In Bewegung

Waldorf beleben: Ein Ansatz zur Selbstorganisation

Martin Konrad
Michael Harslem beim Workshop mit der Schulentwicklungsgruppe der FWS Bonn.

Um die Arbeit mit den Kindern wieder in den Mittelpunkt zu rücken, hat Michael Harslem auf Basis seiner Begleitung vieler Waldorfschulen ein neues Konzept der Selbstorganisation entwickelt. Es basiert auf den Prinzipien der Dreigliederung und den Entwicklungen, die Frederic Laloux in seinem Buch «Reinventing Organizations» darlegt, findet sich auch in Otto Scharmers Theory U sowie in vergleichbaren Ansätzen wie «Das kollegial geführte Unternehmen». Die Idee ist, den Lehrer:innen mehr Zeit und Kraft für ihre Aufgaben mit den Schüler:innen zu ermöglichen, denn die pädagogische Arbeit mit den Kindern soll im Zentrum stehen. Teamarbeit und stärkere Fokussierung auf erfüllende Beziehungsarbeit wirken positiv im Sinne der Salutogenese. Damit wollen wir ein professionelles Umfeld für motivierte und gesunde Lehrer:innen schaffen, die Lust haben, gemeinsam in Teams das Lernen mit den Schüler:innen der neuen Generationen weiterzuentwickeln und ihre Ideale von Waldorfpädagogik zu verwirklichen. Es bedeutet auch, dass die Dienstleistungen in der Selbstverwaltung der Schule zusammengefasst und professionalisiert werden müssen, um die Entlastung der Pädagog:innen zu erreichen. Weiterhin sind neue Formen der Entscheidungsfindung und eine «dienende Führung» des ganzen Organismus Schule zu entwickeln.

Mit vier Säulen der Selbstorganisation wollen wir das an unserer Schule bewirken: pädagogische Teams, Professionalisierung von Dienstleistungen, Struktur und Kommunikation (siehe Schaubild).

Darstellung der vier Arbeitsbereiche, Details dazu gibt es hier (Martin Konrad).

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Veränderung ist die «Projektgärtnerin», die den Prozess laufend begleitet und am Leben hält. Es braucht einen fruchtbaren Boden im Schulorganismus und den gemeinsamen Willen von Kollegium und Schulführung, aber ohne die Motivation als treibende Kraft wird nichts wachsen und ohne eine Projektsteuerung würde der Prozess langsam austrocknen. Die Gärtnerin koordiniert den Prozess, setzt auch Impulse, bindet alle wichtigen Gruppen und den Organismus mit ein und verbindet sich mit externen Ressourcen, wie in unserem Fall den Partnerschulen, Stiftungen, dem Bund der Freien Waldorfschulen und der Waldorfcommunity, die wir über diesen Artikel ansprechen. Wer soll diese pflegende und gestaltende «Gärtnerrolle» übernehmen? Wer bringt die Kompetenz und Energie zur langfristigen Führung eines solchen Prozesses mit? Neben den Waldorf-Geschäftsführer:innen, die zwar auch mit Aufgaben gut ausgelastet sind, aber häufiger eine Ausbildung und Erfahrung im Projektmanagement mitbringen, kommen auch Lehrer:innen in Betracht, die solche Voraussetzungen erfüllen und sich weiterbilden wollen.

Den dargestellten Weg beschreiten wir zurzeit mit vier Schulen in NRW: der FWS Bonn, der FWS Krefeld, der FVS Satzvey und der RSS Siegen. Dabei wollen wir uns von der Alanus Hochschule wissenschaftlich begleiten lassen. Das Konzept der Selbstorganisation in Lehrerteams an den sehr individuellen Schulen einzuführen und uns untereinander auszutauschen, ist für uns alle eine bereichernde Herausforderung. Bisher findet die Vernetzung hauptsächlich zwischen den Geschäftsführer:innen statt. Wir arbeiten aber bereits daran, sie auch zwischen den Verwaltungen und Kollegien zu fördern. Damit sammeln wir einen Erfahrungsschatz, den wir dann allen Schulen zur Verfügung stellen wollen.

Uns ist bewusst, dass wir einen Marathon vor uns haben. Laut Michael Harslem benötigt die grundlegende Veränderung einer Schule von bis zu sieben Jahren. Wir gehen diesen Weg mit einem agilen Ansatz, bleiben bereit, unseren Plan ständig neu zu justieren und sind darauf gefasst, an einzelnen Stellen auch fröhlich zu scheitern. Schritt für Schritt werden wir unseren Schulorganismus weiterentwickeln. Jeder Schritt ist dabei für sich funktionsfähig.

Kann sich das jede Schule leisten? Schauen wir auf den Lehrer:innenmangel, müssen wir uns eher fragen: Kann es sich eine Schule leisten, sich nicht bewusst weiterzuentwickeln? Aber natürlich ist die Finanzierung der beschriebenen Maßnahmen ein entscheidender Punkt. Wir vier Schulen tragen die nicht unerheblichen Kosten des Pilotprojektes und wir tun dies, weil wir von der Wirksamkeit überzeugt sind und uns durch ein Zusammenwachsen Synergieeffekte erhoffen. Zusätzliche Förderung durch Stiftungen würde uns die Arbeit deutlich erleichtern und den Prozess beschleunigen.

Eine wichtige Motivation für unsere Beschäftigung mit der Selbstorganisation war die Verbesserung der individuellen Situation der einzelnen Schule. Die Frage, ob wir Konkurrenten sind und weniger Wissen teilen sollten, erübrigt sich durch den Sinn unseres Handelns, wie es Frederic Laloux beschreibt. Sehen wir die Verbesserung der schulischen Entwicklung aller Kinder über jede Grenze hinweg als unser Ziel, dann gibt es keine Konkurrenz mehr. Dann arbeiten wir durch das Teilen von Erfahrungen und gemeinsames Lernen für genau diesen Sinn.

Mehr Informationen: www.fwsbonn.de/wir/schulentwicklung/

Quellen: Frederic Laloux, Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness, 2014 | Bernd Oesterreich, Claudia Schröder, Das kollegial geführte Unternehmen, Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen, Vahlen 2017 | https://harslem.de/category/fuehrung

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