Ausgabe 01-02/24

Bodenständige Ideen gegen bodenlose Gier

Anne Brockmann

1,5 Millionen Hektar entsprechen etwa der Fläche von Schleswig-Holstein. So viel landwirtschaftliche Fläche ist in Deutschland seit 1992 verloren gegangen. Und der Trend setzt sich fort. Die Genossenschaft Kulturland wirkt ihm entgegen, indem sie als Gemeinschaft Flächen kauft und damit langfristig für Biohöfe sichert.

Mehr als zehn Jahre sind vergangen, Raphael Rivera aber erinnert sich, als wäre es eben erst geschehen: «Ich habe das Mutterschaf abseits der Herde entdeckt und gesehen, wie es unruhig hin und herläuft. Da wusste ich, jetzt geht es los. Plötzlich brauchte ich zwei zupackende Hände, die mir helfen, die Gebärende festzuhalten, um ihr bei der Geburt zu helfen.» Eigentlich war der Landwirt gerade dabei, eine Schulklasse über den Hof zu führen, auf dem er damals arbeitete. Die Kinder waren extra aus London angereist. Den Hauptstadt-Kids eilte ein schlechter Ruf voraus. «Noch einen Tag vorher hatte mich die Klassenlehrerin verzweifelt angerufen und gefragt, ob ich mir das wirklich antun möchte. Die Klasse sei schlimm», erzählt Rivera. Am Ende des Tages hatten alle gemeinsam Vierlingen auf die Welt geholfen. «Und das verändert Menschen», war Rivera schon damals überzeugt, «einmal so nah am Puls des Lebens zu sein». Die Klassenlehrerin hat ihm wenige Wochen später am Telefon bestätigt, dass sie «die Klasse seit dem Besuch auf dem Hof nicht wiedererkennt», erzählt er froh. Auch für solche Momente ist Rivera Landwirt geworden. Alles, was unter den Begriff Umweltpädagogik fällt, ist ihm eine Herzensangelegenheit. Erst recht, seit er selbst Vater von vier Kindern ist.

2012 ist er mit seiner Familie von England nach Deutschland gezogen. «Wir wollten, dass unsere Kinder eine Waldorfschule besuchen. In England war das finanziell nicht möglich», begründet er den Schritt. Heimisch geworden sind die Riveras schließlich in Vorderhaslach, einer Gemeinde im Nürnberger Land. Dort hatte Altbauer Uwe Neukamm Partner für die Bewirtschaftung des örtlichen Demeterhofes gesucht. Rivera hatte vor, nicht nur seiner Familie, sondern auch seinen Ideen, etwa der gelebten Umweltpädagogik, dauerhaften Boden unter die Füße zu geben. Dieser Plan aber geriet heftig ins Wanken.

1990 gegründet, ist der Hof von anfangs 28 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche auf heute 100 Hektar angewachsen. Insgesamt vier Familien leben dort, zwei von ihnen kümmern sich als Mitglieder der landwirtschaftlichen GbR um eine Mutterkuhherde, den Gemüse- und Getreideanbau sowie um den dazugehörigen Wald. 2019 droht der Hofgemeinschaft Vorderhaslach dann plötzlich das Aus. Ihr Nachbar ist gestorben. Und dem alten Landwirt im Ruhestand gehörte fast die Hälfte der Ländereien. Rivera und seine Kolleg:innen haben die Flächen lediglich gepachtet. Jetzt stehen sie zum Verkauf. «Wir hatten keine Ahnung, wo wir so viel Geld auf einmal hernehmen sollten. Wir mussten schnell eine Lösung finden, denn ein außerlandwirtschaftlicher Investor stand schon bereit», beschreibt Rivera das Szenario.

Inzwischen steht der Verkauf der Flächen unmittelbar bevor. Neuer Eigentümer wird aber kein finanzstarker Investor, sondern eine Genossenschaft namens Kulturland. Diese erwirbt Ackerland, Wiesen und Biotope und stellt sie regional eingebundenen Bauernhöfen zur Verfügung. «Unser Ziel ist es, Boden der Spekulation entziehen. Wir möchten landwirtschaftliche Flächen langfristig sichern, indem wir sie kaufen und Bäuer:innen unbefristet überlassen», erklärt Stephan Illi. Der ehemalige Leiter des deutschen Demeter-Verbandes ist Vorstandsmitglied der Kulturland Genossenschaft und seit der Gründung im Jahr 2013 mit dabei. Er kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit und treibt die inhaltliche Weiterentwicklung voran. Und ganz wichtig: Er betreut die süddeutschen Landkaufprojekte. Die Hofgemeinschaft Vorderhaslach ist eines davon und für Illi ein «ganz typischer Fall». Der Eigentümer stirbt, die Erben sind keine Landwirte und bieten die Flächen zum Verkauf an. «Immer häufiger kommt es dann zum Landgrabbing», berichtet Illi und erklärt, «also zum Verlust von Agrarflächen, weil Konzerne oder private Investoren sie für ihre eigenen Interessen wollen. Meistens geht es ums Geld. Das Land wird zum Spekulationsobjekt». Die inzwischen 1.800 Genoss:innen von Kulturland stellen sich entschieden gegen diese Praxis. Wie Illi finden sie: «Landwirtschaftliche Flächen kann man eigentlich nicht besitzen. Sie sind Kulturgut, von ihnen hängt unsere Ernährung und die Artenvielfalt ab. Wir entziehen sie der Spekulation und geben sie in die Obhut von Menschen, die sie pflegen.»

Demnächst muss die benötigte Summe gezahlt werden. Bis dahin hatten der Hof und die Kulturland eG ein gutes Jahr Zeit, die nötige Summe zusammenbringen – eine Million Euro. «Viel Geld, aber angemessen», weiß Illi. Denn Spekulationspreise geht Kulturland beim Wettbewerb um ein Stück Land nicht mit. Aus Prinzip. Das Geld kommt durch die Mitglieder der Genossenschaft zusammen. Indem Kund:innen, Freunde und Unterstützende eines Hofes, der unmittelbare Umkreis also, aber auch Menschen aus der ganzen Region Genossenschaftsanteile erwerben, legen sie Geld in die Genossenschaft ein. Mit diesen Mitteln kauft die Kulturland eG gemeinsam mit den Höfen das Land. Aber nicht bedingungslos. Denn Kulturland unterstützt nur «regional eingebundene ökologische Landwirtschaft». Die Höfe müssen ihre Produkte daher regional vermarkten, sich um den Erhalt alter Kulturpflanzensorten und Haustierrassen bemühen, Naturschutz und Landschaftspflege betreiben und offen sein für Besucher, ihnen Führungen anbieten sowie pädagogisch mit Schulklassen arbeiten.

«Zu Vorderhaslach und meinen Ideen passte dieses Profil wie angegossen», sagt Rivera. Deshalb soll der gemeinsame Erwerb mit der Kulturland eG in wenigen Wochen über die Bühne gehen. «Es sieht gut aus», sagt Illi mit Blick auf die Finanzen. «Ein Restbetrag fehlt uns aber noch. Falls also noch jemand investieren mag, ...» Er betont, die Arbeit der Kulturland eG sei wichtig, damit es auch in Zukunft noch kleine vielseitige Höfe gibt, auf denen engagierte Menschen arbeiten, die neben dem Alltagsgeschäft auch noch Muse hätten, Schüler:innen Landbaupraktika anzubieten. Solche wie Raphael Rivera.

Mehr Infos: www.kulturland.de

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