»Yes, you can!« Percy Schmeisers Kampf um das Saatgut

Klaus Rohrbach

Als die Großeltern 1890 von Rosenheim in Bayern nach Kanada auswanderten und sich dort als Landwirte niederließen, ahnten sie nicht, wie berühmt ihr Enkel einmal werden würde. Seit über 60 Jahren bewirtschaftet Percy Schmeiser, 1931 geboren, nun in dritter Generation eine etwa 600 Hektar große Farm in Bruno in der Provinz Saskatchewan, die er 1947 von den Eltern übernommen hatte. Vor etwa 50 Jahren begannen er und seine Frau Louisa mit der Zucht von Raps, speziell der Sorte Canola, die nach vielen Jahren Arbeit schließlich besonders gut an die regionalen Bedingungen angepasst war.

Er übernahm auch politische Aufgaben, war Bürgermeister des wenige hundert Einwohner zählenden Ortes und Abgeordneter im Parlament der Provinz.

Gentechnisch verunreinigte Ernte

1997 musste er erleben, dass seine Zuchtbemühungen auf einen Schlag vergebens waren. Er entdeckte auf seinen Feldern gentechnisch veränderten Raps. Die Pflanzen mussten sich durch Pollenflug vom Nachbarfeld ausgesät haben, also entweder durch Wind, Insekten, Vögel oder durch vorbeifahrende Lastwagen, die den Raps transportierten. Ein Test beseitigte alle Zweifel: Schmeiser hatte gentechnisch verändertes Saatgut der Firma Monsanto auf dem Feld. Das Herbizid Roundup Ultra mit dem zurzeit besonders in Europa umstrittenen Wirkstoff Glyphosat vernichtet alle Pflanzen, auch seinen eigenen Raps, nur nicht den Monsanto-Raps (Roundup Ready). Da man äußerlich keinen Unterschied zwischen natürlichem und gentechnisch verändertem Raps erkennen kann, wusste Percy Schmeiser nicht, wie weitgehend seine Felder verseucht waren. Und da beging er vermutlich einen Fehler, denn er folgte dem jahrhundertealten Recht der Bauern, nach dem man selbstverständlich einen Teil seiner Ernte als Saatgut im nächsten Jahr aussät.

1998 standen Agenten von Monsanto vor der Tür und beschuldigten ihn, firmeneigenes Saatgut ausgesät zu haben, ohne die fälligen Lizenzgebühren bezahlt zu haben. Seine Versicherung, niemals Saatgut von Monsanto bezogen und ausgesät zu haben, war wirkungslos. Dass er selbst den Schaden hatte durch eine genverseuchte Ernte, spielte keine Rolle.

Der multinationale Konzern verklagte ihn im gleichen Jahr wegen Patentverletzung und forderte 200.000 Dollar Ersatz. Percy Schmeiser berief sich darauf, dass jeder Landwirt seit jeher das Recht habe, eigenes Saatgut zu vermehren. Der Konzern hielt dagegen, dass Schmeiser dafür keine Lizenz besitze und eine selbstständige Gewinnung von patentiertem Saatgut ausgeschlossen sei. Schmeiser hatte von acht Feldern Proben entnommen und sie von der Univer­sität von Montana untersuchen lassen. Zwei Felder waren demnach nicht kontaminiert, andere zwischen ein bis acht Prozent; der Graben am Feld des Nachbarn, der Gen-Raps anbaute, zeigte allerdings 60 Prozent. Monsanto kam mit eigenen Untersuchungen zu anderen Ergebnissen, nämlich zu durchgängig mehr als 90 Prozent! Wer also hatte recht? Monsanto, der weltweit größte Saatgutkonzern mit Sitz in Saint Louis, Missouri / USA, hat Niederlassungen in 61 Ländern. Er beherrscht beim Absatz von gentechnisch veränderten Saaten zu 72 Prozent den Weltmarkt; auf 87 Prozent der Anbaufläche mit genveränderten Organismen keimen Samen von Monsanto. 22.500 Mitarbeiter schufen im letzten Jahr einen Umsatz von 15 Milliarden Dollar. Neben der Produktion von gentechnisch verändertem Mais und Raps, von Baumwolle und Soja sowie diverser Obst- und Gemüsesorten vertreibt Monsanto das erwähnte Breitbandherbizid Roundup.

David gegen Goliath

Nach kanadischem Recht gehören alle Pflanzen und auch die höheren Lebewesen auf einem Feld dem Konzern, wenn auch nur eine einzige gentechnisch veränderte und patentierte Pflanze der Firma dort wächst, das heißt, die gesamte Ernte und alle Gewinne verliert der Farmer an den Konzern. – Es sei denn, er bezahlt nachträglich die Lizenzgebühren und bindet sich mit einem entsprechenden Vertrag an alle Bedingungen der Agrarfirma. Was mit dem gesunden Menschenverstand schwer zu begreifen ist, entspricht dem kanadischen Patentrecht. Die erste Instanz gab nach einem zweijährigen Beweisverfahren im Juni 2000 Monsanto Recht! Die Richter entschieden, dass es nicht entscheidend sei, wie die Gensamen auf die Felder gelangten. Percy Schmeiser musste die ganze Ernte und das Saatgut dem Konzern ausliefern und wurde zur Bezahlung der Lizenzen verurteilt. Aber er wehrte sich und ging in Revision.

Doch auch in zweiter Instanz 2002 verlor er. Der Konzern verlangte neben den Lizenzgebühren noch zusätzlich Schadensersatz in Millionenhöhe.

Psychoterror

Während der Prozessjahre tauchten im Ort immer wieder konzerneigene Privatdetektive auf. Sie betraten ohne Erlaubnis die Felder, nahmen Pflanzenproben, setzten Schmeiser und seine Nachbarn unter Druck. Fanden sie eine Pflanze mit dem Monsanto-Gen, zwangen sie die Farmer, die Lizenzgebühren zu zahlen. Weigerten diese sich, drohten sie mit Prozessen und prophezeiten die Vernichtung von deren Existenz. Wer einen Nachbarn denunzierte, wozu der Konzern in Anzeigen aufforderte, bekam eine Belohnung. Bald schwanden das Vertrauen zueinander und der Zusammenhalt in der Nachbarschaft. Keiner traute mehr dem anderen. Kein Wunder, dass schließlich die meisten Farmer die Lizenzgebühren zahlten und eine Schweigepflichterklärung unterschrieben. Täglich fuhren Privatdetektive des Konzerns, die sich als Ex-Bundespolizisten ausgaben, mit dem Wagen vor Schmeisers Farm und beobachteten die Familie mit dem Fernglas. Auch begleiteten sie mit gehörigem Abstand den Farmer, wenn er auf die Felder fuhr. Besonders seine Frau Louisa erlebte diese Form des Psychoterrors als extrem belastend; sie litt zunehmend unter Angst. Doch als ihr Mann anbot, den Kampf zu beenden, widersprach sie vehement und forderte neuen Mut.

Die letzte Instanz

Der Fall landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof. Percy Schmeiser und seine Frau hatten inzwischen wegen der immensen Kosten ihr Haus und die Farm verpfändet sowie ihre Altersversorgung eingesetzt. Doch das hätte nicht gereicht. Inzwischen war Schmeiser jedoch eine Identifikationsfigur der weltweit vernetzten Ökobewegung geworden und erhielt Zuspruch und Spenden aus aller Welt.

Am 21. Mai 2004 erging das Urteil der letzten Instanz. Mit der denkbar knappsten Mehrheit von fünf zu vier Stimmen bestätigten die Richter des Supreme Court zwar die Eigentumsrechte von Monsanto entsprechend des geltenden Patentrechts. Doch Percy Schmeiser musste keinen Cent an Monsanto zahlen, nicht den Wert der kontaminierten Ernte, nicht die Gerichtskosten von Monsanto (über 200.000 Dollar) und auch keinerlei Schadensersatz. Gefordert hatte der Konzern eine Million Dollar! Schmeiser konnte nachweisen, dass er das speziell notwendige Herbizid Roundup Ready nie genutzt hatte und deshalb auch keine Vorteile aus dem verunreinigten Raps gezogen hatte.

Doch er musste die eigenen Gerichtskosten selbst tragen. Sie beliefen sich auf 400.000 Dollar! Die eigenen Mittel reichten da nicht. »Alleine hätten wir es nicht geschafft«, konstatierte Percy. Entscheidend war die finanzielle Unterstützung der Helfer aus aller Welt.

640 Dollar Streitwert

In ganz Kanada gibt es keinen konventionellen oder gar biologischen Raps mehr. Alle Felder sind inzwischen gentechnisch verunreinigt. Die Pflanzen findet man sogar schon auf Friedhöfen, Golfplätzen und Gärten – dank des Pollenflugs. Seit 2004 baut Schmeiser nun keinen Raps mehr an, sondern Weizen, Hafer, Erbsen und Senf. Im Jahr 2005 fand er eines Tages auf seinen Feldern Rapspflanzen. Eine rasche Probe bestätigte die Vermutung: Es handelte sich um Gen-Raps von Monsanto. Die Firma bestätigte dies sogar und wollte seiner Forderung, den Raps zu beseitigen, umgehend nachkommen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass er vertraglich zusichern sollte, nicht öffentlich über diesen Fall zu sprechen und den Konzern auch nicht zu verklagen – eine eindeutige Verletzung üblicher Bürgerrechte! Schmeiser unterschrieb nicht. Die Firma beseitigte den Raps nicht. Aber nun verklagte Schmeiser den Großkonzern! Denn er hatte inzwischen selbst die störenden Pflanzen beseitigt, und zwar mit Hilfe einiger Nachbarn. Ihnen zahlte er für die Arbeit insgesamt 640 Dollar als eine Art Taschengeld. Diesen Betrag klagte er nun ein, wohl gemerkt von einem Milliardenkonzern. Das erste Gericht sprach Monsanto schuldig. Die Firma ging in Revision. Am 23. Januar 2008 wurde der neuerliche Prozess eröffnet. Die Medien wurden aufmerksam. Für den 19. März war ein weiterer Verhandlungstag angesetzt worden. Doch es sollte anders kommen. Kurz vorher bat der Konzern kleinlaut um einen Vergleich: Er würde auf alle zusätzlichen Forderungen verzichten, besonders auf die Schweigepflichterklärung und den Rechtsmittelverzicht. Er würde stattdessen die gesamten 640 Dollar bezahlen – und noch 20 Dollar extra als Aufwandsentschädigung! Zum ersten Mal in der Geschichte hatte der Konzern Haftungs­ansprüche zugegeben, aber auf diese Weise auch eine Verurteilung verhindert.

Alternativer Nobelpreis

Percy Schmeiser ist inzwischen weltweit zu einer Symbol­figur geworden. Er hält Vorträge in vielen Ländern gegen die ungewollte Ausbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft und kämpft für die Unabhängigkeit der Landwirte. Zahlreiche Preise belohnten sein Wirken. Doch die höchste Auszeichnung erhielten Percy Schmeiser und seine Frau Luisa im Jahr 2007 mit der Verleihung des Alternativen Nobelpreises, des Right Livelihood Award. »Für ihren Mut bei der Verteidigung der Biodiversität, der Rechte der Landwirte und dafür, dass sie die Perversität der gegenwärtigen Auslegung der Patentgesetzgebung in Bezug auf die Umwelt und die Moral aufzeigen und anprangern«, hieß es in der Begründung der Jury.

Während eines Vortrags in Würzburg am 24. Oktober 2009 antwortete er auf die Frage »Können wir genveränderte Organismen in Deutschland aufhalten?« mit einer Anspielung auf Barack Obamas Wahlkampfruf unter begeistertem Beifall: »Yes, you can! Aber es muss ein politischer Weg sein.«

Zum Autor: Klaus Rohrbach ist Oberstufenlehrer an der Freien Waldorfschule Würzburg, Mitarbeit in der Lehrerausbildung, mehrere Veröffentlichungen.

Literaturhinweise: Eine ökonomische Katastrophe. In: Umweltnachrichten, Ausgabe 102 / Dez. 2005, Umweltinstitut München; B. Zwarzer: Percy Schmeiser verliert gegen Monsanto. Telepolis 24.5.2004; F. Rötzer: Vom Winde verweht oder Saatgutpiraterie? Telepolis 6.6.2000; Gen-Raps ist außer Kontrolle. Interview mit Percy Schmeiser. In: Schrot und Korn 07 / 2006; Der Fall Percy Schmeiser. www.monsanto.com; Percy Schmeiser – David gegen Monsanto. Ein Film von Bertram Verhaag. DENKmal – Film GmbH 2009