Worauf legt Thea wert, wenn sie Kleidung kauft? Wofür setzt sie sich ein? Was verabscheut sie? Welche Literatur liest Thea und wo liest sie? – Das sind nur ein paar der Fragen, die sich Sarah Laas zu Thea stellt, die es im wahren Leben gar nicht gibt. Denn Thea ist eine sogenannte Persona, die Stellvertreterin einer Zielgruppe also. Sarah Laas entwirft sie gerade im Rahmen eines Studienseminars. Sie hat die Aufgabe, ein imaginäres Startup zu gründen, das mindestens eines der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung innehat und eines oder mehrere Probleme aus dem sozialen oder dem ökologischen Bereich löst. Sarah Laas studiert Wirtschaft, aber nicht nur. Denn an der Alanus Hochschule sind alle Studiengänge auf die eine oder andere Weise mit einer künstlerischen Komponente versehen. Sarah Laas hat sich für den Bachelorstudiengang Wirtschaft & Schauspiel entschieden. Deshalb wird sie später am Tag noch am Monolog eines Rollencharakters feilen und sich genau überlegen, wie dieser Charakter seine Adressat:innen anspricht. «Das ist eines von vielen Beispielen, wo es Schnittmengen bei den sehr verschiedenen Fächern gibt und sie sich sinnvoll ergänzen. Wirtschaft & Schauspiel – das klingt erstmal gegensätzlich, passt aber wunderbar zusammen», sagt die 27-Jährige.
Johannes Brunner geht sogar noch einen Schritt weiter. Er ist der Dekan des Fachbereichs Bildende Kunst und Professor für Bildhauerei. Er sieht in einem kreativen, künstlerischen Bewusstsein des Menschen ein solides Fundament für alle Lebensbereiche. «Wenn wir vor einer Aufgabe oder einem Problem stehen und keine Expert:innen dafür sind, kann uns diese Situation ein Gefühl der Ohnmacht vermitteln. Ein kreatives, künstlerisches Denken kann uns dabei helfen, nicht wie gelähmt davor stehen zu bleiben, sondern ins Handeln zu kommen. Es ist die Fähigkeit, out of the box zu denken und wenigstens vorübergehend zu einer Lösung zu kommen oder auch zu etwas ganz Neuem, Zukunftweisendem», erläutert er. Kunst sei grundlegende Menschenbildung und hätte deshalb in allen Studiengängen an der Alanus Hochschule ihren Platz.
In dem von Rebekka Winter ganz besonders. Denn sie studiert Kunsttherapie – Sozialkunst. Mit 35 Jahren gehört sie zu den älteren Studierenden. Im ersten Beruf ist sie Sozialarbeiterin. Rebekka studiert berufsgleitend, lebt und arbeitet parallel in Mannheim. Als Sozialarbeiterin unterstützt sie junge Menschen mit psychosozialen Schwierigkeiten dabei, einen Schulabschluss zu erlangen. An der Alanus Hochschule schätzt sie vor allem die Gemeinschaft unter den Kommiliton:innen und die zugewandte Art der Dozierenden. «Ich habe hier wirklich den Eindruck, dass es um mich und meine Entwicklung geht, um echte Bildung. Wie kann ich das, was in mir liegt, herausbilden, um es anderen zur Verfügung zu stellen? Das kannte ich so bisher nicht und ich habe ja schon einmal studiert», erzählt Rebekka. Zu schaffen machen ihr dagegen die Studiengebühren, auf die die Alanus Hochschule als private Hochschule angewiesen ist. Je nach Studiengang und Studienmodell (Teilzeit oder Vollzeit) fallen mehrere hundert Euro im Monat an. Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Partnerin könnte sich Rebekka das Studium nicht leisten.
Dass die Studiengebühren eine echte Hürde darstellen können, beschäftigt auch den Dekan Jost Schieren. Er leitet den Fachbereich Bildungswissenschaft und ist Professor für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Waldorfpädagogik. «Wir arbeiten ständig mit Hochdruck daran, neue Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, damit das Studium an der Alanus Hochschule allen offen steht», berichtet er. Für die Dozierenden sei dies eine Aufgabe, die zu ihrer eigentlichen Arbeit des Lehrens hinzukommt. Sie ist zu bewältigen, weil fachbereichsübergreifend alle an einem Strang ziehen würden. Für Jost Schieren sind das besondere Gemeinschaftserleben und die künstlerische Kreativität Merkmale, die den Spirit der Alanus Hochschule ausmachen. In seinem Fachbereich, der Bildungswissenschaft, ist es ihm ein besonderes Anliegen, die Waldorfpädagogik mit der Wissenschaft ins Gespräch zu bringen. «Waldorfpädagogik darf nicht länger nur aus der Tradition und der Praxis heraus überzeugend sein, was an sich sehr positiv ist. Sie muss auch wissenschaftlich nachvollziehbar und begründbar werden, damit sie in unserer Gesellschaft ihren berechtigten Platz findet», fordert er. Es geht ihm um einen transparenten und pluralen Diskurs mit allen Themen der Waldorfpädagogik. Die grundlegende wissenschaftliche forschungsbasierte Orientierung der Alanus Hochschule im Umgang mit der Waldorfpädagogik hat in den vergangenen Jahren zu einer hohen gesellschaftlichen Reputation geführt, die sich insbesondere daran zeigt, dass der Fachbereich Bildungswissenschaft über das Promotionsrecht verfügt. Ein eigens eingerichtetes, breit vernetztes Graduiertenkolleg Waldorfpädagogik vergibt Promotionsstipendien im Bereich der Waldorfpädagogik.
Eine von Schierens Student:innen ist Clara Zander, die ihre eigene Schulzeit teilweise an einer Waldorfschule und teilweise an einem staatlichen Gymnasium verbracht hat. Sie absolviert berufsbegleitend den Masterstudiengang Pädagogik/Waldorfpädagogik und ist außerdem als Assistenzlehrerin an der Freien Waldorfschule Bergisch Gladbach tätig. Bevor Clara an die Alanus Hochschule kam, hat sie Lehramt für Gymnasien studiert. «Nach allem, was ich bildungswissenschaftlich gelernt habe, nämlich dass es auf beziehungs- und erfahrungsbasiertes Unterrichten ankommt, ist es für mich eine logische Schlussfolgerung, an eine Waldorfschule zu gehen. Denn beziehungs- und erfahrungsbasiert unterrichten kann ich an einer Waldorfschule viel besser, weil die Strukturen dort dafür angelegt sind», erklärt sie ihren Schritt an die Alanus Hochschule. Clara hatte sich zuvor mehrere Waldorflehrer:innenseminare angesehen, sich ganz bewusst für die Alanus Hochschule entschieden und dafür sogar einen Umzug in Kauf genommen. Vor allem die Wissenschaftlichkeit sei ihr wichtig gewesen. «Überzeugt hat mich letztendlich aber ein Artikel von Jost Schieren in der Erziehungskunst vom April 2022. Darin plädiert er dafür, konstruktive Kritik an der Waldorfpädagogik ernst zu nehmen und daran zu wachsen», erzählt Clara. Ihr Studium wird wegen des großen Lehrkräftemangels vom Bund der Freien Waldorfschulen bezuschusst.
Die Alanus Hochschule ist idyllisch gelegen – auf einer Anhöhe oberhalb der Ortschaft Alfter bei Bonn. Ihr erstes zu Hause, ihren ersten Campus, hat sie 1973 auf einem alten Bauernhof gefunden, auf dem Johannishof, der über Jahre umgebaut wurde. 2009 eröffnete dann im Tal der neu gebaute Campus II. Während sich auf dem alten Campus bis heute die Malateliers, die Darstellenden Künste Eurythmie und Schauspiel, das Hoftheater, die Mensa sowie Teile der Verwaltung befinden, beherbergt der neue Campus die Fachbereiche Architektur, Bildungswissenschaft, Kunsttherapie und Wirtschaft. Nach knapp 30 Jahren als freie Kunststudienstätte erhielt die Alanus Hochschule 2002 die staatliche Anerkennung nach dem nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz. Heute zählt die Hochschule für Kunst und Gesellschaft rund 2.000 Studierende in sechs Fachbereichen.
Schon in der Silvesternacht, als sie sich überlegt hat, was das kommende Jahr bringen wird, hat sich Clara auf ein weiteres Studienjahr an der Alanus Hochschule gefreut. Daran erinnert sie sich noch gut. In jungen Menschen die Freude dafür zu wecken, die Zukunft zu gestalten – das ist eines der zentralen Anliegen von Johannes Brunner, Jost Schieren und den Kolleg:innen an der Alanus Hochschule. «Unsere Gesellschaft ist außerordentlich komplex geworden und ist sehr krisenbehaftet. Das kann bei jungen Menschen Zukunftsängste und Mutlosigkeit erzeugen», beobachtet Jost Schieren. Wir möchten unseren Studierenden nicht nur die Kenntnisse und das Können, sondern auch die Freude vermitteln, mit Idealismus und Tatendrang die Gesellschaft von Morgen zu gestalten.» Und auch Johannes Brunner glaubt, dass es für junge Menschen schwerer geworden ist, ihren individuellen Platz in der Gesellschaft zu finden. Ihnen Sicherheit und Selbstvertrauen zu vermitteln sowie das Gefühl, dass sie nicht nur ein kleines Rädchen in einem riesigen Betrieb sind, dafür sind sie an die Alanus Hochschule gekommen. «Wir möchten hier nicht nur einen Lehrplan abarbeiten, sondern den Studierenden vermitteln, wonach sie selbst suchen», hält Johannes Brunner fest.
Ausgabe 09/24
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