Ausgabe 04/25

Zwischen Notlösung und Entwicklungsraum

Ines Stahl
Hanno Ritter


In meiner Rolle als Erzieherin im Hort hatte ich vor Kurzem ein herrliches Gespräch mit einem Fünftklässler. Er erzählte von seinem Wunsch, auch Erzieher im Hort werden zu wollen und fragte, ob er dann trotzdem ein Haus und ein Auto haben könne und warum ich eigentlich Erzieherin im Hort geworden sei. Nun, welche Priorität der Wunsch nach einem Haus und Auto später haben wird, wird sich zeigen. Aber die Antwort zu meiner Inspiration konnte ich geben. Als Tochter einer Gründungshorterzieherin und Schülerin habe ich erlebt, wie mit viel Idealismus, Gemeinschaftswillen und Tatendrang in Cottbus eine Waldorfschule mit Hort und Kindergarten aufgebaut wurde. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Schul- und Hortbereich war von vornherein selbstverständlich. Schließlich begleiten wir dieselben Kinder und ihre Eltern durch die Schulzeit. Nach Abitur, künstlerischer Auszeit und Auslandsjahr eröffnete sich für mich im Berufsbereich der Waldorfpädagogik die Möglichkeit, meine Freude an der Zusammenarbeit mit Kindern und meine Kreativität zu verbinden. Kurzum: Nach der Ausbildung zur Waldorferzieherin in Kassel und einem Abstecher in den Jugendbereich wurde ich an den Hort meiner ehemaligen Schule berufen. Hier habe ich das Glück und die Aufgabe, gemeinsam mit einer Lehrerin eine Klassengemeinschaft von der ersten bis zu fünften Klasse begleiten zu können. Oft verfolgen wir die Entwicklung der Kinder auch darüber hinaus – manchmal sogar über das Ende der Schulzeit hinweg.

Endlich mehr Wahrnehmung


Über die Jahre ist der Schul- und Hortbereich bei uns in Cottbus gewachsen und somit auch die Aufgaben. Ein sich in den Arbeits- und Selbstverwaltungsaufgaben gegenseitig unterstützendes Kollegium ist unabdingbar, um ehrenamtliche Aufgaben wie die der Hortsprecher:innen neben der eigentlichen Arbeit übernehmen zu können. Um die Belange der Ganztagsschulbewegung stärker mit in die Wahrnehmung innerhalb der Waldorfwelt zu bringen, trat ich dem Hortsprecher:innenkreis bei.

Zurzeit besteht der gewählte Kreis aus Ines Stahl (FSW Cottbus), Marianna Pyritidis (FSW Barnim) und Hanno Ritter (FWS Überlingen). Dieser vernetzt sich mit den Betreuungseinrichtungen, Fachschulen, Landesarbeitergemeinschaften (LAGs) und dem Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS). Durch das Ganztagsförderungsgesetz, welches 2026 in Kraft treten wird, ist die Wahrnehmung unserer Bewegung und ihr wichtiger Beitrag zur Gestaltung von Waldorf am ganzen Tag ein Thema mit hoher Priorität beim BdFWS. Die Hortbewegung will ein anerkanntes Organ innerhalb des BdFWS werden. Dies ist wichtig, denn noch immer gibt es ein Missverhältnis der finanziellen Ressourcen für die Lehrkräfte gegenüber dem, was in die Ganztagsbetreuung investiert wird. Zwar wird der Lehrer:innenmangel immer wieder hervorgehoben, aber zeitgleich fehlt gut qualifiziertes pädagogisches Personal auch in der außerschulischen Betreuung. Denn mit rund 250 Horten an den Waldorfschulen gibt es deutschlandweit beinahe ebenso viele außerschulische Einrichtungen wie Schulen.

Veränderte Curricula und breite Vernetzung


Die Arbeitsgruppe WagT (Waldorf am ganzen Tag) ist ein Resultat aus der Zusammenarbeit der Hortsprecher:innen und verschiedenen Ausbildungsstätten, die in eine Qualifikation speziell für die Arbeit mit Kindern im zweiten Jahrsiebt investiert und diese in ihr Curriculum mit aufgenommen haben. Wichtig für uns wird in Zukunft auch eine bessere Vernetzung mit dem Bundeselternrat der Waldorfschulen sein. Unsere Kolleg:innen in den Einrichtungen arbeiten verstärkt an den Themen der Selbstverwaltung. Wir wollen herausfinden, wie das Engagement in der Selbstverwaltung  ressourcensparend neben der eigentlichen Betreuungsaufgabe gelingen kann. Durch das in den Startlöchern stehende Ganztagsförderungsgesetz entsteht bei vielen Einrichtungen die Frage, wie eine wertschätzende, auf Augenhöhe beruhende Zusammenarbeit mit der Schule gelingen kann.

Die Horte wollen weder ihr Alleinstellungsmerkmal als Betreuungseinrichtung verlieren noch von den Bildungszielen der Schulen vereinnahmt werden. Auf der einen Seite entsteht ein Loch, da die Politik nicht klarstellt, wie die Finanzierung aussehen soll und somit die Schulen oder Träger nicht in eine sichere Planung gehen können. Zum anderen braucht es das Bewusstsein, dass es für die Entwicklung der Kinder gut ist, wenn diese einen geführten Raum für sich und ihre Bedürfnisse zur Verfügung haben. Hier sind jetzt die Pädagog:innen aus Schule und Hort gefordert, sich eine fördernde und unterstützende Zusammenarbeit zu erarbeiten.

Vielleicht benötigen wir Kooperationsverträge? Die Vernetzung der Hort-Kollegien der verschiedenen Schulen erleben wir als sehr bereichernd. Deshalb ist angeregt, dass sich die Einrichtungen sowohl auf kommunaler als auch auf Landes- und Bundesebene organisieren. Die verlässlichen Treffen in Kassel am Rudolf Steiner Institut für Sozialpädagogik und die jährliche Fortbildungswoche an der Akademie für Waldorfpädagogik in Mannheim bieten allen Kolleg:innen in der außerschulischen Betreuung die Möglichkeit für Weiterbildung und Impulsgebung. Speziell das große Treffen in Kassel und die hier stattfindenden Fachkonferenzen bieten der Hortbewegung überhaupt erst die Möglichkeit, sich zu organisieren. Hier findet auch die Wahl der Hortsprecher:innen statt. Als Sprecher:innenkreis wünschen wir uns eine große Aufstellung mit Vertreter:innen aus allen Bundesländern, um unsere ehrenamtlichen Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen.

Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus


Aus der Fachkonferenz in Kassel haben wir als Hortsprecher:innen die Aufgabe delegiert bekommen, ein Selbstverständnis und Leitbild der Schulkindbetreuung in der Waldorfbewegung zu erstellen. Beides ist auf der Internetseite vom BdFWS verfügbar. So bunt und vielfältig wie die Fische im Wasser, so individuell sind auch unsere waldorfpädägogischen Betreuungseinrichtungen, die wir unter der Begrifflichkeit Hort zusammenfassen.

Als bundesweite Bewegung kommen wir zwar mit den gleichen Impulsen zusammen, aber da die rechtlichen Strukturen und Vorgaben von den einzelnen Bundesländern gemacht werden, haben wir es bei unseren Treffen mit ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu tun. Da gibt es Betreuungssituationen, in der eine Aufsicht ohne große Ausbildungsvoraussetzungen für eine ganze Klasse verantwortlich ist, und andere, in der zwei Fachkräfte für 20 Kinder zuständig sind. Die Schere zwischen den Bundesländern ist enorm. Gerade in den neuen Bundesländern wird der Hort selbstverständlich als Lebensort anerkannt, in anderen Einrichtungen lebt noch ganz die Vorstellung, dass eine Betreuung nur eine Notlösung sei und vermieden werden sollte. Daran hat sich in den letzten 30 Jahren wenig verändert.

Als Verbindung zwischen Schule und Zuhause gewährleistet der Hort Regenerationsmöglichkeit zur Stärkung der Resilienzkräfte, eine Vertrauensatmosphäre, die Pflege des Zusammenlebens, der Gesprächskultur und der Beziehungskunst. Für die Familie bietet der Hort Verlässlichkeit, Unterstützung und Entlastung. Für die Kinder bietet der Hort Raum zur Entfaltung. Das freie Spiel ist unabdingbar für eine gesunde Entwicklung und die soziale Gemeinschaftsbildung. Hier werden Themen aufgegriffen, die am Vormittag kaum Raum haben, aber eine wichtige Grundlage für eine Lerngemeinschaft bilden. Fragt man die Kinder, so ist für sie am Nachmittag das gemeinsame Spiel mit ihren Freund:innen und Klassenkamerad:innen das Wichtigste. Wir schaffen Ausgleich zwischen Bewegung und Ruhe, grob- und feinmotorischen Tätigkeiten, gesellig-gemeinschaftlichem Spiel und konzentrierter Beschäftigung. Sich beschäftigen aus einem eigenen Impuls heraus oder sich einlassen auf gemeinschaftliche Impulse. Im zweiten Jahrsiebt steht die Gefühls- und Gemütsbildung im Vordergrund. Verlässlichkeit und Orientierung durch den prozessbegleitenden Erwachsenen und das Erleben der Selbstwirksamkeit im Miteinander und im freien Spiel sind wesentlich verantwortlich in der Entwicklung zu einem selbstbewussten und selbstbestimmten Menschen.

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.