Etwa einmal in jeder Epoche treffen sich die Schüler:innen der Soester Oberstufe im Schulsaal zum Altbauforum. Von halb neun bis zur ersten großen Pause während des Hauptunterrichts präsentiert abwechselnd eine Klasse ein bestimmtes Thema und stellt es zur Diskussion. Vor allem für die gastgebende Klasse ist das bisweilen eine große Herausforderung. Denn um eine ganze Oberstufe für eine Diskussion zu begeistern, braucht es neben einem gut gewählten Thema auch eine interessante Darstellung der Inhalte und eine ansprechende Moderation. Mit dem Thema Böllerverbot war für den Februar zumindest schonmal ein brisantes Thema gegeben, welches Diskussionsstoff versprach. Bevor sich die Schüler:innen jedoch der Frage widmen konnten, welche Auswirkungen ein solches auf den illegalen Verkauf von Böllern haben könnte, informierte die zwölfte Klasse zunächst über Pyrotechnik und gesetzliche Regelungen rund um deren Einsatz. Beim nachfolgenden Meinungsaustausch ging es dann unter anderem um das Verletzungspotenzial und Umweltbelastungen durch Feuerwerk, den Einkauf von Böllern im Ausland und verstärkte Grenzkontrollen. Gesprochen wurde außerdem über Alternativen für ein rigoroses Verbot und die Einrichtung bestimmter Zonen, in denen Pyrotechnik erlaubt ist.
Schüler:innen demokratiefester machen
«Das Altbauforum eröffnet den Schüler:innen einen Raum, sich mit selbst gewählten Themen zu beschäftigen – die kommen nicht aus den Epochen», erklärt Marc Niggemann die Idee des Projekts. Er ist Oberstufenlehrer für Biologie und Geografie an der FWS Soest. Entstanden ist die Idee während einer der Studienfahrten nach England, die Niggemann und seine Kollegin Ulrike Borgmann, Englischlehrerin für die Mittel- und Oberstufe, seit vielen Jahren gemeinsam begleiten. «Eine weitere Motivation für die Gründung des Forums war es, unsere Schüler:innen demokratiefester zu machen, indem sie üben, ihre eigene Meinung auch vor einer größeren Gruppe zu vertreten», so Borgmann. Zum Schuljahr 2023/24 startete die Oberstufe ins erste Forum mit einer provokanten Frage: Warum essen wir keine Hunde und Katzen? «Zu diesem Thema hat fast jede:r Schüler:in etwas gesagt, da gab es viele Meinungen. Wir sind im Laufe des Forums auch noch zur Tierhaltung und dem moralischen Aspekt gekommen», erinnert sich Julian Spiekenheuer. Er ist aktuell in der zwölften Klasse, Schüler:innensprecher und treibt das Projekt Altbauforum in der Schüler:innenschaft maßgeblich voran. Wer jeweils im Forum seine Meinung sage, hänge ganz klar vom Thema ab, so Julians Beobachtung. «Es gibt Themen, bei denen viele Angst haben, ihre Meinung zu präsentieren und bei anderen fällt es dann wieder leichter.»
Im nachfolgenden Forum zum Thema Social Credit System, das die damalige Klasse 12 ausgearbeitet und moderiert hatte, gab es ebenfalls viele Wortmeldungen. Besprochen wurden im ersten Jahr auch noch die Themen Elektroautos, Drogenkonsum und Abtreibung. Letzteres wurde ebenfalls von der damaligen zwölften Klasse präsentiert, die alle Zuhörenden gleich zu Anfang des Forums mit eingebunden und damit einen guten Boden für einen lebhaften Austausch geschaffen hatte. Die Schüler:innen sollten sich im Wortsinn im Raum positionieren, bis zu welchem Monat eine Abtreibung für sie akzeptabel wäre. «Es wurde dann viel diskutiert, ob es moralisch vertretbar ist, überhaupt abzutreiben», erzählt der Schüler:innensprecher. «Das war auch ein sehr gutes Forum.»
Übungsplattform für Meinungsaustausch
Es ist nicht immer leichte Kost, die im Schulsaal serviert wird. Deswegen brachte die jetzt zwölfte Klasse von Julian zum Auftakt des neuen Schuljahres die Frage aufs Tablett: Welche Themen sind im Altbauforum akzeptabel, welche nicht? Besprochen wurde, wie beispielsweise mit Beiträgen zu Sterbehilfe, LGBTQ, Gendern oder Body Positivity umgegangen werden kann und welche Punkte einer Triggerwarnung bedürfen. «Wir sind zum Schluss gekommen, dass man hier respektvoll sein muss, weil man einer Person nicht ansieht, was sie denkt oder fühlt. Deshalb sollten die Schüler:innen bei schwierigen Themen vorgewarnt werden», so Julian. Schüler:innen, die sich mit einem Thema sehr unwohl fühlen, dürfen dann auch den Saal verlassen. Damit die Jugendlichen gerade bei sensiblen Inhalten freier in ihren Meinungsäußerungen sind, nehmen auch die Lehrer:innen mittlerweile nicht mehr regelmäßig am Forum teil. «Es gibt Themen, bei denen man vermuten muss, dass Schüler:innen sich nicht so offen äußern, wenn ihre Lehrer:innen dabei sind», so Borgmann. «Zudem wurden wir am Ende immer nach unserer Meinung befragt, dabei wollten wir nicht lenkend wirken», begründet Niggemann den Entschluss, das Forum als geschützten Debattenraum für die Jugendlichen zu etablieren.
Insbesondere beim Thema Alkohol brachte dieser geschützte Raum vielerlei Erfahrungsberichte und Meinungen zutage. «Wir haben auch darüber gesprochen, was ab welchem Alter erlaubt sein sollte», berichtet Julian. Als die zehnte Klasse im Dezember über sexuelle Übergriffe und Missbrauch sprach, war das Stimmungsbild einhellig. «Das war aufgrund der Rechtslage und des moralischen Aspekts eindeutig», so der Schüler:innensprecher. «Im Nachhinein haben wir übrigens auch darüber gesprochen, dass manche Themen für uns Schüler:innen zu komplex sind, um sie uns gegenseitig verständlich darzulegen.» Hier könnte es auch sinnvoll sein, außenstehende Expert:innen einzuladen. «Im Moment ist es noch relativ ungeplant, welche Themen von den einzelnen Klassen für das Forum ausgewählt werden. Wir haben hier keinen festen Jahresplan, sondern gucken, was aus der Schüler:innenschaft kommt», erklärt Niggemann. Die Kolleg:innen in den Verfügungsstunden, in denen die Klassen über die Forumsinhalte sprechen, müssten noch genauer schauen: Ist das Thema überhaupt diskutabel? «Über einige Dinge kann man nicht diskutieren und wenn es dann auch noch keine guten Informationen dazu gibt, wird es ein bisschen langweilig», findet Niggemann. Auch Borgmann sieht noch Potenzial bei der Gestaltung des Forums, insbesondere auch was die Diskussionskultur anbelangt: «Die Schüler:innen lernen jetzt erst mal, verständlich zu sprechen und nicht nur eine Meinung rauszuhauen, sondern auch einen Bezug zu den Beiträgen der jeweiligen Vorredner:innen aufzubauen. Im Idealfall wächst so eine Freude an der Debatte.»
«Es ist Work in Progress», so Niggemann. Er wünscht sich, dass das Forum zum Selbstläufer an der Schule wird und die Schüler:innenschaft hierzu irgendwann auch mal thematisch passende Gäste einlädt, zum Beispiel aus der Politik. So würde es zu einer guten Übungsplattform für die Jugendlichen werden, die einfach Spaß an der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen hätten und lernen wollten, vor anderen über diese zu reden. Das gilt insbesondere für Julian, der als Schüler:innensprecher viel aus dem Forum mitnimmt: «Ich kann mittlerweile besser vor Menschen sprechen und andere Meinungen leichter verstehen und respektieren – auch wenn die komplett gegen meine eigene gehen.»
Treffpunkt für die Oberstufe
Doch das Forum ist nicht nur ein Raum, in dem die Schüler:innen an ihren Präsentationsfähigkeiten feilen, ihren Demokratiemuskel trainieren und eine Debattenkultur erlernen können. Es ist auch ein Raum, in dem sich die ganze Oberstufe trifft – von der neunten bis zu dreizehnten Klasse – und sich in der Auseinandersetzung gemeinsamer Themen miteinander verbindet. «In den höheren Stufen verschwinden die Klassen oft in den Räumen und da ist nicht mehr so viel Verbindendes, wie es in der Unterstufe beispielsweise beim Feiern von Johanni der Fall ist», so Niggemann. Das Altbauforum sei da eine Möglichkeit, mal nur was als Oberstufe zusammen zu machen.
Da die Klassen die Präsentationen in ihrer Freizeit ausarbeiten, kommen sie auch mit Mitschüler:innen in näheren Kontakt, die nicht zum eigenen Freundeskreis gehören. Zudem entstehen im Schulalltag abseits des Forums Gespräche zwischen Schüler:innen unterschiedlicher Jahrgänge über die gemeinsam diskutierten Inhalte. «Man lernt sich untereinander besser kennen und vernetzt sich auch über die eigene Klasse hinaus», so Julians Erfahrung. Im nächsten Forum will seine Klasse über Social Media reden. Was die anderen Jahrgänge planen, weiß er noch nicht. Potenzielle Themen gibt es aber viele. Oberstufenlehrer Marc Niggemann ist guter Dinge: «Solange Ideen kommen, entwickeln wir das Forum weiter.»
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