Da steht das Haus. Robust und stattlich sieht es aus, mit weißen, dicken Wänden und einem großen Holzdach. Das baufällige Häuschen daneben, an dem Putz und Lehm abbröckeln, wirkt im Vergleich dazu wie eine Hundehütte – aber eine mit Satellitenschüssel. Claudia Subtirel, zierlich, dunkles Haar, bittet uns zusammen mit der Architektin Flavia Matei in ihr neues Haus. Claudias Augen schimmern seltsam grau. Seit sie sechs Jahre alt ist, leidet sie am Grauen Star. Claudias drei Töchter, Andreea (11), Dalia (9) und Elena (7), sitzen auf zwei Bettsofas, die sich die fünfköpfige Familie nachts zum Schlafen teilt, und blicken aus dunklen Augen neugierig auf die fremde Besucherin. Die Wände sind türkis gestrichen, auf dem Boden liegt ein roter Teppich, vor den Fenstern hängen weiße Spitzengardinen. In einer Ecke bollert ein Holzofen, gebaut aus einem alten Fettfass. Nebenan befindet sich das zweite Zimmer, das zurzeit nicht genutzt wird. Es ist Winter und zu teuer, zwei Räume zu beheizen.
Einen Esstisch gibt es nicht, auch keine Küche. Gekocht wird auf dem Ofen. Auch Bad und WC sucht man vergebens. Wasser holt Claudia am Brunnen auf dem Dorfplatz und als Toilette dient ein Plumpsklo neben dem Haus. Claudia ist stolz auf ihr neues Zuhause, das sie in knapp vier Monaten zusammen mit Flavia gebaut hat. Im Vergleich zu einem Haus in Deutschland ist es klein und primitiv, für die Familie aber eine Revolution, schließlich hat sie zum ersten Mal ein Kinderzimmer.
Claudia und Flavia stehen dicht beieinander und halten sich an den Händen. Dankbar schaut Claudia Flavia an. Die vielen Stunden auf der Baustelle haben sie zusammengeschweißt. Eine Freundschaft ist entstanden. Eine Freundschaft zwischen zwei Frauen, die im selben Land groß geworden sind, deren Leben kaum unterschiedlicher sein könnte: Die eine wohnt in dieser Roma-Siedlung, hat keinen Schulabschluss, ist arm und verdingt sich im Sommer als Erntehelferin.
Doch seitdem sie das neue Haus hat, ist sie in der sozialen Achtung der anderen gestiegen. Die andere stammt aus der 300 Kilometer entfernten Stadt Timisoara im Westen des Landes, hat in Wien Architektur studiert und als Diplomarbeit dieses Haus geplant und gebaut.
Schweine, Pferde, Exkremente
Flavia steht mitten im Morast. Es riecht nach Schweinen, Pferden, Exkrementen. Die Schwalben zwitschern, Hunde bellen, die Glocke der Kirche im Oberdorf läutet. Am Horizont blitzen die immer noch schneebedeckten Gipfel der Karpaten weiß auf. Über den unbefestigten Dorfplatz galoppiert ein Reiter ohne Sattel. Ein Kutscher tränkt seine Stute samt Fohlen am Dorfbrunnen. Auf der Baustelle hat keiner dafür einen Blick übrig. Flavia, Claudia und Münchner Schüler haben diese Woche mit den ersten Bauarbeiten für Claudias Haus begonnen.
Jedes Jahr kommt die 11. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule Schwabing ins Unterdorf von Rosia, um im Sozialpraktikum Häuser für Roma zu sanieren oder neu zu bauen. Dieses Jahr müssen 6.000 Lehmziegel produziert werden. Kaum vorstellbar im Moment, denn die Herstellung von Hand ist mühsam. Ein Traktor hat Lehm aus einer Grube am Dorfrand hergekarrt. Claudia schneidet Strohhalme in etwa 15 Zentimeter lange Stücke und mischt sie in einer großen Plastikwanne mit Lehm und Wasser. Flavia prüft die Konsistenz. Dann wirft sie eine Hand voll mit viel Kraft in eine Holzschablone, die auf einer Plastikplane liegt, wiederholt den Vorgang, bis die Schablone gefüllt ist. Zu zweit heben Flavia und Claudia die Holzform an seitlichen Griffen nach oben. Liegen bleibt ein feuchter Lehmquader, der in der Sonne zu einem festen Ziegel trocknen soll. Eine zeitaufwändige, anstrengende und ermüdende Arbeit. Plötzlich hebt der Wind die Plane an einer Ecke nach oben und lässt sie mit einem lauten Schnalzen nach unten sausen. Flavia wischt sich mit der lehmverschmierten Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickt zum Himmel, wo sich dunkle Wolken zusammenballen. »Genug für heute. Es wird bald regnen. Los, wir müssen die Ziegel abdecken, damit sie nicht nass werden«, ruft sie.
Zusammen mit der Schulklasse steigt sie die steile, staubige Straße, die übersät ist von Pferdeäpfeln, zum Oberdorf hinauf. Der Rücken und die Arme tun ihr vom Lehmmischen weh. Da kommen eine Handvoll Roma-Männer in Jogginghosen und schwarzen Gummistiefeln auf sie zu und blaffen sie an: »Mädchen, warum nimmst du Lehm? Warum keine richtigen Ziegel? Warum keinen Ytong oder Beton? Das wird nie was!« Die Männer machen wegwerfende Handbewegungen – und lassen Flavia stehen.
Es ist nicht angenehm, sich die nächsten vier Monate lang jeden Tag diese Kritik gefallen zu lassen. »Walk of Shame« wird Flavia den Spießrutenlauf vom Ober- ins Unterdorf und wieder zurück irgendwann nennen.
Ein Haus aus Lehm und Flaschen
Im Oberdorf steht die 1998 gegründete Hans-Spalinger-Waldorfschule für Kinder der Roma-Familien aus dem Unterdorf. Die Schule soll die Kinder auffangen, die im staatlichen Schulsystem keine Chance haben. Die Schulleiterin, Annette Wieken, koordiniert auch die Hilfe von zwei kleinen Vereinen aus Deutschland und der Schweiz, die sich in Rosia engagieren, und entscheidet jedes Jahr, welche Familie eine Renovierung oder ein neues Haus bekommt. Beim letzten Mal fiel die Wahl auf Claudia und ihre Familie. Als Flavia Claudia bei ihrem ersten Treffen Beispiele moderner Architektur mit Lehmziegeln auf ihrem Laptop zeigt, ist die Roma ganz begeistert.
Ihr Mann Petre aber nimmt Flavia nicht ernst: »Du zeigst mir, wie man ein Haus baut? Was weißt denn Du übers Bauen? Ich bin Bauarbeiter, ich zeig dir, wie man ein Haus baut!« Nachbarn kommen und lachen über die Pläne der jungen Architektin. »Das ist normal beim Lehmbau, die Leute sind anfangs immer sehr misstrauisch. Man muss Geduld und Ruhe bewahren, bis sie der Lehmbauweise vertrauen«, sagt Flavia. Das Misstrauen dem Baustoff gegenüber sitzt tief und Flavia weiß auch warum. »Lehm wird von den Roma automatisch mit Armut in Verbindung gebracht«, sagt sie. Dennoch knüpft die Architektin mit ihrem Projekt an die traditionelle Bauweise der Roma an.
Die Vorteile des Materials liegen ihrer Meinung nach auf der Hand: »Lehm ist kostenlos, leicht zugänglich und nachhaltig. Und Lehm speichert Wärme.« Als Deckendämmung verwendet Flavia getrocknetes Schilf. Für die Bodenisolierung werden 4.000 Glasflaschen gesammelt und mit dem Hals nach unten dicht an dicht in eine Schicht Sand gesteckt. Die entstandenen Hohlräume füllen Flavia, Claudia und Helfer, die Flavia aus der ganzen Welt nach Rosia lockt, mit Sand auf. Diese Technik dient der Wärmedämmung, da die in den Flaschen eingeschlossene Luft gut isoliert. Für die Architektin ist auch der ökologische Aspekt sehr wichtig. »Für die Roma ist der aber ganz weit weg«, weiß sie.
Die Bauzeit ist für alle eine harte Phase – sowohl physisch als auch psychisch gehen Flavia, Claudia und Petre an ihre Grenzen. Wenn Flavia von eins bis vier Mittagspause macht, hat Claudia keine Zeit, sich auszuruhen: Sie wäscht, kocht und räumt auf. »Ich habe vollsten Respekt, was Claudia in der Zeit alles geschafft hat«, sagt Flavia. Auch Claudias Mann Petre hat viel zu tun: Er fährt jeden Morgen um sechs Uhr nach Sibiu, um dort auf dem Bau zu arbeiten, schwarz, denn er besitzt keine Geburtsurkunde und hat somit keine Chance auf eine feste Anstellung. Kommt er abends um acht wieder zurück ins Dorf, arbeitet er noch bis zehn, elf Uhr mit Flavia und seiner Frau Claudia an seinem zukünftigen Haus – einem Haus, von dem er nicht weiß, ob es jemals stehen wird. Das ganze Dorf spottet schon. Auch er kann sich nicht vorstellen, dass die luftgetrockneten Lehmziegel ein Dach tragen werden.
Erst als ein Stück zu viel gemauert wird, das Petre mit dem Hammer wieder abschlagen muss, merkt er, wie stabil die Wände wirklich sind. Erst ab da vertraut er der Lehmbauweise und verteidigt sie Zweiflern gegenüber. Auch die Frauen auf der Baustelle machen Petre nervös. Schließlich trägt er die Verantwortung für sie alle. So hat er es gelernt, so ist es Tradition. Frauen gehören nicht auf eine Baustelle, sie müssen beschützt werden. Schlimm genug, dass seine eigene Frau mithilft. Eines Tages aber rutscht einer der Freiwilligen die Schleifmaschine aus. Die junge Frau verletzt sich leicht am Bein. Petre fühlt sich schuldig. Der Roma ist emotional so überfordert, dass er die Schleifmaschine kaputtschlagen will. Flavia kann ihn gerade noch aufhalten. »Für moderne Frauen wie mich und die Freiwilligen ist es sehr schockierend zu sehen, dass der größte Erfolg für eine Frau aus dem Dorf darin besteht, Mutter zu werden. Die Frauen hier sind aber so stark, die können viel mehr, wie man an Claudia sieht«, sagt Flavia.
Geboren wird vieles
Für Claudia war es nicht leicht, sich von ihrem Mann und der Dorfgemeinschaft zu emanzipieren. Geholfen hat ihr sicher das Vertrauen in Flavia. Ein Vertrauen, das die junge Architektin ganz behutsam aufgebaut hat. Flavia erinnert sich: »Claudia hatte das Bedürfnis, ihre Dankbarkeit zu zeigen, und hat regelmäßig Säfte und Süßigkeiten für uns Helfer gekauft, obwohl sie dafür eigentlich kein Geld hatte. Umgekehrt wollte sie von uns nichts annehmen. Daher habe ich eine Wette vorgeschlagen, bei der klar war, dass ich sie verlieren würde. Als Wettschuld habe ich dann Säfte und Knabberzeug besorgen dürfen.«
Nicht nur eine Freundschaft ist in den vier Monaten geboren worden, sondern auch ein Kind. Und genau für dieses Kind hat Flavia gerade wieder ein Haus im Unterdorf gebaut. Die jungen Roma-Eltern des Kindes sind in etwa so alt wie die Münchner Schüler, die wie jedes Jahr zum Helfen kamen.
Kontakt: Walter Kraus, prorosia@waldorfschule-schwabing.de
Zur Autorin: Annette Wild ist Journalistin, engagiert sich im Verein Pro Rosia e.V. an der Rudolf-Steiner-Schule Schwabing und hat letztes Jahr beim Hausbau in Rosia geholfen.