Sachliche Urteilsgrundlage

Martin Laude

Ein Kritikpunkt, der Lehrer und Eltern zum Teil verunsicherte, war der, dass sich Rudolf Steiner rassistisch geäußert habe. Diese Behauptung hat in unserer Zeit deutliches Skandalpotential, ist aber auch für überzeugte Anthroposophen nicht ohne Weiteres sachlich fundiert auszuräumen. 2007 hat die Mitgliederversammlung des Bundes der Freien Waldorfschulen in Deutschland die »Stuttgarter Erklärung« verabschiedet, in der man sich deutlich von jeder Form des Rassismus distanziert. Dennoch bleibt die Frage, inwiefern Steiner selbst des Rassismus zu bezichtigen wäre; dies hat schon 1998 eine niederländische Untersuchungskommission beschäftigt, die zu dem Urteil gekommen ist: »Die Anthroposophie Rudolf Steiners enthält keine Rassenlehre«. Der Bericht der Kommission wurde auf Deutsch veröffentlicht.

Für alle, die den Vorwürfen, die Anthroposophie Rudolf Steiners und damit auch seine Pädagogik seien rassistisch, eigenständig und differenziert urteilend begegnen wollen, kann das Buch »Kontroversen zum Rassismus« eine Hilfe sein.

Albrecht Hüttig setzt sich mit den historischen Ursprüngen und der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion der Begriffe Rasse und Rassismus auseinander, sowohl auf der biologischen, als auch auf der juristischen Ebene, und führt über die aktuellen Ereignisse zum Anspruch der EU, Vielfalt in sprachlicher und kultureller Hinsicht zu wahren. Immer wieder verweist Hüttig auf Steiner, auf dessen pädagogisches Ideal, des sich selbst erziehenden freiheitsfähigen Individuums, und zuletzt auf dessen Grundmaxime des freien Menschen, welche eben nicht mit einem Rasseverständnis in Einklang zu bringen sind. Damit wird der Rassismusbegriff und -vorwurf in eine neue Dimension gestellt, was es geradezu erzwingt, aber auch ermöglicht, die Verneinung des Vorwurfs neu zu denken und zu begründen.

Wenzel Götte setzt sich in seinem Beitrag bewusst nicht mit den fraglichen Äußerungen Steiners auseinander, sondern sucht in dessen philosophischer Hauptschrift »Die Philosophie der Freiheit« und in dessen veröffentlichten Äußerungen zum Antisemitismus Steiners gelebte Haltung bzgl. des Gattungsmäßigen des Menschen darzulegen. Götte führt auch an, dass ein anderes Grundwerk Steiners, »Wie erlangt man die Erkenntnisse der höheren Welten« geradezu verlangt, die Unterscheidung von Menschen nach äußeren Kennzeichen zu unterlassen. Im weiteren Verlauf skizziert Götte, wie Steiner den Rassebegriff, der in der theosophischen Literatur verwendet wurde, selbst kritisch reflektiert, die Überwindung der Rasseschranken als gegenwärtige Menschheitsaufgabe angesehen und die Bedeutungslosigkeit dieses Begriffs schon für die Gegenwart betont hat. Er gibt dem Leser anhand zahlreicher Zitate aus unterschiedlichen Zeiten die Möglichkeit, sich selbst ein Bild von Steiners Grundhaltung zu machen, in der die Entwicklung des Individuums und somit um die Überwindung von Rasse und Nationalismus im Vordergrund steht.

David Marc Hoffmann skizziert schließlich die Gerichtsverfahren, gegen die Rudolf Steiner Nachlassverwaltung und wie diese entschieden wurden. Außerdem schildert er die Aufgabe der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung und wie sie mit Steiners Werk umgeht. 

Der Leser erhält durch dieses Buch eine sachlich gehaltene, differenzierte und umfassende Urteilsgrundlage zum Rassismusvorwurf, der gegen Steiners Werk erhoben wird. Die Auseinandersetzung mit dem Rassismusbegriff und die vielen Einzelhinweise, die Steiners Haltung dokumentieren, erlauben eine schnelle Auseinandersetzung mit dem Thema und ein eigenes Urteil. Das Buch kann darüber hinaus als Beitrag zur gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Diskussion über Individuum und Gruppen gelesen werden.

Hüttig Albrecht (Hrsg.): Kontroversen zum Rassismusvorwurf. Der Diskurs über Rassismus – Rassismus bei Steiner – Steiners Werk: Editorische Konsequenzen, Berliner Wissenschafts-Verlag 2017, 89 S., Euro 19,80.

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Zum Thema siehe auch:

Robert Rose: Evolution, Rasse und die Suche nach einer globalen Ethik. Eine Antwort auf die Kritiker der Anthroposophie und Waldorfpädagogik