«Ach, mit Fünfzehn weiß man doch noch gar nicht, was man will.» Oder: «Also in Deinem Alter solltest Du aber wirklich schon woanders als zuhause übernachten können.» – Wenn wir im Alltag darauf achten, wie häufig wir mit dem biologischen Alter bestimmte Zuschreibungen verbinden, fällt auf: Wir operieren mit einer Art inneren Schablone. Mal enger, mal weiter gefasst, und je nach Situation gilt jemand als jung oder alt und entsprechend zu jung und zu alt.
Als Teenager erschienen mir Dreißigjährige uralt. Heute, mit 35, sind alt vielleicht die 70- oder 80-Jährigen. Aber eigentlich wächst die Erkenntnis: Es geht lange nicht nur um das biologische Alter oder um eine Zahl als solche. Jung bin ich, weil ich offen, neugierig und flexibel bin. Alt fühle ich mich, wenn ich versehentlich auf einer Party mit einer Menge 20-Jähriger lande, in der einfach kein Gespräch zustande kommt.
Alter ist sozial, wir bewerten es ständig – und brauchen dafür immer Bezugspunkte. Als Kind hatte ich ein klares Bild davon, wie mein Leben mit Mitte 30 aussehen würde. Solche Zukunftsbilder entstehen nicht im luftleeren Raum: Sie speisen sich aus der Familie, aus medialen Bildern, Rollenmodellen und sozialen Normen.
Die Macht der Bilder
In Filmen, Werbung und Serien dominieren faltenfreie Personen mit festem Bindegewebe, vor allem Frauen ist es medial wenig erlaubt, in Würde und mit grauer werdendem Haar und schlafferer Haut zu altern. In einem patriarchalen System verlieren sie dann an Wert, wenn sie nicht mehr jung, sexy und fruchtbar sind. Männer hingegen erscheinen mit ergrauender Schläfe plötzlich «erfahren» oder «charismatisch». Werbung verkauft nicht nur Produkte, sondern auch Altersnormen. Die 50-jährige Frau in der Anti-Falten-Creme-Werbung soll uns glauben machen, dass Altern ein Problem ist, das man bekämpfen muss. Serien und Filme konstruieren erzählerische Standards: die attraktive Mittdreißigerin in der romantischen Komödie, der weise alte Mann, die schrullige Oma. Diese Stereotype verengen den Blick und schaffen Erwartungen. Wenn vielfältige, differenzierte Darstellungen des Alters fehlen, dann fehlen auch alternative Identifikationsangebote. Menschen, die sich nicht in den vorgegebenen Rollen wiederfinden, fühlen sich nicht normal.
Auch im Alltag werden wir mit Schablonen gefüttert: Welche Altersgruppen sitzen im Café, tauchen im Straßenbild auf, übernehmen Rollen in Vereinen? Welche Vorbilder finden wir in der eigenen Familie? All das formt unsere früh verinnerlichten Altersbilder. So entstehen Blaupausen: Mit Anfang zwanzig findet man seinen Weg, um ihn mit dreißig zu festigen; dann Heirat, Kinder, eine Karriereleiter mit Beförderung – und schließlich, nach Jahrzehnten verlässlicher Routinen, der wohlverdiente Ruhestand, in dem endlich das «eigentliche» Leben beginnt. Weicht man von diesem Skript ab, fehlt oft die Orientierung. Kein Wunder also, dass Menschen sich unter Druck fühlen, «zu spät dran» oder «noch nicht so weit» zu sein.
Verinnerlichte Schubladen
Ältere Menschen werden dabei besonders stark in Stereotypen gepresst: die wohlhabenden Kreuzfahrt-Pensionäre auf der einen, die pflegebedürftigen, passiven Alten mit Haftcreme und Inkontinenz auf der anderen Seite. Sozialpsychologisch dienen Schubladen der Informationsvereinfachung – tragisch ist jedoch, wie stark sie gerade im Alter verinnerlicht werden. Forschung spricht von «stereotype embodiment»: Über Jahrzehnte aufgenommene Altersbilder, die nicht nur das Selbstverständnis, sondern auch Körper und Gesundheit prägen. Wer denkt, dass Älterwerden gleichbedeutend mit Abbau ist, erlebt Einschränkungen oft früher und stärker; wer hingegen positive Altersbilder verinnerlicht, bleibt länger aktiv und gesünder.
Wenn die Zugehörigkeit zu einer Gruppe gesellschaftliche Teilhabe erschwert, sprechen wir von Diskriminierung. Im Falle der altersbezogenen Diskriminierung von Ageismus. Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet ihn als eine der am weitesten verbreiteten und zugleich am wenigsten reflektierten Diskriminierungsformen. Altersfeindliche Sprache, Witze oder politische Strukturen beeinflussen Teilhabe und Zugang zur Gesundheitsversorgung und schwächen das Gefühl, gebraucht und anerkannt zu sein.
Natürlich bedeutet Altern nicht nur Defizit. Sozialwissenschaftler:innen wie Paul Baltes betonen das Modell von Selektion, Optimierung und Kompensation (SOC): Menschen gleichen Verluste durch Strategien aus, indem sie neue Wege entwickeln und Hilfen nutzen.
Nützlichkeit und Alter
In der modernen Konsumgesellschaft besteht die Neigung, den Wert von Menschen nach ihrer Produktivität und Konsumfähigkeit zu bemessen. «Gute» Mitglieder sind jene, die Geld verdienen, Geld ausgeben, Steuern zahlen. Wer konsumiert, bleibt sichtbar als Teil des Marktes.
Ältere, die nicht mehr arbeiten, weniger kaufen oder auf Unterstützung angewiesen sind, passen schwer in dieses Raster. Sie werden leicht als ökonomisch unrentabel wahrgenommen. Diese Logik spiegelt sich auch in politischen Debatten über Pflegekosten und Rentensysteme wider. Anstatt Ältere als unverzichtbare Mitglieder der Gesellschaft zu sehen, werden ihre Kosten und Nutzen berechnet. Das Menschsein mit all seinen Facetten und Phasen, darunter auch das Altern, wird so entwertet.
Wir brauchen «Elders»
In vielen Kulturen gibt es die Figuren der Elders, also der Ältesten – Menschen, die durch ihr Alter und ihre Lebenserfahrung eine besondere Rolle in der Gemeinschaft einnehmen. Sie sind Hüter:innen von Wissen und Tradition. In indigenen Gesellschaften fungieren Elders als Vermittler:innen zwischen Generationen, manchmal auch zwischen dem Diesseits und jenseitigen Welten, als moralische Instanzen und als lebende Archive kollektiver Geschichte. Ihre Würde beruht nicht allein auf einem formalen Amt, sondern auf der Anerkennung ihrer Weisheit.
In modernen westlichen Gesellschaften jedoch ist diese Figur weitgehend verblasst. Mit der Zunahme von Vereinzelung und Mobilität werden Ältere zunehmend an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Familienverbände lösen sich auf, Mehrgenerationenhaushalte sind selten geworden, Nachbarschaften oft anonym. Die Älteren erscheinen nicht als zentraler Punkt der Gemeinschaft, sondern als Betreuungsfall oder Last. Damit verlieren wir wertvolles Wissen und einen Teil sozialen Zusammenhalts.
Wir sollten nicht nur fragen: «Wie geht es den Alten?», sondern auch: «Wie geht es uns als Gemeinschaft, wenn wir Ältere nicht sichtbar in ihr haben?» Wenn die Stimmen derer, die schon viele Krisen, Umbrüche und Neubeginne erlebt haben, verstummen oder ungehört bleiben, verarmt das kollektive Gedächtnis.
Begegnung verändert
Wie könnte es anders gehen? In einigen Städten gibt es Wohnprojekte, in denen Studierende mit älteren Menschen zusammenleben. Studierende zahlen wenig bis keine Miete, dafür helfen sie im Alltag und beide Seiten profitieren vom Austausch. In Schulen entstehen Kooperationen mit Seniorenzentren, bei denen Jugendliche gemeinsam mit älteren Menschen Kunstprojekte gestalten, Geschichten sammeln oder Theater spielen. An Waldorfschulen wie der Michaeli Schule in Köln entscheiden sich Schüler:innen dazu, ihr Sozialpraktikum in Altersheimen zu absolvieren. Solche Begegnungen brechen stereotype Bilder auf und geben Jugendlichen die Möglichkeit, ein differenzierteres Verständnis vom Alter zu entwickeln. Vorurteile nehmen dann ab, wenn echte, gleichwertige Begegnungen stattfinden.
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