Ausgabe 11/23

Vom Löten-Lernen zum Klimawandel

Tilman Günther

Jeden Tag stirbt im Großen Garten in Dresden ein Baum. Jeden Tag! 18.000 Bäume gibt es dort heute. Bedeutet: Wenn nicht nachgepflanzt wird, ist der Große Garten in spätestens 50 Jahren eine Wüste. Das wollen die Hausherren der barocken Parkanlage im Herzen der sächsischen Landeshauptstadt natürlich nicht zulassen. Die Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten gGmbH hat deshalb ein Projekt ins Leben gerufen, um herauszufinden, wie einerseits der Bestand möglichst gut erhalten werden kann und wie andererseits neue, dem sich wandelnden Klima angepasste Arten gefunden und gepflanzt werden können. Einem ganz kleinen Teil davon haben sich Achtklässler:innen der Neuen Waldorfschule Dresden gewidmet.
Und wie das immer so ist, auch ganz kleine Teile werden zu großen Herausforderungen, wenn man sich damit beschäftigt. Wie unter einer Lupe wachsen die Aufgaben, sieht man im Detail immer feinere Strukturen und merkt, wie alles mit allem zusammenhängt und jede Kleinigkeit wichtig ist. Was das mit Bäumen und Lötstellen zu tun hat, das erklärt Ulf Waeschke.
Der Physiker, Tüftler und Erfinder hat mit den Jugendlichen ein Modell des Großen Gartens gebaut. Auf der Platte so groß wie der Küchentisch einer sechsköpfigen Familie sind die Bäume durch Leuchtdioden symbolisiert. Zum Glück sind es keine 18.000, das hätte den Rahmen gesprengt. «Wir haben knapp 500 Duo-LEDs verbaut», sagt Waeschke. «Jede davon steht für eine Gruppe von Bäumen.» Das fertige Modell ist im Kulturpalast in Dresden zu sehen. Besucher:innen können an Reglern drehen und so die Farben der kleinen Leuchten von Grün über Gelb zu Rot werden lassen. Klar: Grün steht für gesunde Bäume, Gelb für bereits geschädigte, Rot für sterbende Bäume.
Das ist die Idee des Projektes: Den Betrachter:innen zu verdeutlichen, was passiert, wenn es in unserer Region insgesamt wärmer wird und weniger regnet. Diesen Lerneffekt hatten zuallererst die Schüler:innen, die am Projekt mitgearbeitet haben. Und das quasi nebenbei, denn für die Macher:innen ging es zunächst nur darum, die Lampen zu verlöten. «Ich hatte den Auftrag, für 2.500 Euro das Modell zu bauen», sagt Waeschke. Er wusste, was zu tun war, entwickelte einen Plan und begann mit dem Aufbau. Doch der erfahrene Tüftler merkte schnell, die schiere Menge der Lötstellen würde ihn so viel Zeit kosten, dass er unbedingt Hilfe brauchte.
Und die fand er in der Neuen Waldorfschule Dresden. Einige Schüler:innen der achten Klasse erklärten sich bereit, in ihrer Freizeit, die LEDs zu verlöten. Ulf Waeschke hatte das Fördergeld zur Verfügung und die Jugendlichen sollten für ihre Arbeit einen Teil davon bekommen. Das Geld wollten sie für eine ganz besondere Klassenfahrt verwenden: Eine Alpenüberquerung als Herausforderung und Grenzerfahrung.
«Es ging also eigentlich erstmal gar nicht um das Baumsterben, um Klimaschutz und all die Dinge», erzählt Waeschke. «Sondern es ging ein bisschen um Physik, und vor allem ging es um Handwerk. Die Jugendlichen haben gelernt, wie man lötet, und sie haben den Vorgang verstanden, was da passiert, wenn das Lötzinn durch die Hitze verflüssigt wird und eine leitfähige Verbindung zusammengefügt werden kann.» Doch dabei blieb es nicht.
«Es war wirklich wunderbar, zu beobachten, wie sich die Schüler:innen immer mehr für das eigentliche Thema des Projektes interessiert haben.» Diese Art des Lernens, sich durch eigenes Tun in ein Thema zu vertiefen und Neues zu entdecken, auch und gerade über das eigentliche Ziel hinaus, über Fachgebietsgrenzen hinweg, interdisziplinär, das ist der beste Weg, sich Wissen anzueignen.
«Die Jugendlichen haben große Selbstständigkeit bewiesen. Sie haben nach der Anlernphase die Sache in die Hand genommen und mich fast gar nicht mehr gebraucht», sagt Ulf Waeschke. «Die ganze Atmosphäre war beeindruckend für mich und richtig schön.»
Die Begeisterung entwickelte sich auch bei den Schüler:innen. «Wir sind dem Thema und irgendwie auch einander nähergekommen», erzählte Hannah. Und Heinrich fügte mit Blick auf den Klimawandel an: «Wir müssen jetzt etwas machen, damit es nach uns überhaupt noch Bäume gibt.»
Nun ist der Lohn für die tolle Arbeit und die Beschäftigung mit dem Thema sogar noch gewachsen. Denn das Projekt kam so gut an, dass es auch beim PEGASUS-Programm Schulen adoptieren Denkmale erfolgreich abschnitt und es für die Adoption des Großen Gartens weitere 500 Euro gab. Dabei ist das Geld nur ein Teil des Gewinns. Der Wert des Erfolgs steckt in der Erfahrung aus der Lernsituation, natürlich im Gelernten selbst und ganz besonders in der Anerkennung, die die Schüler:innen dafür bekommen. So kann Schule gelingen.
 

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.