Aktuelle pädagogische Herausforderungen
Studien zufolge ist in den letzten Jahren die Zahl der jungen Menschen, die sich psychotherapeutisch behandeln lassen, stark gewachsen. Darunter gibt es Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die seelisch so belastet sind, dass sie eine umfassende Perspektivlosigkeit entwickeln und sich aus ihren sozialen, auch schulischen Zusammenhängen dauerhaft zurückziehen. Viele von ihnen bedürfen psychiatrischer Hilfe. Die Gründe hierfür liegen oft in sozialen Familienmustern, Mobbingerfahrungen und Mediensucht. Ursachen können auch schwerwiegende belastende Erlebnisse wie Traumata oder die Corona-Pandemie sein, ebenso Erkrankungen wie Depressionen, Angst-, Schlaf- oder Essstörungen.
Gemeinsam ist den jungen Menschen, dass sie das Vertrauen in ihre kognitiven, praktischen und sozialen Fähigkeiten verloren haben. Ihre Selbstverunsicherung kann so weit gehen, dass sie zu einer umfänglichen resignativen Lebenshaltung führt. Schulabsentismus ist eine Folge davon. Pädagogische Hilfen ermöglichen, dass junge Menschen den Glauben an sich zurückgewinnen und wieder in ihren Alltag zurückkehren können.
Die pädagogischen Einrichtungen Schloss Hamborns
Auch bei uns im Schloss Hamborn kommen vermehrt Anfragen zur Aufnahme psychisch belasteter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener mit schulabstinentem Hintergrund. Schloss Hamborn ist eine Gemeinschaftseinrichtung, bestehend aus der Rudolf-Steiner-Schule mit einem Kleinklassen-Förderzweig, der teil- und vollstationäre Jugendhilfe im Landschulheim und einer berufspraktisch
ausgerichteten Kompetenzförderung.
Netzwerkpädagogik in dorfähnlichen Zusammenhängen
Damit die seelisch destabilisierten jungen Menschen ihre Unsicherheit abbauen können, müssen individualisierte, Mut machende und gleichzeitig lebensechte Alltagssituationen hergestellt werden, die ihnen das Vertrauen in sich zurückgeben.
Die Erfahrungen der drei pädagogischen Bereiche in Schloss Hamborn haben gezeigt: Je reichhaltiger das Angebot an bestärkenden Betätigungsfeldern in der Umgebung, desto eher lassen sich Alltagsstrukturen schaffen, in denen neuer Mut geschöpft werden kann.
Individuelle Orte zur Ermutigung
Ein Beispiel: Ursprünglich lebte Rebecca in Soest und ging nicht mehr zur Schule. Im Sozialen hatte sie sich zurückgezogen. Sie hatte große Selbstzweifel, sah für sich keine Perspektiven und entwickelte eine lähmende Grundstimmung. Die Suche nach einem neuen Lebensumfeld führte nach Schloss Hamborn. Ein sofortiger Einstieg in die Schule kam für Rebecca wegen ihrer tief verwurzelten Schulängste nicht infrage. Auf der gemeinsamen Suche nach einem Lernumfeld, welches für sie in Frage kommt, entschied sich Rebecca für den pädagogischen Reitstall. Dort fühlte sie sich bald aufgehoben, streichelte die Katzen und schaute zu. Unterstützt durch ihre Anleiterinnen baute sie Ängste vor den Pferden und Mitmenschen ab. Sie begann, im Stall zu helfen und sich in die dortigen Abläufe zu integrieren. Ein Neuanfang, der weitere Integrationsschritte möglich machte.
Bei der Bewältigung des Alltags halfen ihr die Wohngruppeneltern im Landschulheim, mit denen sie viele Gespräche führte. Über mehrere Monate gewann Rebecca so viel Sicherheit, dass sie sich, schrittweise in den Unterricht und die weitere Umgebung Schloss Hamborns integrieren konnte. Für das Gelingen einer dauerhaften Integration in die Schule waren für sie insbesondere die kleine Klassengröße und die verständnisvolle Ansprache der Lehrer:innen wichtig, welche sich an den Stärken Rebeccas orientierten und sie nach Rückschlägen neu ermutigten. Außerdem erleichterte es Rebecca den Schulbesuch, dass sie dort mit Jugendlichen zusammen lernt, die ähnliche soziale und schulische Probleme haben wie sie.
So wie Rebecca im Reitstall einen Einstieg fand, dockten andere Kinder und Jugendliche an in einem der 14 pädagogischen Betriebe der Kompetenzförderung, in der Hauswirtschaft im Landschulheim, während eines Sportunterrichtspraktikums, beim Zeichnen in einer Kleinstgruppe in der Schule oder bei der Mitarbeit am Hühnermobil auf dem Demeter-Hof.
Von diesen Einstiegssituationen aus konnten die jungen Menschen weitere Integrationsschritte machen, meistens innerhalb neuer, individuell ausgerichteter, ermutigender Betätigungsfelder.
Eine gesellschaftliche und schulische Reintegration der wachsenden Zahl seelisch tief verunsicherter junger Menschen mit Schulabsentismus kann demnach besonders gut gelingen in pädagogischen Netzwerken innerhalb größerer Lebens- und Arbeitsumfelder, wie sie für anthroposophische Gesamteinrichtungen typisch sind. Die hier anzutreffende Vielfalt an pädagogischen Hilfeformen und dorfähnlichen Betätigungsfeldern kann pädagogisch in idealer Weise für individuell ermutigende soziale Einstiegs- und Entwicklungsräume genutzt werden.
Eine verständnisvolle und bejahende Haltung den jungen Menschen gegenüber, welche ihnen eine Vertrauensbildung gegenüber den Pädagog:innen ermöglicht und wie sie jede Erziehung erfordert, ist dabei grundlegende Voraussetzung, damit sie die Unterstützung durch die Erwachsenen annehmen, Ängste überwinden und zunehmend Schritte zur gesellschaftlichen Teilhabe gehen.
Kommentare
Es sind noch keine Kommentare vorhanden.
Kommentar hinzufügen
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.