Urlaub zu Hause. Freund:innen zu Besuch. Eigentlich wollten wir zu einem wilden Strand, vier Erwachsene, fünf Kinder. Wir Erwachsenen hatten uns zuvor geeinigt, dass es uns besser gefallen würde, mit den Kindern dort zu baden, anstatt im nahen Freibad. Und was passierte dann? Fünf Kinder, die bei «wir fahren zum wilden Strand» anfingen zu brüllen: «Wir wollen ins Freibad!»
Später fragte mich mein Freund: «Und wie kam es jetzt zu dieser Entscheidung fürs Freibad?» «Die haben alle gebrüllt», sagte ich. «Und wer bestimmt bei euch? Die Kinder? Die Erwachsenen?» Ähem … «Ach, so wichtig war das mit dem wilden Strand doch nicht. Ich kann mich zusammenreißen», sagte ich, die ich am meisten für den wilden Strand gewesen war. Und sogar jetzt, beim Schreiben, kommt es mir noch albern vor, meinen «Willen durchzudrücken». Es ist doch nur so eine kleine Sache gewesen! Und doch?! Diese Frage verfolgt mich bis jetzt.
Wer schreit – gewinnt!
Als unsere Kinder noch Babys waren, wurden wir Eltern gut darauf konditioniert: Wenn der Säugling ein Bedürfnis hat, muss es erfüllt werden. Hunger, Durst, Müdigkeit eines Neugeborenen gehen vor, das ist klar. Zu dieser Zeit lernte ich als Mutter auch, dass meine Bedürfnisse warten können. Wenn ich müde war, konnte ich noch immer stillen. Wenn ich hungrig war, anstatt zu essen, ein Kind in den Schlaf schunkeln. Mein Bedürfnis nach Ruhe konnte sowieso nur dann befriedigt werden, wenn der Säugling gerade satt und zufrieden war. Und selbst wenn ich krank war, musste ich lernen, dass es immer noch jemanden gibt, dessen Bedürfnis vorging.
Geht es der Mutter gut – geht es den Kindern gut
Wir hatten eine tolle Hebamme, die sagte mir: «Geht es der Mutter gut, geht es auch dem Baby gut. Also sorge für dich. Wenn das Baby schläft, mach nicht den Haushalt, sondern ruh dich aus oder mach was für dich.» Bester Hebammen-Tipp überhaupt! Ich lernte, meine Bedürfnisse um die der Kinder herum zu arrangieren, wie eine Jongleurin, die immer mehr Bälle in der Luft hält.
Unser jüngstes Kind ist jetzt in der dritten Klasse. Das Herumarrangieren scheint nicht mehr der richtige Weg zu sein. Mir fallen immer mehr Bälle herunter. Und der, der mir am meisten auf den Boden klatscht, auf dem steht «Mamas Bedürfnis».
Ist Freibad ein Bedürfnis?
Was ist überhaupt ein Bedürfnis? Freibad? Pommes mit Schokolade? Filmschauen? Oder sind das nicht viel eher Wünsche? Es gibt eine Unterscheidung von Wunsch und Bedürfnis. Wünsche sind individuell: Manche Menschen mögen Schokolade, manche lieber Sport und manche wollen Filme sehen. Bedürfnisse haben wir Menschen alle dieselben: Hunger, Durst, Ruhe, Anregung, Anerkennung, Nähe oder Distanz.
Wenn Wünsche nicht erfüllt werden, ist das schade, das Leben geht aber weiter. Wenn dauerhaft Bedürfnisse nicht erfüllt werden, wird die Person unglücklich und gereizt und irgendwann krank.
Mama, wie geht es dir?
Geht es der Mutter gut – geht es den Kindern gut. Dieser Satz zählt auch bei älteren Kindern. Kinder sind sehr feinfühlig für den Gemütszustand ihrer Eltern. Evolutionär lässt sich das wohl am besten dadurch erklären, dass sie mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit von den Erwachsenen abhängen. Wenn die Erwachsenen unserer Urvorfahren krank wurden oder starben, gab es für die Kinder wenig Chancen zu überleben.
An diesem Nachmittag im Freibad schwirrte mein ältester Sohn ungewöhnlich viel um mich herum, zeigte mir dies und jenes und schlug mir vor, mich in den Schatten zu setzen. Er hatte gespürt, dass ich vergessen hatte, für mich selbst zu sorgen und übernahm jetzt diesen Part.
Das Leben der Kinder ist weniger befreit, wenn die Erwachsenen nicht auch für sich sorgen und den Kindern Entscheidungen überlassen. Denn dann scheint es plötzlich der Job der Kinder zu sein, ständig zu jonglieren. Kinder haben ein Bedürfnis nach Schutz und Unbeschwertheit – sie brauchen also Erwachsene, die sich nicht selbst vergessen.
Ich kann mich zusammenreißen!
Kinder lernen am meisten von unserem Vorbild. Wenn wir dazu neigen, uns selbst nicht so wichtig zu nehmen, die eigenen Bedürfnisse als albern zu empfinden und sich für die Familie zusammenzureißen, dann ist es genau die Lektion, die wir unseren Kindern mit auf den Weg geben. Deshalb ist es umso mehr wert, wenn wir Mütter und Väter es immer öfter schaffen, dem eigenen Ball Gewicht zu geben.
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