Tatsächlich – eine Agrarkultur ohne Chemie und Gift, ohne Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und ohne Gentechnik, dafür mit biodynamischer Züchtung von Pflanzen und Tieren, mit handwerklich gekonnter Verarbeitung und Orientierung an Tierwohl und Nachhaltigkeit funktioniert. Als Entwicklungsgemeinschaft von Landwirt:innen und Gärtner:innen, Verarbeiter:innen und Händler:innen stellt sich Demeter dem gemeinsamen Ziel, weiterhin Pionierin zu bleiben und höchste Maßstäbe zu setzen. Zum Jubiläum lohnt sich ein Blick in die Entstehungsgeschichte.
Pfingsten 1924 hält Rudolf Steiner auf Gut Koberwitz bei Breslau seine acht Vorträge zum Gedeihen der Landwirtschaft. Eine Gruppe von Bäuer:innen, die sich von der Anthroposophie inspiriert fühlt, hat Steiner dazu gedrängt. Sie erhofft sich von ihm konkrete Hilfestellungen für eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft. Die Landwirt:innen sind besorgt, weil die Qualität der Lebensmittel, die Fruchtbarkeit der Böden und die Gesundheit von Pflanzen und Tieren spürbar nachgelassen haben. Diese zehn Tage sind auch die Geburtsstunde des modernen ökologischen Landbaus. Rudolf Steiners Impuls fiel auf fruchtbaren Boden. Das biodynamische Prinzip, den landwirtschaftlichen Betrieb als möglichst geschlossenen Organismus zu betrachten, ist zum Fundament der gesamten ökologischen Landwirtschaft geworden: Auf dem Bauernhof werden nur so viele Tiere gehalten, wie mit selbst angebautem Futter ernährt werden können. Dadurch liefern die Tiere ausreichend Dung, um wiederum die Pflanzen zu ernähren und den Boden fruchtbar zu halten.
Der entscheidende Unterschied zu den anderen biologischen Anbauweisen liegt in einem erweiterten Verständnis der Landwirtschaft begründet. Steiner erklärt den Praktiker:innen 1924, dass Landwirtschaft mit dem ganzen Kosmos zusammenhängt. Naturrhythmen wie die der Gezeiten spielen dabei eine wichtige Rolle und zeigen, dass alles miteinander verbunden ist. Steiner fordert die staunenden Zuhörer:innen auf, seine aus übersinnlichen Erfahrungen geschöpften Erkenntnisse nicht einfach zu glauben, sondern sie zu erforschen und in der Praxis zu erproben. Genau damit beginnen die erfahrenen Praktiker:innen unverzüglich. Für ihre Produkte wählt die Gruppe, die sich zum Versuchsring anthroposophischer Landwirt:innen zusammenschließt, schon vier Jahre später den Namen der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Er schlägt noch heute die Brücke zur spirituellen Dimension von biodynamisch.
Steiner war überzeugt davon, dass Lebensmittel nur dann die Qualität erlangen, die Menschen Weiterentwicklung ermöglicht, wenn bei ihrer Erzeugung sämtliche Einflussfaktoren beachtet werden: kosmische Rhythmen, der Boden als Verdauungsorgan der Pflanze oder seelische Kräfte des Tieres. Dadurch angeregt und anknüpfend an goetheanische Naturkenntnis, also ein phänomenologisches Wahrnehmen, betrachten Demeter-Landwirt:innen ihren Hof als einen lebendigen, einzigartigen Organismus – eine Perspektive, die auch andere holistische Praktiken wie die Permakultur pflegen. Dieses Ideal geht über das Bild des geschlossenen Hofkreislaufs hinaus. Ein Organ braucht dabei das andere. Jedes Teil dient dem Ganzen. Mensch, Pflanze, Tier und Boden wirken zusammen. Biodynamiker:innen haben dabei nicht allein materielle Substanzen im Blick, sondern auch gestaltende Kräfte des Kosmos und rhythmische Lebensprozesse wie die Jahreszeiten, den Mondzyklus und Tages- und Nachtrhythmen. Was in der Theorie vielleicht etwas abgehoben klingt, zeigt sich in der Praxis ganz bodenständig. Viele Besucher:innen nehmen auf Demeter-Höfen eine besondere Atmosphäre wahr. Die kann durch das individuelle Gestalten des Hoforganismus' entstehen.
Das Herzstück sind die biodynamischen Präparate
Alle Kräftewirkung wird über den Einsatz selbst hergestellter sogenannter biodynamischer Präparate gebündelt. Sie sind das außergewöhnlichste Charakteristikum der biodynamischen Wirtschaftsweise. Ihre Anwendung ist für jeden Demeterbetrieb verpflichtend. Der Mensch nimmt für ihre Herstellung tierische, pflanzliche und mineralische Substanzen und setzt sie natürlichen Prozessen aus, um sie dann in veränderter Form dem Boden und den Pflanzen wieder zuzuführen. Die Kompostpräparate werden aus den Heilpflanzen Brennnessel, Schafgarbe, Kamille, Eichenrinde, Löwenzahn und Baldrian hergestellt. Dazu werden sie in tierischen Organhüllen wie Schädel, Darm oder Blase über mindestens ein halbes Jahr im Boden vergraben. Dann werden sie dem Mist zugegeben, damit ein besonders wertvoller Kompost entsteht. Die Spritzpräparate werden in Kuhhörner gefüllt und vergraben: Hornkiesel als fein zermahlener Quarz sowie Kuhdung für das Hornmist-Präparat. Beide werden nach ihrem Verwandlungsprozess im Boden dann in geringen Mengen in Wasser rhytmisch verrührt und auf Äcker, Wiesen, Pflanzen gespritzt. Die Wirkung der Präparate wurde vielfach nachgewiesen: Es wird eine generell ausgleichende, harmonisierende Wirkung und optimale Reifequalität beobachtet.
Den Boden lebendig machen
Ein Ziel biodynamischer Bemühungen ist die Verlebendigung des Bodens. Nur in vitalem Boden können Nahrungsmittel harmonisch wachsen. «Der Bauer ernährt das Bodenleben, nicht die Pflanzen», lehrte Rudolf Steiner, der den Boden ein Organ der Landwirtschaft nannte. Steiner setzte damit ein Gegengewicht zu der damals gerade neu entwickelten industriellen Stickstoffdüngung. Als erster Bioverband hat Demeter seit 2008 Richtlinien für Pflanzenzüchtung und zertifiziert biodynamisch gezüchtete Gemüse- und Getreidesorten. Die Richtlinien garantieren höchste Nahrungsqualität, besten Geschmack und das Vererben guter Eigenschaften in der Pflanzenzucht weiter. So bleibt Saatgut als Kulturgut in der Verantwortung von Landwirt:innen und Gärtner:innen und bietet Alternativen zur Saatgutindustrie und Gentechnik.
Das Wesen des Tieres erkennen
Demeter ist der einzige ökologische Anbauverband mit obligatorischer Tierhaltung auf den Bauernhöfen. Nur ausnahmsweise darf auf eine Kooperation mit einem Demeterpartner ausgewichen werden, der dann den tierischen Mist liefert. Tiere, vor allem die Kühe, spielen eine zentrale Rolle in der betrieblichen Individualität des Hoforganismus. Die Kühe auf Demeterbetrieben haben Hörner, das schmerzhafte Enthornen wird ganz bewusst nicht praktiziert. Das Futter für die Demetertiere wird selbst erzeugt oder von anderen biodynamischen Betrieben dazugekauft. Tiermehle, Zusatzstoffe und vorbeugende Medikamente wie Antibiotika oder Hormone sind tabu. Jedes Tier strahlt in seine Umwelt eine spezifische Qualität aus und prägt so das Hofleben. Erst die Tiere bringen diese besondere seelische Komponente mit, die gerade für Menschen unserer Zeit so anziehend wirkt.
Aktive Gestalter:innen einer lebenswerten Zukunft
Die Initiator:innen der biodynamischen Wirtschaftsweise waren sich darüber bewusst, dass sie mit der neuen Agrarkultur dazu beitragen, die nachhaltige Ernährung des Menschen und seine ganzheitliche Entwicklung zu ermöglichen. Das beschäftigt die heutigen Akteur:innen weiter. Sie wollen das Zukünftige nicht als bloße Verlängerung des Vergangenen sehen, sondern offen sein für das, was auf sie zukommt. Kein Wunder, dass Höfe zum Keimort für eine neue Art von sozialem Miteinander in Gemeinschaften, Kooperationen, solidarischen Formen der Landwirtschaft und ungewöhnlichen Modellen werden: Über zehn Prozent der deutschen Demeterbetriebe sind in gemeinnütziger Trägerschaft organisiert. Auf zahlreichen Höfen werden Menschen mit Handicaps in sinnvolle Arbeit integriert. Demeter ist zudem der einzige Bioverband, der Verbraucher:innen das Mitarbeiten ermöglicht.
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