Endlich widmeten wir uns Tätigkeiten, die das Wohlbefinden nährten und die irgendwie Sinn ergaben. An der Waldorfschule ist das Arbeiten mit Ton von Anfang an Teil des pädagogischen Konzepts. Es wird nicht Töpfern genannt, da es nicht um ein Produkt mit funktionellem Nutzen geht. Plastizieren wird als Tätigkeit verstanden, die die ganzheitliche Entwicklung fördert, indem sie Kopf, Herz und Hand gleichermaßen anspricht und den Schüler:innen erlaubt, auf kreative und sinnliche Weise ihre Umwelt und sich selbst zu erfahren.
Rudolf Steiner charakterisierte 1919 im Methodisch-Didaktischen Kurs zwei künstlerische Strömungen, die an den Menschen «herantreten» – die plastisch-bildnerische und die musikalisch-dichterische Strömung. Beide fädeln sich als Charakteristikum durch die gesamte Waldorfpädagogik. Beim Plastizieren, also ganz grundsätzlich beim Gestalten von konkaven und konvexen Formen, gehe es, wie auch beim Zeichnen oder Malen, nicht darum, eine Form zu schaffen, die etwas anderes nachahmt, sondern darum, zunächst einmal das Interesse der Kinder an «ursprünglichen» Formen zu wecken. Durch die Transformation der Grundform sollen sie – rein über das Tun – zu verschiedenen neuen Formen finden, und so ein lebendiges, unmittelbares Formgefühl entwickeln.
Das Plastizieren ist für alle Klassenstufen der Waldorfschule vorgesehen, Anforderungen und Themen variieren altersgemäß. In der Unterstufe beginnen die Kinder mit Kugeln, Schalen oder Tieren, die die motorischen Fähigkeiten fördern und ein grundlegendes Verständnis für das Material vermitteln. In der Mittelstufe werden die Arbeiten differenzierter und figürlicher. Hier lernen die Schüler:innen Proportionen und die Beziehung zwischen Form und Raum kennen. In der Oberstufe geht es stärker um das künstlerische und individuelle Gestalten. Die Plastiker:innen setzen sich mit komplexeren Themen auseinander, modellieren Büsten, Reliefe oder abstrakte Formen, deren Entstehungsprozess anschließend reflektiert wird.
Lernen durch Formen
Durch das Arbeiten mit Ton werden physiologische und kognitive Fähigkeiten wie die Schulung von Feinmotorik und dem räumlichen Vorstellungsvermögen vermittelt, gleichzeitig lernen Schüler:innen auf der sozialen und emotionalen Ebene Geduld und Resilienz beziehungsweise Fehler als Lernchancen zu verstehen. Ton ist lebendig und konkret. Er verlangt Flexibilität und ständige Achtsamkeit, jedoch keine Hast, und das Arbeiten mit ihm ist sinnlich und erdend – in der heutigen schnellen, digitalisierten und abstrakten Welt wohl eine wichtige Erfahrung. Und wer einmal Ton modelliert hat – ob für sich zu Hause, im Töpferkurs oder im Plastizierunterricht, kann dessen ganzheitlich-therapeutischen Effekt sicherlich zumindest nachvollziehen.
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