Ausgabe 09/24

Zwei Frauen neben Rudolf Steiner

Angelika Lonnemann

Erziehungskunst | Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buchprojekt?

Gunna Wendt | Ich schreibe gern Doppelbiografien, in denen zwei Personen – bevorzugt Frauen – aufeinandertreffen. Zuletzt erschien Erika und Therese, das Buch über die Arbeits- und Liebesbeziehung von Erika Mann und Therese Giehse. Davor Clara und Paula über die beiden Künstlerinnen Clara Rilke-Westhoff und Paula Modersohn-Becker. Gemeinsam mit meiner Lektorin suchte ich anschließend zwei neue Protagonistinnen und so kam es irgendwann zu Ita und Marie.

Ich habe keinen anthroposophischen Hintergrund, allerdings ein Interesse an der Anthroposophie und war zuerst auf Ita Wegman gestoßen, eine Ärztin, deren Auffassung von Krankheit, Gesundheit und vor allem Heilung mich sehr beeindruckt hat. Marie Steiner kannte ich zunächst nur als Steiners Ehefrau – doch aus dieser Nebenrolle trat sie bald heraus.  

EK | Welche Quellen haben Sie für die Recherche genutzt?

GW | Marie Steiner hat einiges veröffentlicht und über sie ist einiges geschrieben worden – genau wie über Ita Wegman. Weggefährt:innen haben sich geäußert. Und im Ita-Wegman-Archiv in Arlesheim durfte ich Originaldokumente einsehen. Dort habe ich viel Unterstützung von Gunhild Pörksen erhalten, einer großen Kennerin des Werkes von Ita Wegman.

EK | Was reizt Sie an der Biographiearbeit?

GW | Es macht mir jedes Mal Spaß, im Verlauf der Recherche immer tiefer in eine Lebensgeschichte einzusteigen. Manchmal habe ich Vermutungen, die bestätigt werden. Das ist toll. Es ist eine Art Detektivarbeit. Begonnen habe ich bei der Kindheit: Marie Steiner, die in Russland aufwuchs, Ita Wegman, die ihre Kindheit und Jugend in Indonesien verbrachte. Beide hatten frühe Begegnungen mit einer besonderen Form von Spiritualität, von der sie geprägt worden sind.   

EK | War das auch der Grund dafür, dass beide für die Spiritualität der Anthroposophie so offen waren?

GW | Auf jeden Fall. Spiritualität war für sie etwas Alltägliches und daher Selbstverständliches: ein besonderer Blick auf das Leben, die gelebte Gegenwart, bei dem Wissen und Gefühl untrennbar miteinander verbunden waren. Das wird bei Maries Verhältnis zur darstellenden Kunst ebenso deutlich wie bei Itas Medizinverständnis.

EK | Was ist so besonders an den beiden Frauen?

GW | Die beiden gehören zu solchen Frauen, die sich selbst erfunden haben, wie die meisten, über die ich geschrieben habe. Sie haben etwas aus ihrem Leben gemacht, was nicht erwartet wurde oder vorgesehen war: Ita als Ärztin, Marie als Schauspielerin, Rezitatorin, Regisseurin. Dazu gehörte viel Mut und die Konzentration auf die Sache, die einem am wichtigsten ist: die Arbeit. Sie war das, was Ita Wegman, Marie Steiner und Rudolf Steiner miteinander verband – in einer Beziehung, die durch die Dynamik von Distanz und Nähe bestimmt war.  

EK | Gibt es Hinweise, dass Rudolf Steiner eine körperliche Beziehung zu beiden Frauen hatte?

GW | Dazu liegen mir keine Informationen vor und es wäre sehr spekulativ, hierzu eine Aussage zu machen.

EK | Wie schätzen Sie die Beziehung der beiden für Rudolf Steiner so wichtigen Persönlichkeiten ein, wie können wir uns diese vorstellen?

GW | Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Wenn Sie so wollen, besteht eine Intention meines Buches darin, diese Beziehung(en) in ihrer Vieldimensionalität, Einzigartigkeit und Widersprüchlichkeit zu ergründen.

EK | Haben Sie besondere Reaktionen auf das Buch erhalten, gibt es dafür Beispiele?

GW | Ich habe sehr viel positive Resonanz erfahren, sowohl bei meinen Lesungen und  Veranstaltungen wie dem Tagesseminar im Rudolf-Steiner-Haus in Stuttgart als auch in Rezensionen und Zuschriften von Leser:innen. Besonders gelobt wurde, dass ich beide Frauen gleichberechtigt betrachtet und nicht die eine gegen die andere ausgespielt habe, wie es bisher meistens geschehen ist.

EK | Warum wurden Ita und Marie gegeneinander ausgespielt?

GW | Zu allen Zeiten hat man selbstbewusste Frauen gern gegeneinander ausgespielt und Konkurrenzen befördert, angeheizt, konstruiert. Wenn sie sich in ein Terrain hineinwagten, das eigentlich den Männern vorbehalten war, wurden diese Mechanismen eingesetzt, um die aufbegehrenden Frauen in ihre Schranken zu weisen.

EK | Ich selbst finde es faszinierend zu lesen, welche Wirkung Rudolf Steiner auf seine Zeitgenoss:innen hatte und wäre äußerst beglückt, wenn es Filme oder Tonaufnahmen gäbe, damit ich mir vorstellen könnte, wie er beim Sprechen gewirkt hat. Was glauben Sie, was war für Ita und Marie das Fesselnde und Besondere an Rudolf Steiner? Die haben sich ja – wie Sie in Ihrem Buch beschreiben – offensichtlich für ihn fast totgearbeitet, um ihn bei seinen Projekten zu unterstützen.

GW | Steiners Überzeugung und bedingungsloser Einsatz für seine Sache hat beide Frauen stark beein­druckt und inspiriert. Es ging ihm nicht in erster Linie um Ruhm und Erfolg, sondern darum, seine Erkenntnisse und Erfahrungen zu vermitteln, sozusagen die Welt an seinem Wissen Anteil haben zu lassen. Marie Steiners Organisationstalent und Tatkraft ist es zu verdanken, dass wir seine Vorträge heute lesen können. Sie war es, die für die Protokollierung und die Veröffentlichung sorgte. Doch sie stellte ihre vielfältigen Fähigkeiten nicht nur in Rudolf Steiners Dienst, sondern schuf eigenständig neue Theaterformen wie die Mysterienspiele oder bei Eurythmie-Aufführungen. Ita Wegmans eigener Weg bestand darin, die ganze Welt als therapeutisch zu betrachten mit einem «Mut des Heilens», der von Rudolf Steiner und allen, die mit ihr zusammenarbeiteten, bewundert wurde.

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