Peripherie

Studierenden Gewaltprävention vermitteln

Ulrike Barth

Als ein anonymer Anruf 2011 mit einer massiven Anschuldigung gegen einen langjährigen Kollegen einging, schreckte ich als Teil der Schulführung einer Waldorfschule auf. Was genau war zu tun? Eines habe ich in dieser Situation gelernt: Wir konnten unsere Schule gut durch diese Krise führen, da ich sehr gut in der Community vernetzt war, Ansprechpartner:innen hatte, die uns beraten und mit uns viele Termine organisiert haben.

Jedes Mal wird es anders sein, wenn es um Gewalt geht, allerdings muss in jedem Fall gehandelt werden und fast immer sofort. Es ist ein bisschen wie bei der Feuerwehr: Wenn es brennt, kann nicht erst das Personal geschult und das Fahrzeug betankt werden. Das muss vorher geschehen. Und das ist der Grund, warum jede Einrichtung, die mit Menschen zu tun hat, ein Schutzkonzept benötigt, das in der Einrichtung erarbeitet wurde und Personen benennt, die die Abläufe in diesem Schutzkonzept kennen und handhaben können, unaufgeregt und zielführend.

Es ist wichtig, dass zukünftige Lehrkräfte rund um das Thema Gewalt ausgebildet werden: Welche Formen von Gewalt finden wir im Alltag vor? Wie begegnen wir diesem Thema? Im weiteren Kontext sollten Studierende lernen, was ein Schutzkonzept ist, warum eine Schule ein Schutzkonzept braucht, wie es erarbeitet und aktuell gehalten wird. Vor wenigen Wochen hat mir eine Studentin, die ihre Masterarbeit zum Thema Schutzkonzepte an Waldorfschulen schreibt, erzählt, dass die Schule, an der sie gerade ihr Praktikum macht, kein Schutzkonzept hat und sie nun gebeten wurde, bei der Erarbeitung mitzuhelfen. Dies also ist die Situation. Und es betrifft nicht die erste meiner Studierenden, die diesen Auftrag an ihrer Praktikumsstelle oder ihrem ersten Arbeitsplatz erhält.

Hintergrund ist, dass wir uns an unserer Hochschule explizit für die Thematik Gewaltprävention und Schutzkonzept in der Lehre einsetzen. Wir haben bereits zwei Seminare eingeführt: Im Bachelorstudiengang Heilpädagogik gibt es ein Seminar zur Gewaltprävention und im Masterstudiengang Beratung und Leitung im heilpädagogischen und inklusiven Feld ein Seminar zur Erstellung von Schutzkonzepten. Für die Studiengänge Bachelor und Master Waldorfpädagogik steht die verpflichtende Einordnung im Studienablauf an. Bislang waren diese Seminare in einem Wahlpflichtbereich verankert.

Hilfreich hierfür war ein Studientag für Gewaltprävention und Schutzkonzepte, der für die Studierenden aller Studiengänge des Standortes Mannheim eine Lern- und Diskussionsveranstaltung war. An diesem Tag fand auch die Diskussion über die allgemeine Antidiskriminierungsrichtlinie der Alanus Gesamthochschule für Kunst und Gesellschaft mit integriertem Konzept für eine Beschwerdestelle gegen Diskriminierung und sexualisierte Belästigung statt, die wir in der Gleichstellungskommission unserer Gesamthochschule vorbereitet hatten. Diese wird zukünftig auch ein differenziertes Schutzkonzept beinhalten und die Grundlage für den geplanten Aufbau einer Beschwerdestelle gegen Diskriminierung und sexualisierte Belästigung der Hochschule bilden.

Laut einer statistischen Hochrechnung können in jeder Klasse im Durchschnitt zwei Kinder von sexueller Gewalt betroffen sein (Tiefental, 2020). Nicht eingerechnet sind Kinder und vor allem Jugendliche, die Gewalt in komplexen anderen Situationen erleben. Unsere Aufgabe als Pädagog:innen ist neben dem Schutz der Kinder und Jugendlichen, ihnen zu vermitteln, wie sie mit entsprechenden Situationen umgehen können und lernen Stopp zu sagen. Allerdings beinhaltet unsere pädagogische Aufgabe auch, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung professionell zu begleiten. Dafür müssen wir für Schutzkonzepte sorgen und Kindern und Jugendlichen sichere Räume und Ansprechpartner:innen bieten.

Vielleicht wird es derzeit nicht jede (kleine) Ausbildungsstätte für Lehrkräfte in Deutschland schaffen, Expert:innen für diese Themen hinzuzuziehen. In diesem Fall gibt es die Möglichkeit, auf Online-Kurse zurückzugreifen, beispielsweise die Online-Fortbildung Was ist los mit Jaron? – ein digitaler Grundkurs zum Schutz von Schüler:innen vor sexuellem Missbrauch (was-ist-los-mit-jaron.de). Auch die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm bietet ausführliche Online-Kurse zum Thema an (elearning-kinderschutz.de). Jede Ausbildungsstätte für Lehrkräfte kann von den Teilnehmer:innen erwarten, einen dieser Kurse nachweislich besucht zu haben. Dann ist zumindest Wissen vorhanden, das die neuen Kolleg:innen mit an die Schulen bringen. Am Ende reicht es eben nicht, ein Schutzkonzept zu haben. Jedes Jahr müssen Kolleg:innen geschult werden, genau wie in Erster Hilfe: Wir brauchen dieses Handlungswissen, sofort und automatisiert abrufbar, ganz selbstverständlich. Denn wir werden Gewaltvorfälle nicht verhindern, wir können jedoch unser professionelles und unaufgeregtes Handeln schulen.

I have a dream: Jede Person, die im (heil-)pädagogischen Kontext mit kleinen und großen Menschen zu tun hat, hat ab dem kommenden Schuljahr Wissen über persönliche Grenzen, Gewaltprävention und Schutzkonzepte. Und mein Einsatz hierbei ist: Jede Person, die unsere Hochschule verlässt, weiß darum …

Literatur: Tiefental, Anja (2020). Ein bis zwei Kinder pro Klasse sind Missbrauchsopfer. Deutsches Schulportal. Robert Bosch Stiftung. (27.3.2023)

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