Über Gefahren durch Rechtsextremismus und antidemokratische Haltungen für die Waldorfpädagogik zu schreiben, ist wahrlich kein schöner Anlass. Aber es ist ein notwendiges Thema und der Erziehungskunst gebührt der Dank, sich dieses schwierigen Themas angenommen zu haben. Es ist ein weiterer Impuls und Auftakt für die Waldorfschulbewegung, das Thema auf allen Ebenen zu bearbeiten. Denn nur eine lebendige Debatte um diese Themen schafft und schärft das nötige Bewusstsein, den Kern der Waldorfpädagogik zu sichern, indem man sich scharf vom rechten Rand abgrenzt und die Waldorfpädagogik gegen Unterwanderungen verlässlich und effektiv schützt.
Aufgaben der Waldorfschulen
Was ist die Aufgabe, die der Waldorfschulbewegung daraus erwächst? Welche Gremien sind gefragt und was muss die einzelne Schule tun? Wie gelingt es, aus der reaktiven Haltung in eine aktiv gestaltende klare Gegenposition zu solchem Gedankengut zu kommen?
Situation
Seit einigen Jahren, seit an einzelnen Schulen punktuell rechtsextreme und antidemokratische Vorfälle sichtbar wurden, und verstärkt, seit im Windschatten der Coronaufregung und der scharf geführten Debatten über die Schutzmaßnahmen in vielen gesellschaftlichen Bereichen neu-rechte, antidemokratische und rassistische Auswüchse sichtbar wurden, beschäftigen sich viele Menschen an den Schulen, die Gremien des Bundes der Freien Waldorfschulen und speziell eingesetzte Arbeitskreise mit diesem Themenfeld.
(Für eine Übersicht über die Situation siehe hierzu die nüchtern bilanzierende Auflistung und Darstellung «Waldorfschulen und rechtsradikale Unterwanderungsversuche».)
In der Zwischenzeit wurde viel geleistet und auf den Weg gebracht. Dennoch schienen wir den Bedrohungen hinterher zu rennen. Mit diesem Themenschwerpunkt in der Erziehungskunst und als Thema auf der Mitgliederversammlung sowie in weiteren Zusammenkünften müssen die Waldorfschulen klare Position beziehen gegen rechtsextreme, völkische, neuheidnische, identitäre, ethnopluralistische und wie sich diese Gruppierungen sonst noch nennen. Bisweilen hören wir dabei, dass man andere Extremismen doch gefälligst auch beobachten müsse. Dies ist ein in rechten Kreisen probater Argumentationstrick.
Denn es geht ganz offensichtlich um den rechten Rand. Hier eine Verdeutlichung aus der Rubrik der Süddeutschen Zeitung «gefühlte Wahrheiten». Mehr ist dazu nicht zu sagen!
Strategien erkennen
Leider sind es nicht nur die weithin erkennbaren Nazis, mit einem entsprechenden Outfit, sondern es sind sich intellektuell gebende oder esoterisch schwadronierende Menschen, die eine Bedrohung darstellen. Diese oft rhetorisch geschmeidig daherkommenden Personen suchen den Anschluss an waldorfpädagogische Grundlagen.
Das Perfide an der Sache ist, dass die Stragteg:innen dieser neu-rechten Bewegungen sehr geschickt vorgehen. Sie nennen das selbst Metapolitik und im politischen Vorfeld wirken. Es ist ein Kampf um die Köpfe, im Sinne von Einpflanzen von rechten Welterklärungsmustern. Hauptangriffsrichtung ist es, die Grundlinien des Sagbaren zu verschieben. Nicht durch dumpfe Parolen – denen wäre schnell beizukommen.
Es sind die scheinbar anknüpfungsfähigen Diskurse und diese tückischen Formulierungen «Das wird man doch noch sagen dürfen» oder «ich bin aber der Meinung, dass…» – Floskeln, die Verschiebungen nach rechts und ins Antidemokratische erzeugen können. Entlarvend ist ein Blick auf die explizit herausgegebenen Strategien der sogenannten intellektuellen Neuen Rechten. In dem Band mit dem irreführenden Titel Staatspolitisches Handeln aus dem rechtsextremen Institut für Staatspolitik (IfS) wird die Maxime vorgegeben: Es geht um die Besetzung von Worten und Begriffen. «Wer einen Begriff platziert und definiert, erreicht, daß man ein Wort benutzt und außerdem, daß man sich darunter etwas bestimmtes vorstellt». Dieses rechte Framing zielt absichtsvoll auf Begriffe, die in der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik benutzt werden. Gefährlich wird dies insbesondere, wenn diese Begriffe nicht deutlich und klar gefüllt sind. Anthrosprech, der sich eingeschliffen hat und bei dem wir uns bisweilen nicht die Mühe machen, genau zu beschreiben, was damit gemeint ist und was nicht. Dann bieten solche Begriffe Angriffsflächen. Also ist es eine Aufgabe zum Schutz der Waldorfpädagogik und ihrer Grundlagen, hier bewusst Klarheit zu schaffen und einer Umwertung von Worten und Begriffen geistig wach entgegenzuwirken.
Beispielsweise zielt die Partei die Basis mit ihren gefühligen romantisierenden Aussagen exakt in dieses Feld und versucht Begriffe der Dreigliederung in diesem Sinne umzuframen. Leider verfängt das in manchen Schulen und im Umfeld kritiklos.
Positionieren
Eine weitere wichtige Aufgabe neben Aufklärung: Position beziehen! Die Strategie der rechten Gruppierungen ist es, Denkfiguren und Traditionen zu okkupieren, umzuwerten und mit ihren Inhalten zu füllen. Wenn dies noch gekoppelt wird mit wirren, sich esoterisch nennenden Behauptungen, die viel von Wahrheit schwadronieren und «wir wissen doch, dass…»-Formeln verwenden, dann entsteht daraus genau die Unschärfe am rechten Rand, der es direkt und mutig zu begegnen gilt. Naivität von Verantwortlichen an den Schulen ist hier eine große Gefahr und leider nicht selten.
Oft treten wir in solchen Feldern nicht entschieden entgegen, da es ja nur die «Meinung» des Gegenübers sei. Zu lange wird diesem Treiben zugesehen, ohne dass beherzt eingegriffen wird und Grenzen aufgezeigt werden. Das ist Teil der Wirkung dieser Begriffe. Hinter dem Rücken der bewussten Wahrnehmung setzen sich diese Aussagen leicht fest und das strategische Ziel der Rechten ist erreicht.
Zeiten, die durch dramatische gesellschaftliche Komplexitätssteigerung gekennzeichnet sind, bilden den Nährboden. Aktuell schichten sich viele große Herausforderungen übereinander und verschränken sich zu einer prinzipiell undurchsichtigen Gemengelage. Das ist so und wir müssen es aushalten, keine schnellen Erklärungsmuster oder gar Antworten zu finden.
Viele suchen vermeintliche Sicherheiten in scheinbar simple Wahrheiten zu packen: «Wir da unten, gegen die da oben», oft als «staatliche Entscheidungen gegen freies Schulwesen» verbrämt. Oft von selbsternannten Behauptern und Behaupterinnen mit Arroganz vorgetragen: «Wir erkennen Zusammenhänge, die andere nicht sehen, weil wir die Anthroposophie und Geisteswissenschaft haben etc.» Die Welt ist komplex und anthroposophische Zugänge können uns unterstützen diese Komplexität auszuhalten und aufzuschließen, aber nur, wenn dem Kurzschluss von simplifizierenden Scheinzusammenhängen widerstanden wird. Andernfalls wird es sehr gefährlich. Oft werden sogenannte richtige Fragen gestellt, um Anschluss an die gesellschaftliche Verunsicherung zu finden. «Könnte es nicht sein, dass ...» Es folgen dann Erzählungen, die vorgeben, Realität zu sein und Wahrheiten aufzudecken. Manche Agitator:innen manipulieren mit vorschnellen Antwort-Erzählungen auf womöglich schon bedenkenswerte Fragen und Unzufriedenheiten und bieten jene Antworten dann als sogenannte Wahrheiten an: Verschwörungen im Hintergrund, esoterische Erklärungsmuster, die nicht überprüfbar sind, auf die Menschen hereinfallen, die oft peinlich schlicht sind und mit etwas nüchternem Blick entzaubert werden können. Hier würde eine tatsächliche phänomenologische Betrachtung helfen. Auf die tatsächlichen Phänomene blicken! Es braucht dann dieses Urteilsvermögen, das Teil unseres Bildungsauftrags ist. Und es dürfen sich keine falschen Erzählungen als Rechtfertigung für Verschwörungsmythen verbreiten. Leider sind das Internet und die Videoszene voll von solchen Scharlatan:innen, die Anthroposophie bewusst oder dumm-naiv in eine solche Richtung verdrehen wollen. Und leider fallen zu viele auf diese Versuche rein.
Gremien in der Waldorfschul-Community
Über diese und ähnliche Strategien aufzuklären und wach zu machen, ist Aufgabe der Schulbewegung. Es ist wichtig, diese Strategien zu durchschauen und ihnen klar entgegenzutreten. In den eigenen Reihen, unter den Menschen, die die Schulen tragen und nicht zuletzt innerhalb des pädagogischen Auftrags. Die Schüler:innen müssen diese Argumentationsmuster und Strategien erkennen lernen und sich kompetent und selbstbewusst dagegen positionieren. Dazu braucht es aber Kollegien, die kompetent in diesem Feld urteilen können.
Besonders ist hier die Aktivität des Arbeitskreises Offene Gesellschaft mit den entsprechenden Arbeitskreisen in den Ländern zu erwähnen. Diese Arbeit der Aufklärung, der Darstellung und Bewusstmachung muss flächendeckend etabliert, ausgebaut und vernetzt werden.
Das ist auch eine vordringliche Frage in der waldorfpädagogischen Grundausbildung und in Fortbildungen. Wir müssen Formate entwickeln, in denen wir an den kritischen Punkten bei uns selbst arbeiten – Begriffsarbeit leisten. Zugleich aber einen Optimismus gegenüber der aktuellen Weltlage bewahren.
Stärkung von innen heraus
Die Hauptaufgabe jedoch ist es, solche Kräfte an Waldorfschulen zu stärken sowie auf- und auszubauen, die sich für die Gleichwertigkeit und Gleichheit der Menschen einsetzen und den demokratischen Grundansatz der Waldorfschulen und das Motiv der Verantwortungsübernahme stark machen – Stichwort Selbstverwaltung stärken und als demokratisches Feld verteidigen. Dies sind zum Beispiel Schulen, die sich dem Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage angeschlossen haben und aktiv gegen Diskriminierung jeglichen Kalibers vorgehen. Diesen Schulen und den Kolleg:innen, die das tragen, möchten wir danken und die Unterstützung des Bundes der Freien Waldorfschulen anbieten. Kommen Sie auf uns zu! Denn es wäre wünschenswert, diese Aktivitäten noch stärker sichtbar zu machen. Es gibt darüber hinaus eine Vielzahl von Initiativen. Vorbildlich und beeindruckend war beispielsweise die Initiative der Waldorfschule Berlin Mitte breit in der Schule verankert, die Geschichte des jüdischen Menschen- und Kinderrechtsaktivisten Jacob Teitel aufzuarbeiten und sogar einen Platz vor der Schule feierlich einzuweihen und zu würdigen. Diese und viele andere Aktivitäten zeigen, dass sich Waldorfschulen in der Mehrheit stark und wirkmächtig um diese Fragen kümmern. Das gilt es zu fördern und zu stützen, auf Landes- und Bundesebene. Und das gilt es auszuweiten. Quasi von innen, aus einem lebendigen demokratischen und aus einem allgemeinen Menschenrechtsverständnis heraus, sich gegen Angriffe vom rechten Rand zu wehren und sich deutlich in der Gesellschaft damit zu positionieren. Leider müssen wir sagen: Es gibt einiges auszubügeln, denn das Ansehen der Waldorfschulen in der Gesellschaft hat in den letzten Jahren gelitten. Wenn rechten Zündler:innen und Strateg:innen erkennbar kein Platz gelassen wird, macht sich Waldorfschule resilient gegen Unschärfen am rechten Rand und hält sich buchstäblich Probleme vom Leib.
Kommentare
Leserbrief zu dem Artikel „Aufgaben der Waldorfschulen gegen rechte Angriffe“, Hans Hutzel, November 2022
Ich möchte auf Ihre ausführliche und besorgniserregende Darstellung der Unterwanderung der Waldorfschule bzw. anthroposophischer Einrichtungen durch rechtsradikale Gesinnungen eingehen, den Faden aufnehmen und fragen, welche Maßnahmen man denn nun konkret und praktisch ergreifen könnte um dem entgegen zu wirken.
Sicher sind Arbeitskreise und Gruppen, die sich mit diesem Thema beschäftigen und eine Öffentlichkeit für die Problematik schaffen sinnvoll, aber muss man nicht auch durchaus darüber nachdenken, weiterzugehen?
Würde z.B. eine Melde-Tool helfen inakzeptable Gesinnungen sichtbar zu machen und zu dokumentieren, so wie es auch in manchen Bundesländern oder Betrieben möglich war Coronaleugner und Impfkritiker zu melden?
Man könnte über spezielle turnusmäßige Einzelgespräche mit den Lehrkräften nachdenken, um herauszufinden, ob zersetzende Einstellungen vorliegen.
Bei den Aufnahmegesprächen sollte auch nicht mehr nur über die Pädagogik gesprochen werden, sondern ebenso auch ein Ansinnen darauf bestehen, sich über die politischen und sozialgesellschaftlichen Sichtweisen der zukünftigen Eltern ein Bild zu machen, um gleich an dieser Stelle schon eine sorgfältige Auswahl, was die Problematik der rechtsradikalen Unterwanderung anbelangt, treffen zu können.
Nicht zu vergessen ist auch die gute Tradition der Besuche zu Hause, bei den Eltern und Kindern, hier können noch einmal ganz andere Einblicke gewonnen werden.
Öffentlichkeitsarbeit durch Beleuchtung der Themen anhand von Arbeitskreisen und die Sichtbarkeit, dass sich die Waldorfschule der rechtsextremen Unterwanderungsversuche stellt durch die Präsentation ihrer Arbeitsergebnisse nach außen hin, sind zwar schön und gut, aber ist es nicht an der Zeit radikaler und extremer diesem Zeitgeschehen entgegen zu treten?
Ich denke, wir haben gesamtgesellschaftlich schon viel geleistet und verschiedene Steuerungsmechanismen genutzt wie klare Ausgrenzung, die eindeutige Deklaration und Installation bestimmter Begrifflichkeiten und deren fortlaufende Wiederholung, was Abweichungen allgemein gültiger Meinungsübereinstimmungen angeht, insofern kann man annehmen, dass hier irgendwann durch weitere geeignete Maßnahmen (wie oben beispielhaft beschrieben) eine angenehme Atmosphäre des Zusammenlebens in der Gesellschaft auf dieser Basis wieder möglich sein wird.
Beim Lesen des Editorials und des Beitrags von Hans Hutzel hatte ich ein zunehmend mulmiges Gefühl: Einerseits werden da für mich selbstverständliche Positionen vertreten, andererseits bleibt es aber im Ungefähren, wo, wenn man klare Kante zeigen möchte, Ross und Reiter genannt werden müssten, was wiederum den Rahmen eines Artikels sprengen würde. So ist es doch eher eine Art Gesinnungsaufsatz, der uns selbst bestätigt, auf der richtigen Seite zu stehen. Die behauptete Unterwanderung von Rechts nehme ich als langjähriger Waldorflehrer und immer noch Waldorfschülervater als allgemeines Phänomen nicht wahr. Was mein ungutes Gefühl betrifft, gingen mir dann die Augen auf, als ich den ersten Kommentar einer Leserin las. Sie schlägt unter anderem folgendes vor:
„Würde z.B. eine Melde-Tool helfen inakzeptable Gesinnungen sichtbar zu machen und zu dokumentieren, so wie es auch in manchen Bundesländern oder Betrieben möglich war Coronaleugner und Impfkritiker zu melden?
Man könnte über spezielle turnusmäßige Einzelgespräche mit den Lehrkräften nachdenken, um herauszufinden, ob zersetzende Einstellungen vorliegen.
Bei den Aufnahmegesprächen sollte auch nicht mehr nur über die Pädagogik gesprochen werden, sondern ebenso auch ein Ansinnen darauf bestehen, sich über die politischen und sozialgesellschaftlichen Sichtweisen der zukünftigen Eltern ein Bild zu machen, um gleich an dieser Stelle schon eine sorgfältige Auswahl, was die Problematik der rechtsradikalen Unterwanderung anbelangt, treffen zu können.
Nicht zu vergessen ist auch die gute Tradition der Besuche zu Hause, bei den Eltern und Kindern, hier können noch einmal ganz andere Einblicke gewonnen werden.“
Als überzeugter ehemaliger Waldorflehrer, der selbst lange Jahre KollegInnengespräche geführt, in der Aufnahme einer Schule gearbeitet hat und gerne und vertrauensvoll Elternbesuche gemacht hat, bin ich entsetzt. Die sich hier zeigende Haltung der Gesinnungsschnüffelei ist das Gegenteil dessen, was Erziehung zur Freiheit ist und will. Extreme Einzelfälle, die an einzelnen Schulen vorkommen, sollten genau als solche behandelt werden: mit klarer Kante. Die Phantasie, die Schulbewegung durch solche Massnahmen „rein“ zu halten, wäre geradezu rechtes Gedankengut. Der Schuss würde so voll nach hinten losgehen.
Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag. Ich beobachte bestimmte "rechte Tendenzen" in der anthroposophischen Bewegung bereits seit vielen Jahren. Es gibt m.E. bestimmte Denkhaltungen, die in der Szene verbreitet sind und die einen gewissen Nährboden schaffen, für rechtes Denken: Eine tendenzielle Offenheit für Verschwoerungsideologien, eine Identifikation mit dem vermeintlich höher entwickelten "mitteleuropäischen Geistesleben", ein Misstrauen gegen die Mainstreammedien, Kritik an den materialistischen USA, Solidarität mit, trotz Angriffskrieg, dem spirituell idealisierten Osten, uvm