»Aus der Anschauung der Kunst ergibt sich, dass die Systeme verändert werden müssen.« (Joseph Beuys)
In dieser Sonderausstellung wird Beuys erstmals umfassend als politischer Künstler vorgestellt und dazu seine besondere Beziehung zu Süddeutschland untersucht. Nicht nur weil er sein wichtigstes Material, Filz, von dort bezog oder seine berühmte Honigpumpe in einem Werk in Wangen im Allgäu hergestellt wurde. Es ist zwar erst 40 Jahre her, aber beinahe vergessen im öffentlichen Bewusstsein, dass Beuys zu den Gründern der Grünen gehörte und zusammen mit den anthroposophischen Dreigliederern im sogenannten Achberger Kreis vielschichtig und vielfältig tätig war. Für die Gründungsversammlung der Bundespartei Die Grünen im Januar 1980 lieferten sie die Konzepte.
Das Herzstück der Ausstellung ist das erstmals gezeigte Archiv von Rainer Rappmann – einem Achberger der ersten Stunde. Es ist inhaltlich auf den Begriff der Sozialen Plastik ausgerichtet. Seit 1973 hat Rappmann die Aktivitäten von Beuys begleitet und dokumentiert. In den 1970/80er Jahren war Achberg ein Zentrum des geistig-politischen Aufbruchs. Die Arbeit der Humanisierung des sozialen Lebens auf allen Feldern – Staat, Wirtschaft und Kultur – war der Versuch, wie im Prager Frühling und später nach der deutschen Wende, einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu finden. Das steht uns nun exakt in Zukunft bevor. Damals trafen sich die verschiedensten Gruppierungen und Strömungen, auch Rudi Dutschke war da, in diesem Woodstock des Geistes in Achberg.
Den zweiten Ausstellungsschwerpunkt bilden all jene Werke, Multiples, Grafiken, Plakate und Fotografien, die ausgesprochen gesellschaftsveränderndes Potenzial in sich tragen. Die Schau ist in einer wunderbar schwebenden Weise installiert – heiter, luftig, lebendig. Im Wechsel der Objekte lässt sich atmen zwischen der intellektuellen Zusammenziehung in der Konzentration auf Details und dann wieder geweitet dem Schwung der Linien zu folgen. Es ist regelrecht schockierend, aber in einem guten Sinne, wie man an keinem Stück vorüberkommt, ohne zutiefst getroffen zu sein als Zeitgenosse. Wer hätte das gedacht, welche Bedeutung ihr aktuell zukommt, der »Rose für direkte Demokratie« oder der Grafik »Aus dem Leben der Bienen«.
Darum ist es besonders zu bedauern, dass nun all die vom Museum geplanten Aktionen für die Jugend, Fridays for Future u.a. ebenfalls ausfallen. Doch es gibt zwei gute Nachrichten. Eine ist die Möglichkeit, die Ausstellung in Heilbronn zu sehen, in der Kunsthalle Vogelmann, vom 24. Juli – 7. November; es stehen auch diverse digitale Zugänge des Museums in Ulm aktuell zur Verfügung. Die zweite gute Nachricht ist die gleichnamige Begleitpublikation anlässlich der Ausstellung. Das 320 Seiten starke Werk (EUR 28,–, FIU Verlag Achberg) ist mehr als ein Katalog. Erstens eine Fundgrube persönlicher Denkanstöße, zweitens ein politisch-historischer Grundkurs der Moderne im Hinblick auf Debattenkultur, drittens eine Aufarbeitung eines weitgehend verdrängten wichtigen Aspekts anthroposophischer Vergangenheit und zu guter Letzt ein reines Vergnügen für alle Generationen. Besonders köstlich sind die vielen Fotos als Zeitzeugnisse. Ob Ausstellung oder Publikation, beides rührt tief und in der Seele des Betrachters schwingt und klingt Uraltes an, lang Vergessenes, tief Humanes, Frisches, Vitales, Zukünftiges. All das erinnert sich – geradezu alchemistisch, ganz im Sinne von Beuys – heilsam und tröstlich, Mut und Energie, Hoffnung schenkend.
Zur Autorin: Ute Hallaschka ist freie Autorin