Willenstraining

Marcus Andries

Das zugrunde liegende Problem auf den Punkt gebracht lautet: Wissen und Können ist zweierlei. Wissen allein führt nicht automatisch zur richtigen Handlung. Die Frage ist: Warum haben wir manchmal nicht die Willenskraft, das umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben?

Als eines der zentralen Probleme zeigt sich das Willensproblem insbesondere denjenigen, die heute in der Schule tätig sind: Viele Kinder und Jugendliche sind nicht in der Lage, selbstgesetzten Zielen mit der nötigen Intensität und Ausdauer zu folgen. Zwei Fragen drängen sich auf: 1. Was sind die Ursachen für diese Willensschwäche und 2. wodurch kann solcher Willensschwäche abgeholfen werden?

Die erste Frage muss anthropologisch, psychologisch und gesellschaftlich beantwortet werden. Zur Beantwortung der zweiten Frage hat Valentin Wember in diesem Jahr mit dem Titel »Willenserziehung« ein Buch vorgelegt, das sich in die Reihe seiner bisherigen Veröffentlichungen konsistent eingliedert. In Wembers Erstling »Vom Willen zur Freiheit« (1991) wurde der Wille als solcher vorausgesetzt, ebenso in seinem folgenden, 2012 erschienen Buch »Wille zur Verantwortung«. Mit seinem neuesten Werk stellt Wember nun den Willen selbst in den Fokus.

Um Missverständnissen vorzubeugen, betont Wember zu Beginn, dass er keine wissenschaftliche Abhandlung vorlegen will, sondern ein praxisorientiertes Buch zum Problem der Willensschwäche und deren Überwindung. Unter Rückgriff auf Steiner will er zwar keine pädagogischen Rezepte liefern, wohl aber eine »Grundlage für hochgradig wirksame ›Trainingsprogramme‹«. Jedenfalls werden in Wembers Buch erstmals Steiners Angaben zur Willenserziehung aus dessen pädagogischem Werk mehr oder weniger in ihrer Gänze dargeboten, auch wenn der Verfasser keinen Anspruch auf Vollständigkeit geltend macht. Viel steht beim Thema Willenserziehung für die Zukunft der Kinder auf dem Spiel, und viel kann aus Unkenntnis in diesem Bereich falsch gemacht werden. Als Zielgruppe für sein Buch benennt Wember Eltern und Lehrer. Ihnen empfehle ich dringend, Wembers Buch eingehend zu studieren. Es enthält eine Fülle wertvoller, lebenspraktischer Hilfestellungen für die Willenserziehung der Kinder und ist dennoch kein bloßer Ratgeber wie viele andere. Vielmehr versucht es, das Angesprochene im Lichte der anthroposophischen Menschenkunde zu begründen und verständlich zu machen. Wember hat damit ein wichtiges Buch zum Thema geschrieben, das bisher in dieser Form in der anthroposophischen Literatur gefehlt hat.

Valentin Wember: Willenserziehung. 60 pädagogische Angaben Rudolf Steiners, geb., 224 S., EUR 24,– Stratosverlag, Stuttgart 2014