Gifte in der Landwirtschaft

Thomas Radetzki, Claudia Marxen

Viele Faktoren sind für das Bienensterben verantwortlich. Eine Ursache ist die industrielle Landwirtschaft. Pestizide, Monokulturen und die reduzierte Pflanzenvielfalt gefährden Bestäuber wie Bienen, Wildbienen und Hummeln. Chefs von Agrarkonzernen werden nicht müde, ihre Verantwortung für die Lebensmittelproduktion gegenüber einer wachsenden Weltbevölkerung zu betonen. Ohne Pestizide und Gentechnik, so Bayer-Vorstand Baumann, sei die notwendige Menge an Nahrung nicht zu produzieren. Die Bayer AG als Mutter Teresa? Pestizide werden uns als Allheilmittel verkauft. Die Einzigen, die davon profitieren, sind die Industriekonzerne. Sie treiben die Landwirtschaft in einen Teufelskreis: Durch Pestizide und Insektizide werden die Pflanzenvielfalt und die im Boden lebenden Organismen abgetötet. Um den Boden auch ohne intakte Organismen fruchtbar zu machen, werden Düngemittel verkauft. Gegen die Schädlinge, die sich ohne Feinde in der Monokultur ausbreiten, werden Gifte verkauft: Ein lukratives Geschäftsmodell.

Eine bestimmte Menge an Nahrungsmitteln pro Kopf ist natürlich notwendig. Doch so funktioniert die Verteilung der Lebensmittel nicht. In den allermeisten Fällen ist der Mensch verantwortlich, wenn andere Menschen hungern. Er unterlässt Hilfe, erschwert den Zugang zu Nahrung oder setzt Hunger als politisches Druckmittel ein. Bienen werden durch Pestizide soweit beeinträchtigt, dass sie ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten verlieren. Das vorwiegende Nahrungsangebot in unseren landwirtschaftlich genutzten Regionen besteht aus mit Herbiziden und Insektiziden behandelten Pflanzen.

Eine weitere Auswirkung zeigt sich im Verlust der Begleitflora und dem daraus resultierenden Nahrungsmangel für alle blütenbesuchenden Insekten und Feldvögel. 95 Prozent der sogenannten »Pflanzenschutzmittel« reichern sich im Boden an und schädigen auch die Bodenlebewesen. Danach gelangen die Pestizide ins Grundwasser, in die Flüsse und Seen und in die Ozeane. Überall wirken sie weiter. Zwar werden sie verdünnt, aber viele Pestizide bauen sich gar nicht ab, verstärken ihre Eigenschaften, wenn sie mit Wasser in Berührung kommen und reagieren untereinander. Wird der Artenverlust bei den Insekten nicht gestoppt, gefährdet dies nicht nur die Nahrungsmittelproduktion, sondern auch die biologische Vielfalt. Die Vielfalt ist die Versicherung der Natur gegen Krankheiten und Ernteausfälle. Fast 80 Prozent der Insekten sind in den letzten Jahren in Deutschland verschwunden. In der gleichen Zeit ist der Einsatz der Pestizide in der Landwirtschaft um 40 Prozent angestiegen. Da soll es keinen Zusammenhang geben? Betroffen sind viele Insekten, aber auch Vögel und Säugetiere, weil sie einen Nahrungskreislauf bilden. Der Bestand an blühenden Ackerwildkräutern, wie etwa von Mohnblumen oder der Kornrade, ist seit den 1950er Jahren um mehr als 90 Prozent zurückgegangen.

Tödliche Saatgutpillen

Deutschlandweit werden laut statistischem Bundesamt auf über 400.000 Hektar Zuckerrüben angebaut. Im konventionellen Zuckerrübenanbau, der 99,6 Prozent der Anbauflächen beansprucht, wird das Saatgut standardmäßig mit Fungiziden, Düngemitteln und Insektiziden aus der Gruppe der Neonikotinoide gebeizt und zu einer »Saatgutpille« geformt, die die Aussaat erleichtert. Die Zuckerrübe ist zusammen mit der Kartoffel die einzige Ackerkultur, in der diese drei umstrittenen Mittel in Deutschland weiterhin standardmäßig eingesetzt werden.

Für einen Feldsperling reichen schon ein bis zwei behandelte Samen aus, um eine tödliche Dosis zu erreichen. Vögel sind besonders gefährdet, weil sie ihre Nachkommen während der Brutphase ausschließlich mit Insekten ernähren. So hat laut European Bird Consensus Council der Bestand von Feldvogelarten in Europa seit 1980 um 57 Prozent abgenommen. Besonders betroffen sind etwa Rebhühner (Bestandsverlust von 94 %), Kiebitze (74 %), und Feldlerchen (34 %). Neueste Feldstudien aus den USA zeigen, dass Zugvögel durch die Aufnahme der Wirkstoffmenge von weniger als einem gebeizten Samenkorn an ähnlichen Orientierungsverlusten leiden, wie es bei den Bienen der Fall ist.

Ein weiteres Herbizid ist Glyphosat. Es wird in der Landwirtschaft zur Vorbereitung des Ackers eingesetzt, um vorhandene Pflanzenbestände abzutöten. Dies erspart dem Bauern das Pflügen. Doch Glyphosat wird auch zur Sikkation, also zur künstlichen Abreife von Getreide und Kartoffeln eingesetzt, um die Ernte besser planen zu können. Wenn das Gift tagsüber bei sonnigem Wetter aufgebracht wird, trifft es die blütenbesuchenden Bestäuber besonders intensiv. Gerade bei trockenem Wetter gehen die Insekten gezielt an die befeuchteten Blüten, um Wasser zu trinken.

Imker kämpfen vor Gericht gegen Neonikotinoide

Die EU-Kommission hat 2013 die Genehmigungen von bienengefährlichen Wirkstoffen (Neonikotinoide und Fipronil) beschränkt. Es handelt sich um hochwirksame Nervengifte, die eine große Gefahr für unsere Umwelt und insbesondere die Bienen darstellen. Fipronil wurde gerade im vergangenen August in Eiern gefunden und hat es so zu medialem Ruhm gebracht. Im Tierversuch erwies sich das Mittel als giftig. Daher sollte es generell nicht in Kontakt mit Lebensmitteln kommen.

Neonikotinoide werden vor allem als Saatgutbeize eingesetzt und gehören zu den systemischen Insektiziden. Sie verteilen sich beim Heranwachsen der Pflanze im gesamten Organismus – von der Wurzel bis in die Blüten. Alle Tiere, die Blätter der behandelten Pflanze fressen, deren Nektar trinken oder Pollen sammeln, kommen mit dem Gift in Kontakt. Tatsächlich wirkt das Nervengift nicht immer tödlich. Es sorgt aber dafür, dass die Insekten, orientierungslos werden, nicht mehr in ihre Behausung zurückfinden und verenden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wieso Saatgutbeize überhaupt den Notfallzulassungen zugeordnet wird, auf die sich die Agrarindustrie so gern beruft.

Bayer, Syngenta und BASF klagten im Jahr 2013 vor dem EuGH gegen die Einschränkung der Genehmigung für einige ihrer Pestizidwirkstoffe, drei Neonikotinoide und Fipronil. Drei Imkerverbände des von der Aurelia Stiftung organisierten Bündnisses zum Schutz der Bienen wurden bei diesen Verfahren als Prozessbeteiligte, als sogenannte »Streithelfer«, zugelassen. Die EU Kommission untersagte einen Teil der Anwendungen dieser Insektizide.

In den Verhandlungen verweisen die Konzerne wiederholt darauf, dass dann »deutlich problematischere Mittel als die Neonikotinoide« zum Einsatz kommen werden, wenn diese verboten werden sollten. Ein solches Mittel findet derzeit seinen Weg von Polen nach Deutschland: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) schreibt in einer Fachmeldung vom 12.7.2017, dass in Polen ein Pestizid mit dem Wirkstoff Cyantraniliprol zur Saatgutbeizung zugelassen wurde. Nach europäischem und deutschem Recht darf behandeltes Saatgut nach Deutschland importiert und hier ausgesät werden.

Das BVL befürchtet »aufgrund der hohen Bienentoxizität und der systemischen Wirkungsweise« von Cyantraniliprol eine Gefahr für Bienen und rät daher zu begleitenden Maßnahmen, um die Staubentwicklung zu verringern. Die Problematik der negativen Auswirkungen von Insektiziden auf Bienen, auf die Imkerei und Insekten insgesamt ist den Behörden also bewusst.

Aktionsplan zum Schutz bestäubender Insekten

Angesichts dramatisch schwindender Bestände haben die Aurelia Stiftung »Es lebe die Biene!« und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 2017 gemeinsam einen umfassenden Aktionsplan zum Schutz bestäubender Insekten entwickelt.

Zu den empfohlenen Maßnahmen zählen neben der Reform des Zulassungsverfahrens für Pestizide auf nationaler und internationaler Ebene ein verbesserter Schutzstatus für Bestäuber, die Erhaltung und Wiederherstellung vielfältiger Lebensräume, die ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft sowie die Einführung eines Langzeit-Monitorings der Insektenbestände. Verbraucher können eine Menge tun: Sie können vornehmlich Bio-Lebensmittel kaufen, da diese ohne die schädlichen Pestizide angebaut werden, und sie können politisch aktiv werden, in der Familie und mit Freunden diskutieren und die Abgeordneten und Politiker zum Handeln auffordern.

Zu den Autoren: Thomas Radetzki und Claudia Marxen sind im Vorstand der Aurelia Stiftung.

www.aurelia-stiftung.de