Seine Kritiker:innen wiederum erfanden die schillerndsten Metaphern für ihn, bezeichneten ihn als Scharlatan, Wunderdoktor, Demagogen, philosophischen Glücksritter oder fanatischen Apostel, Kurt Tucholsky nannte ihn gar den «Jesus Christus des kleinen Mannes». Die Quintessenz der Anthroposophie, so schrieb etwa Wilhelm Renner polemisch im Berliner Tageblatt, sei Sinnsetzung des Sinnlosen.
Als Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik, 1925 starb, erschienen in den zeitgenössischen Medien sehr viele Nachrufe. In dem kürzlich im Info3-Verlag erschienenen Buch Rudolf Steiner in Nachrufen sind 46 solcher Nachrufe aus Zeitungen aller politischen oder konfessionellen Richtungen abgedruckt. Sie spiegeln die kontroversen Blicke auf Steiner, seine Anhänger:innen, seine Gegner:innen und die Zeit von 1925.
Erstaunlich ist, dass die Bewertung und Einordnung Steiners hundert Jahre später ähnlich extrem zu sein scheint – entweder man folgt seinen Ideen in den vielen inzwischen institutionalisierten Lebensformen oder man schmäht alle, die sich zur Anthroposophie oder der Waldorfpädagogik bekennen. Und dass, obwohl Anthroposoph:innen in den vergangen hundert Jahren intensiv gesellschaftlich gewirkt haben. Als Folge von Steiners Ideen entstanden Schulen, Kindergärten, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, anthroposophische Kliniken, Arzneimittelhersteller, Banken, Verlage und andere Wirtschaftsunternehmen.
2025 jährt sich Steiners Todestag zum hundertsten Mal. In dieser Erziehungskunst definiert Walter Riethmüller die aus der Anthroposophie gewonnen Ideale als Aufforderung zum Selbstdenken, zum Weiterdenken und zum Tätigwerden. Hans Hutzel beleuchtet im Gespräch mit Anne Brockmann das knifflige Verhältnis von Waldorfpädagogik und Anthrosophie hundert Jahre nach dem Tod Steiners. Angelika Schmitt, demnächst Co-Leiterin des Rudolf-Steiner-Archivs in Dornach, möchte das Werk Steiners so aufbereiten, dass das wissenschaftliche Erforschen seines schriftlichen und künstlerischen Erbes eine authentische Grundlage erhält.
Auch alle anderen Beiträge in dieser Erziehungskunst möchte ich Ihnen empfehlen. Wie ist eigentlich das Neutralitätsgebot an Waldorfschulen zu verstehen? Darüber schreiben Frank Steinwachs und Albrecht Hüttig. Anne Brockmann beschreibt, wie intensiv sich eine elfte Klasse in Hamm mit den Wahlen in den USA beschäftigt hat. Heidi Käfer hat sich mit zwei Pädagoginnen unterhalten, die neue Englischlektüren für Waldorfschulen entwickeln, mit dem Ziel, Englischunterricht zu dekolonialisieren und diskriminierugsfreier zu machen.
Ich wünsche Ihnen eine vergnüglich-interessante Lektüre. Aus dem asiatischen Raum soll folgendes Zitat stammen, mit dem ich Sie herzlich grüße: «Ein freundliches Wort kann drei Wintermonate erwärmen.»
Ausgabe 12/24
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