister?

Wolfgang Müller

Zunächst einmal sind damit nicht primär die Geisteswissenschaften an unseren Universitäten gemeint, also die Fächergruppe, die im angelsächsischen Raum, wohl treffender, humanities heißt.
Bei Steiner bedeutet Geisteswissenschaft (im Singular), auch den Teil der Wirklichkeit in den Blick zu nehmen, der nicht ohne Weiteres mit äußeren Methoden, etwa experimentell, greifbar ist. Er nannte es die geistige Welt, und er sah die sichtbare Welt als Offenbarung jener unsichtbaren geistigen Wirklichkeiten.
Steiner wurde und wird oft dafür kritisiert, auch in diesem Bereich von Wissenschaft zu sprechen, der heute meist als bloßes Feld des Glaubens gilt. Ihm kam es aber darauf an zu zeigen, dass der Mensch auch in geistigen Räumen methodisch vorgehen und zu so klaren Einsichten gelangen kann wie etwa in der – ebenfalls nicht greifbaren – Mathematik. Das wirft, kein Zweifel, große erkenntnistheoretische Fragen auf.
War Rudolf Steiner für seine Anhänger eine Art spiritueller Meister?
Ja, jedenfalls in dem Sinn, dass die meisten unter ihnen überzeugt waren (und sind), er verfüge über überlegene Einsichten, die auch für andere Menschen hilfreich und wegweisend sein können. Einen Führungsanspruch hat Steiner daraus allerdings nie abgeleitet. Seine Mitteilungen verstand er immer als etwas, das jeder Mensch selbst prüfen und in seiner Stimmigkeit erwägen möge. Er bitte darum, «nichts auf Autorität und Glauben hinzunehmen, was ich jemals gesagt habe und sagen werde».
Trotzdem hat sich schon zu seiner Zeit eine teilweise fragwürdige Verehrungshaltung um den «Doktor» gebildet, es sind dazu recht verzweifelte Äußerungen von ihm überliefert: «Was nützt es denn, wenn wir den Leuten immer wieder und wiederum sagen, wir seien keine Sekte, wenn wir uns so verhalten, wie wenn wir eine Sekte wären.» Selbstverständlich galt das immer nur für einen Teil seiner Anhängerschaft.

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