Ausgabe 10/24

Zukunft aus dem Zirkuszelt

Sebastian Knust

Isolation, Einsamkeit, Zukunftsängste – Schüler:innen bekamen während der Corona-Zeit drastische Folgen der sozialen Isolation zu spüren. Welche positiven Ansätze können wir dem entgegensetzen? Wie lassen sich wieder mehr Freude, Zukunftshoffnung und -sinn vermitteln? Diese Fragen beschäftigten uns seit dem Jahr 2021 in verschiedenen Kreisen: bei der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland und in unterschiedlichen Fachverbänden wie dem Bund der Freien Waldorfschulen, Anthropoi, Demeter, den Freunden der Erziehungskunst oder den Verbänden der anthroposophischen Medizin. Als eine Folge dieser Überlegungen haben wir das Bildungs-Festival 2024 in Schloss Hamborn realisiert. Rund 600 Teilnehmende samt Referent:innen, Aussteller:innen und Helfer:innen bildeten über die Pfingsttage eine Festivalgemeinschaft auf der großen Johanni-Wiese um das idyllisch gelegene Schloss Hamborn. Im Mittelpunkt stand ein großes Zirkuszelt für die Podien, Begegnungsräume und Bands am Abend, darum herum gruppierte sich ein kleines Zeltdorf mit über 50 Aussteller:innen, bestehend aus Vertreter:innen von Ausbildungsgängen, Hochschulen und Ausbildungsbetrieben mit meist anthroposophischem Hintergrund sowie mit vielen leckeren Streetfood-Angeboten.

Vorbild war das Waldorffestival, das 2019 ebenfalls in Schloss Hamborn stattgefunden hatte. Nur wandten wir uns dieses Mal vor allem an jüngere Menschen in Schuloberstufen und in den Zwanzigern – der biografischen Hauptzeit beruflicher Orientierung. Die Teilnehmenden erwartete eine Veranstaltung mit einem Konzept, das es so bisher noch nicht gegeben hatte: eine Vereinigung von Bildungsorientierung und Festival. Konzentriert war dies an einem kompakten Open-Air-Ort, wo viele zeitaktuelle Themen verhandelt und Berufsangebote aus dem Spektrum der anthroposophischen Bewegung vorgestellt wurden. Abends verwandelte sich das Festzelt in eine große Tanzfläche. Entsprechend gespannt ging das Vorbereitungsteam, bestehend aus engagierten Menschen zwischen 25 und 70 Jahren, die mehrmonatige Organisation an. Und wie schön war es, als es dann losging und wir beim Check-in in die freudigen und erwartungsvollen Gesichter der jungen Teilnehmenden blickten. Schon am ersten Abend breitete sich eine lebhaft-intensive Stimmung aus, die durch die gesamten Tage tragen sollte und viele Inspirationen, Begegnungen und kleine Aktionen entstehen ließ.

Die Podien thematisierten mit unterschiedlichen Redner:innen Sinnfragen der Gegenwart. Der Ökonom Niko Peach machte den Auftakt und stellte die Frage, ob sich das ungebremste und zerstörerische Wirtschaftswachstum in ein inneres, persönliches Wachstum in lokalen Wirtschaftsstrukturen umwandeln ließe. Die Leiterin der medizinischen Sektion am Goetheanum, Karin Michael, machte deutlich, dass die Fähigkeit, sich von störenden Einflüssen abzugrenzen und sich für einen Fokus zu entscheiden, heute zu den gesundheitsfördernden Kernkompetenzen gehört. Gerald Häfner, der Leiter der sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum, und die Eurythmistin Mona Lenzen-Abouleish zeigten in persönlich gefärbten Beiträgen, was in ihren Augen Anthroposophie auszeichnet: die Fähigkeit, sich geistig mit dem eigenen Lebensumkreis zu verbinden und der Welt etwas Neues hinzuzufügen.

Thematische Vertiefungen und praktische Einblicke boten die Berufsforen und Praxis-Exkursionen zu den Hamborner Betrieben. Künstlerische Angebote wie Eurythmie, Volkstanz oder Singen bereicherten das Festival, allen voran die Compagnie Pas de Deux, die mit ihrer tiefsinnigen Theaterakrobatik Jung und Alt verzauberte. Abends brachten jeweils zwei Bands die Festivalgemeinschaft mit Indie-Pop, Hip-Hop, Latin und Folk-Songs bis spät in die Nacht zum Tanzen.

Mischka Kaiser, Friedemann Uhl und ich wurden als Kernteam der Organisation von vielen ehrenamtlichen Helfer:innen unterstützt. Sie waren schon Monate vor dem Festival bis in die späten Nachtstunden mit der Vorbereitung beschäftigt. «Es ist ihrem Organisationsgeschick und ihrer positiven Fehlerkultur zu verdanken, dass das Festival diesen besonderen Charme hatte», meinte Michael Schmock, ehemaliger Generalsekretär der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, der früher viele Projekte organisiert hatte und aus dem Ruhestand heraus mit Interesse beobachtet, wie sich Initiativen, die er angestoßen hat, weiterentwickeln.

Die vielen, teils begeisterten Rückmeldungen sowie die Anfragen für eine Weiterführung des Festivals haben den Eindruck hinterlassen, dass wir mit dem Bildungs-Festival ein gelungenes Pilotprojekt realisieren konnten. Das Festival wird von den Veranstalter:innen noch ausgewertet. Eine Wiederholung im zweijährigen Rhythmus scheint nicht ausgeschlossen.

www.bildungs-festival.de

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