Er vollbringt das Kunststück, auf dem heutigen Stand wissenschaftlicher Forschung einen Bogen von der astronomischen Stellung der Erde innerhalb unseres Sonnensystems bis zu einem vertieften Verständnis des Lebens auf unserem Planeten zu spannen. Die zentrale Frage, der er anhand zahlreicher anschaulicher, oft auch verblüffender Beispiele nachgeht, lautet: «Was ist Leben überhaupt?»
Um das Fazit vorwegzunehmen: Schad belegt eindrücklich, wie die unzähligen Formen des Lebens auf und in der Erde, in der Luft und in den Meeren in ihrer Gesamtheit nur als ein großer, lebendiger Organismus zu verstehen sind. Er knüpft dabei an die Gaia-Hypothese von James Lovelock und Lynn Margulis an, die bereits in den 1960er-Jahren darauf aufmerksam machten, dass die Erde ein dauernd in Bewegung befindliches Fließgleichgewicht – die Homöostase – zwischen den Elementen aufrechterhält, das alle Extreme ausgleicht. Das ist charakteristisch für alles Lebendige, während das Unlebendige durch chemische und physikalische Reaktionen immer in den niedrigstmöglichen Energiezustand, den Stillstand, übergeht.
Schad geht mit anschaulichen Beispielen auf die Beziehungen lebendiger Organismen zu ihrer Umwelt ein, die sie aktiv so verändern, dass sie sich ihnen anpasst. Das dynamische Verhältnis vom Zentrum zur Peripherie, Autonomie und Umweltoffenheit beschreibt er unter anderem an den Nussbaumplantagen der Eichhörnchen. Verblüffend ist auch das Verhältnis der Stummelschwanz-Sepien mit den Bakterien ihrer Umgebung. Symbiosen sind ein Grundcharakteristikum des Zusammenlebens der Organismen.
Schad geht aber auch auf die Plattentektonik und andere geologische Phänomene wie beispielsweise die Sanddünen der Wüsten ein und zeigt auf, in welchem Verhältnis diese zu der fortlaufenden Dynamik der Erdentwicklung als Ganzes stehen.
Angesichts der brennenden ökologischen Fragen der Gegenwart – von Klimawandel über Artensterben bis Hungersnöten – ist eine besondere Qualität dieses Buches, dass es uns durch genaues Hinschauen wieder das Staunen lehrt. Das Lesen wird so zu einem denkenden Verstehen des Lebendigen, was in der Konsequenz zur Ehrfurcht, ja Liebe zu diesem unfassbaren Wunder führt, auf und mit dem wir leben dürfen. Das ist keineswegs sentimental gemeint oder geschrieben. Es ist die vielleicht wichtigste Voraussetzung für unsere Bereitschaft als Menschheit, endlich Verantwortung für die weitere Entwicklung der Erde und der sie bewohnenden Lebewesen zu übernehmen – wie gesagt: Wir leben im Anthropozän.
Wer heute mit Kindern oder Jugendlichen zu tun hat, ganz gleich ob als Eltern, Erzieher:in oder Lehrer:in, findet hier Denkansätze, die ein tieferes Verständnis für das Lebendige eröffnen und damit der zunehmenden Verunsicherung, Angst oder Resignation etwas wirklich Substanzielles entgegensetzen. Also: Lesen und dann Verschenken! Und das gilt auch für Politiker:innen, Unternehmer:innen, Landwirt:innen und Künstler:innen!
Albrecht Schad: Vom Leben unserer Erde. Eine Liebeserklärung an unseren Heimatplanten. 189 Seiten, 24 Euro, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2023
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