Cybergrooming

Uwe Buermann

Inzwischen hat jeder schon einmal davon gehört, dass es Cybergrooming gibt. Aber viele von uns denken immer noch, dass es sich um Einzelfälle handelt, dass wir mit unseren eigenen Kindern oder den uns anvertrauten Schülern in gutem Kontakt stehen und sie uns schon informieren werden, wenn so etwas in ihrem Umfeld oder gar mit ihnen selbst geschieht. Wie die Entwicklung zeigt und von nahezu täglichen Nachrichten, wie ganze Pädophilen-Ringe ausgehoben werden, bestätigt, ist dies ein tragischer Irrtum. Cybergrooming ist leider keine Ausnahme, sondern trauriger Alltag für die viele Kinder und Jugendliche, die (unbeaufsichtigten) Zugang zum Internet haben.

Dies hat nicht zuletzt die zweiteilige RTL-Dokumentation »Angriff auf unsere Kinder« vom 8. und 9.3.2021 gezeigt. RTL ist, ehrlich gesagt, kein Sender den ich besonders schätze, aber für diese Sendung muss ich ihm meinen Respekt zollen.

Die aktuelle Kriminalstatistik, veröffentlicht am 15.4. 2021, weist über 14.500 angezeigte Fälle aus, dies entspricht einem Anstieg von 6,8 % bei den entsprechenden Straftaten. Die Ursache hierfür ist wie immer vielschichtig. Zum einen wird in diesen Bereichen öfters ermittelt als in der Vergangenheit, zum anderen steigt die Zahl der Übergriffe stetig an, nicht zuletzt, weil immer mehr Jugendliche und Kinder im Internet unterwegs sind. Das Schlimmste ist, dass natürlich nur diejenigen Fälle in den Statistiken auftauchen, die den Behörden bekannt werden. Wie alle Beteiligten immer wieder betonen, muss im Bereich von Sexualdelikten von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Cypergrooming findet nicht nur auf erotischen oder pornographischen Plattformen statt, sondern überall da, wo Kinder und Jugendliche aktiv sind, bei »harmlosen« Spielen (die heute alle Gruppen und die dazugehörigen Chats anbieten), TikTok, Instagram, telegram und selbst bei Ebay Kleinanzeigen.

Warum erzählen uns die Kinder nichts davon? – Es gibt zwei Hauptgründe. Zum einen ist es die erlebte Scham, denn selbst wenn die Kinder die ihnen dargebotenen pornografischen Inhalte und sexualisierten Anmachen nicht verstehen, empfinden sie unmittelbar, dass daran etwas Verbotenes und Anrüchiges ist. Zum anderen die nachvollziehbare Angst vor der Reaktion der eigenen Eltern. Es sind ja nicht nur die Kinder betroffen, die eigene Geräte benutzen, sondern auch alle anderen, die im Schulbus, oder wo auch immer, von Gleichaltrigen, meist ungefragt, pornografische Bilder und Videos gezeigt bekommen. Dabei geht es nicht nur um die Angst als »Petzer« dazustehen, wenn sie sich an Erwachsene wenden, sondern vor allem um die Angst vor den Konsequenzen. Kinder, die noch nicht ins Internet dürfen, haben die Sorge, dass ihre Eltern, wenn sie davon berichten, ihnen auch in Zukunft den Zugang verweigern werden. Kinder, denen bereits eigene Geräte zur Verfügung stehen, haben die Sorge, dass ihnen die Geräte bei einem solchen Vorfall wieder entzogen werden. Hinzu kommt im Zweifelsfall noch der konkrete Druck, den die Täter auf ihre Opfer ausüben.

Was können wir tun? – So wie es in der nicht virtuellen Realität klare Regeln gibt, z.B. dass wir 12-Jährigen nicht erlauben, alleine in Kneipen und Diskotheken zu gehen, gibt es auch im Internet bereits klare Regeln, die aber bisher selten eingehalten werden. Knuddels ist ab 16 Jahren erlaubt, WhatsApp, Instagram und Facebook ebenfalls. Wer Kindern früher den Zugang gestattet, erlaubt ihnen zu lügen und darf sich nicht wundern, wenn die Lügenhaftigkeit dann auch an anderer Stelle auftritt. Die Kinder freuen sich über die Erlaubnis zur Teilnahme und wollen dann mithalten. Sie sonnen sich in dem Zuspruch und der Anerkennung fremder Erwachsener. Und wenn ihnen vermittelt wird, »dass das alle machen«, geraten sie unter Zugzwang. Es hat schon seinen Sinn, dass es Regeln gibt, aber nur, wenn Eltern dafür sorgen, dass sie auch eingehalten werden, real wie virtuell.

Zum anderen gilt es, unsere Kinder zu begleiten, nicht weil wir ihnen misstrauen, sondern weil die Täter ihnen psychologisch überlegen sind und hier ein einfaches Aufklärungsgespräch nicht reicht. Es sollte ab und zu ein Blick in die Chatverläufe und auf die anderen Internetaktivitäten der Kinder ge­worfen werden. Und zuletzt gilt, wenn ihr Kind pornografische Inhalte zugesendet bekommt, oder anderweitig sexuell belästigt wird, sollte das zur Anzeige gebracht werden. Solange die Täter sich sicher fühlen, wird das Problem nicht gelöst werden.

Zum Autor: Uwe Buermann ist pädagogisch-therapeutischer Medienberater an der Freien Waldorfschule Mittelrhein und Leiter des Ausbildungsganges zum »Pädagogisch-therapeutischen Medienberater« am Lehrerseminar Berlin. Gastdozent an verschiedenen Lehrerseminaren.