Ausgabe 03/24

Alle Waldorfschulen müssen interkulturelle Waldorfschulen werden!

Susanne Piwecki

Die Schule sollte, so Molt, Kinder nicht nur beschulen, sondern sollte auch von einem «sozialen Gedanken» begleitet sein. Ohne dass die Eltern einen entsprechenden Bildungshintergrund haben mussten, sollten alle Kinder und Jugendlichen eine Bildung erfahren können, «um höhere Stufen im Berufsleben und im sonstigen Leben erklimmen zu können». Als erste deutsche Gesamtschulen hatten die Waldorfschulen das Ziel, für Chancengleichheit in der Bildung einzutreten!
Unsere Gesellschaft hat sich in den über hundert Jahren seit der Gründung der ersten Waldorfschule verändert. Ihr gehören jetzt viele Menschen anderer Kulturen an. Ihr Anteil lag im Jahr 2023 in Deutschland bei 29,4 Prozent. In manchen Städten, wie etwa Mannheim, liegt der Anteil der Bevölkerung mit Migrationsgeschichte sogar schon bei knapp 50 Prozent. Der Anteil der Schüler:innen mit Migrationsgeschichte an Waldorfschulen liegt jedoch gerade mal bei rund vier Prozent. Der Impuls, gleichzeitig Bürger:innen- und Arbeiter:innenschule zu sein, ist in Schieflage geraten. Teile unserer Gesellschaft finden sich an unseren Schulen nicht wieder.
Unsere Schüler:innen stammen mittlerweile überwiegend aus bildungsnahen Elternhäusern; Kinder und Jugendliche aus bildungsbenachteiligten Familien sind dagegen unterrepräsentiert. Dafür gibt es vermutlich mehrere Gründe: das Schulgeld, die Lage vieler Schulen in Stadtvierteln, die oft nicht fußläufig erreicht werden können, aufwändige Aufnahmeprozedere an den Schulen, die ein Interesse für die Waldorfpädagogik und das Beherrschen der deutschen Sprache voraussetzen, eine Öffentlichkeitsarbeit, die nur Teile unserer Gesellschaft anspricht.
Ich bin davon überzeugt, dass wir unbedingt zum ursprünglichen Impuls von Emil Molt zurückkehren müssen, eine Schule für alle zu sein. Denn unsere Gesellschaft wandelt sich weiter und wir brauchen die Vielfalt, auch damit wir als deutsche Waldorfschulbewegung in der Öffentlichkeit weiter ernst genommen werden. Interkulturalität ist etwas Bereicherndes und deswegen müssen alle Waldorfschulen interkulturelle Waldorfschulen werden. Begreifen wir die Vielfalt unserer Gesellschaft als echte Chance – auch für unsere Schulen!

Kommentare

Annette Schünemann-Küttenbaum,

Liebe Frau Piwecki!
Ganz herzlichen Dank für Ihr Statement für interkulturelle Waldorfschulen. Ihre Worte sprechen mir so aus dem Herzen.
Seit 34 Jahren gibt es den Waldorfkindergarten in Konstanz. In unseren Räumen spielen Kinder aus allen Bevölkerungsschichten und aus vielen Ländern dieser Erde, so bunt und vielfältig, wie das Leben ist und die Menschen es sind. Für uns war und ist es selbstverständlich, dass jedes Kind das hier „anklopft“, aufgenommen wird.
Seit 12 Jahren gibt es auch eine Waldorfschule in Konstanz, gegründet von Müttern aus unserem Kindergarten. Und seitdem mussten wir uns immer wieder anhören, dass wir kein „richtiger“ Waldorfkindergarten sind, da wir stadtteiloffen arbeiten und Kinder aufnehmen, deren Eltern die Waldorfpädagogik nicht kennen, und anderen Kindern von wirklich interessierten Eltern den Platz wegnehmen. In Gesprächen konnte Einiges geklärt werden, aber es bleibt ein Beigeschmack zurück, der uns traurig macht.
Es kam dann auch immer wieder die Frage auf, warum nicht mehr Eltern aus unserem Kindergarten ihre Kinder in die Waldorfschule schicken. Ich habe versucht zu erklären, dass das Aufnahme Prozedere, die Infoabende usw. niedrigschwelliger werden müssen, sonst wird sich daran nichts ändern in der Zukunft.
Und wie Sie sagen, die Vielfalt der Kinder mit ihren Eltern ist etwas Bereicherndes, hoffen wir, dass sich diesbezüglich noch vieles ändert. Mit herzlichen Grüßen aus dem Waldorfkindergarten Konstanz

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